Von der Kulisse eines mit Sonne gefluteten Venedig huscht Casanova über die spitzen Dächer der italienischen Kanalstadt, hinter ihm ein aufgebrachter Mob, der ihn für seine Schandtaten an einer jungen Nonne zur Rechenschaft ziehen möchte. Nein, dem gerne zum Bonvivant erklärten Giacomo Casanova war es nicht immer vergönnt, sich unbekümmert den angenehmen Seiten des Lebens zu widmen und es gab nicht wenige Menschen, die Casanova gerne einer Enthauptung durch die Guillotine unterzogen hätten. Wer diese von Mythen umrankte Persönlichkeit letztlich war, dieser in der Popkultur schon längst als Kunstfigur verwurzelte (angebliche) Lebemann, lässt sich aus seinen unzähligen Schriften über die Liebe lesen, als auch in seinen zwölfbändigen Memoiren. Dass Casanova nicht nur für Historiker von Interesse ist, hat uns Meisterregisseur Federico Fellini mit seinem „Casanova“ von 1976 bewiesen, in dem er Donald Sutherland („Wenn die Gondeln Trauer tragen“) als titelgebenden Hasardeur Opfer seiner selbstzerstörerischen Sexsucht wird.
Von einer solchen Demaskierung (dem wahrscheinlich treffendsten Porträt) ist der schwedische Regisseur Lasse Hallström („Gottes Werk und Teufels Beitrag“, „Das Leuchten der Stille“) weit entfernt. Sein Giacomo Casanova ist kein trauriges Individuum, der seinen Ruf als Bürde erkennen muss, sondern ein koketter Schwerenöter, der immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat und die Frauenwelt schon mit einem einzigen Wimpernschlag zum Hyperventilieren bringt. Man darf nun nicht den Fehler begehen, Lasse Hallströms „Casanova“ als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem historischen Person zu sehen – dafür ist das Drehbuch maximal darauf entsinnt, seine Figuren salopp zu konturieren. Sie alle sind nämlich auf ihre Weise Knallchargen; Spielbälle für familientaugliches Entertainment, dass sich mit einem namhaften Ensemble brüstet, aber keinen Sinn für Erotik kennt respektive kennen darf. Heath Ledger ist unterfordert, hat aber natürlich die äußerlichen Attribute, um Casanova ein passendes Gesicht zu leihen, während sich Jeremy Irons als Bischof Pucci freiweg der Lächerlichkeit preisgibt.
Interessant ist, wie es „Casanova“ scheinbar ganz beiläufig gelingt, ein von Zeit zu Zeit durchaus prägnantes Gesellschaftsbild der italienischen Bourgeoisie anzufertigen, um dieses dann nach Lust und Laune zu persiflieren. „Casanova“ aber legt seinen Schwerpunkt darauf, wie sich der Charmeur und prädestinierte Bettenhüpfer darin schlägt, eine Dame zu finden, die er zur Frau nehmen kann, um dem Ultimatum des Dogen zu entgehen: Verbannung? Nicht mit Casanova! Was also erst den Anschein erweckt, man würde Casanova aus einem anderen, einem neuen Blickwinkel zu sehen bekommt, manifestiert sich zügig als Irrglaube. Der Film ist vielmehr daran versucht, Casanova vor einen Karren zu spannen und ihn von der Vielweiberei loszusprechen, sie – anstatt ihn – zu vertreiben, um der biederen Moral ein festliches Finale zu bereiten, in dem Casanova treu-doof in den Schoß der Familie zurückkehrt, um schließlich auch seine eigene mit der emanzipierten Francesca Bruni (Sienna Miller) zu gründen. Von einem amourösen Abenteuer ist in diesem „Casanova“ keine Spur zu finden.
„Casanova“ erweckt den Eindruck, als wolle man tunlichst vermeiden, Casanova als wollüstigen Libertin festzuhalten, als wolle man mit dem Vorurteilen zwanghaft aufräumen und ihn so unbedingt in konservative Ketten legen. Das herrliche Rokoko-Ambiente kommt dabei zwar zu Geltung, denn „Casanova“ ist letzlich ein Kostümfilm, der durch seine Ausstattung bezirzt, doch die Geschichte glänzt nur durch sture Inkohärenz. Italienisches Verve darf man maximal im ironisch-beschwingten Soundtrack von Alexandre Desplat vermuten. Ansonsten ist „Casanova“ nur ein Aufruf an den Wert der Monogamie, eine harmlose Verwechslungskomödie, versteckt hinter (furchtbar) computergenerierter Barockkunst. Von einer immer hungrigen Libido seitens Casanova möchte niemand reden, vom Sündenpfuhl der Dekadenz ebenso wenig.