Das Aufbegehren des vermeidlichen „Trash-Papst“. Dank seiner schlichten, geschickten und vor allem kosteneffizienten Arbeitsweise wurde Roger Corman (Weißer Terror) schnell der nicht immer schmeichelhafte Ruf des sympathischen Grindhouse-Onkels zu Teil. Und ja, natürlich hat er sich diesen Status durch harte Arbeit und eine bemerkenswerte Umtriebigkeit ehrlich verdient, auch durch den ein oder anderen wirklich nicht sonderlich hochwertigen Titel. Aber sie wird selten entsprechend wertgeschätzt. Selfmade-Man Corman kam noch aus verkrusteten Filmstudiozeiten, hatte eben solche Sponsoren nicht im Rücken und eroberte sich dank seiner unkonventionellen und damals schon absurd waghalsigen Guerilla-Taktik überhaupt erst eine Daseinsberechtigung. Er verhalf etlichen späteren Filmlegenden zu ersten Gehversuchen im Business (auch hier huschen Dick Miller, Gremlins – Kleine Monster, oder Jack Nicholson, Das Versprechen, beinah unbemerkt durchs Bild, wer sonst kann sich so was auf die Fahne schreiben?) und zog sich danach nicht an ihrem späteren Weltruhm hoch, sondern blieb immer geerdet, realistisch in der Selbstwahrnehmung und wollte das Publikum stets unterhalten. Das klingt an dieser Stelle jetzt unfreiwillig wie ein verfrühter Nachruf - der gute Mann ist mit bald 98 Jahren immer noch Gott sei Dank bei uns - ,aber seit einer Ewigkeit begnügt er sich wirklich nur noch mit der Funktion des „Paten“ für wirklich beschissene Billo-Filme, die aus seinem guten Namen noch Profit schlagen wollen. Dabei wird leider oft vergessen, was für ein verdammt guter Filmemacher er eigentlich mal war und zu was er fähig gewesen wäre, wenn man ihn mal dementsprechend ausgestattet hätte.
Chicago-Massaker war mal eine Produktion, die (schlussendlich) unter der Schirmherrschaft von 20th Century Fox stattfand, aber im Vorfeld schon von Corman eingetütet wurde. Dank des Studios konnte hier vermutlich einiges besser aussehen als sonst und davon profitiert dieser Film enorm. Statt der üblichen Low-Budget-Tricks gibt es hier mal eine aufwändige, authentische Ausstattung, kein eingeschummeltes Archivmaterial und man hat erstmals das Gefühl, Roger Corman musste keine notgedrungenen Kompromisse eingehen. Das wirkt dadurch nicht direkt protzig, aber allein das unterstreicht den bescheidenen und effizienten Stil von Roger Corman. So gut wie möglich, aber es wird auch nichts zum Fenster rausgeschmissen. Man kann immer noch erkennen, dass bewusst Locations und Kulissen mehrfach verwendet werden, aber warum auch nicht, wenn es schlussendlich das Endprodukt nicht qualitativ mindert? Genau das ist die gute, alte Corman-Schule, von der sich das moderne Kino mehr als nur eine Scheibe abschneiden könnte.
Nach seiner ausgiebigen Edgar Allan Poe-Phase entfernte sich Corman vom klassisch inspirierten Gruselfilm und widmete sich scheinbar sehr bewusst der US-Crime Geschichte. Auf seinen Biker-Film Die wilden Engel (1966, eine klare Vorlage zu Easy Rider) und vor seiner Ma Baker-Adaption Blood Mama (1970) kam mit Chicago-Massaker sein vielleicht ambitioniertestes Werk in diesem inoffiziellen Zyklus heraus. Zu Grunde liegt die berühmte Hinrichtung im Auftrag von Al Capone (hier: Oscar-Preisträger Jason Robards, Die Unbestechlichen) am Valentinstag des Jahres 1929 in Chicago, bei der eigentlich der Kopf der North Side Gang, George „Bugs“ Moran (Ralph Meeker, Rattennest) das Ziel war, am Ende aber nur ein paar Handlanger und sogar völlig unwichtige Pechvögel den Tod fanden. Dieser Fall sorgte aber medial für Aufsehen und brachte in seinem Beben schlussendlich das völlig aus dem Ruder gelaufenen organisierte Verbrechen in Chicago zu Fall, gekrönt von der Inhaftierung von Capone im Jahr 1931 – letztendlich nur wegen Steuerhinterziehung, da ihm nichts anders nachzuweisen war.
Chicaco-Massaker beginnt mit diesem historischen Blutbad und springt dann etwa einen Monat zurück. Nun werden alle relevanten Figuren präsentiert. Jede bekommt eine kurzen Off-Kommentar spendiert, der ihre Position in der Geschichte halbwegs erläutert. Dieser fast semi-dokumentarische Ansatz ist aufgrund der Fülle an Figuren durchaus hilfreich und sinnvoll, in der immer selben Art und Weise aber auch irgendwann erschlagend, da wirklich jeder Hinz und Kunz mit Geburts-und Sterbedaten aufgeführt wird (für den weiteren Verlauf ja sogar eine Art Spoiler), was in dieser Ausführlichkeit auch nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Mit dieser sehr nüchternen und faktenbasierten Vorgehensweise distanziert sich Roger Corman durchaus von seinen oftmals wild-exploitativen Wurzeln und erzeugt eine ungewohnte Sachlichkeit, die ihm trotzdem ganz gut steht. Denn inszenatorisch ist das wie gewohnt hervorragend. Der rüde Stallgeruch des von Prohibition und Bandenkrieg als völlig gesetzlosen Wild-West-Schmelztiegel gebrandmarkten Chicago kommt in seinem zeitlichen Kontext erstaunlich akkurat daher und auch die Darsteller agieren auf einem überragenden B-Movie-Niveau. Allen voran Jason Robards als psychopathischer Selfmade-Gangsterboss Al Capone, der gerne noch mehr Screentime vertragen hätte. Für seine bescheidenen Verhältnisse ist Chicago-Massaker in vielerlei Hinsicht wirklich beachtlich, hat ausgerechnet in diesem Spagat zwischen Anspruch, Erwartung und Umsetzung ein paar Probleme. Es klingt paradox, aber Roger Corman versucht hier etwas zu „seriös“ zu agieren und bringt damit die ihm naturgegebene Narration wie die Leichtigkeit seiner Improvisationskunst leicht ins Stocken. Für einen Gangsterfilm der ersten Garnitur fehlt es an den Möglichkeiten, aber für ein Corman-B-Movie ist das extrem gut. Aber dafür wiederum fast etwas „zahm“ und „konventionell“. Wo ist denn nun das Problem? Die Quadratur des Kreises in seiner Reinform.