Wenn etwas für Oliver (Tom Schilling, Auf kurze Distanz) von Belang ist, dann seine Karriere. Als Portfoliomanager besteht sein Arbeitsalltag daraus, die Reichen noch reicher zu machen, während er sich selbst natürlich auch ein großzügiges Stück vom Kuchen gönnt und das Privatvermögen immer höher und höher türmt. Was Oliver während seiner Zeit als Anlageberater gelernt hat, ist, dass Zeit zwangsläufig Geld ist. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, den Rest beißen die Hunde. Kein Wunder also, dass sich der junge Mann dazu entscheidet, den Stau kurzerhand hinter sich zu lassen, indem er auf die Gegenfahrbahn ausweicht, das Gaspedal durchtritt und so noch eine realistische Chance hat, das wichtige Treffen mit einem großen Kunden pünktlich zu erreichen. Für Oliver allerdings endet dieses Himmelfahrtskommando im Rollstuhl, Diagnose: Querschnittsgelähmung.
Während uns die Röntgenbilder im Vorspann unter dem Einsatz von New Orders Blue Monday präsentiert werden, treffen wir Oliver drei Monate später in einer Reha-Klinik wieder. Ansatt sich aber auf die radikale Lebensumstellung einzulassen, zählt für ihn immer noch nur der Job, das Geld, der Aufstieg. Als Zuschauer weiß man natürlich, dass dieser Charakter nicht nur eine Therapie benötigt, sondern auch eine Lektion, die endlich zurück auf den Boden der Tatsachen holt. Das Schöne an Die Goldfische ist, dass diese Lektion zwar kommt, Regisseur und Drehbuchautor Alireza Golafshan aber kein Interesse daran aufzeigt, diese Geschichte des Erwachens als verklemmt-pädagogisches Moralstück zu erzählen, sondern viel lieber ein Loblied auf das Anderssein anstimmt. Alsbald nämlich trifft Oliver auf eine vierköpfige Behinderten-WG und das Chaos nimmt seinen Lauf.
Als Oliver von seinem Kollegen Julius (Klaas Heufer-Umlauf, Großstadtklein) nämlich in Erfahrung bringt, dass die Finanzbehörden mal wieder verstärkt Züricher Schließfächer auf Schwarzgeld kontrollieren, gibt es für den Workhaolic nur eine Möglichkeit: Er muss irgendwie in die Schweiz kommen, um sein dort an der Steuer vorbeigeschleustes Kapital in Höhe von 1,2 Millionen Euro zurück nach Deutschland zu bringen. Und was wäre schon sicherer, als ein Bus voller Behinderter, die sich deshalb im Land der Eidgenossen aufhalten, um an einer Kamel-Therapie teilzunehmen? Eben. Niemand würde einen Bus voller Behinderter anhalten! Ein wasserdichter Plan, der sich in Die Goldfische zum temporeichen Road Movie entwickelt, in dem nicht nur das grandios aufspielende Ensemble für jede Menge Vergnügen sorgt, sondern gerade Golafshans selbstbewusster Umgang mit seinen Protagonisten.
Die Goldfische lehnt es auf erfrischende Art und Weise ab, seine Akteure mit Samthandschuhen zu behandeln, damit jeder Zuschauer idiotensicher feststellen darf, dass dieser Film auf jeden Fall und in jeder Minute gut gemeint ist. Stattdessen beweist Alireza Golafshan ein ungemein quirliges Humorverständnis in der Handhabung von Klischees und Vorurteilen, schafft es aber gleichwohl, seine Figuren niemals bloßzustellen. Die Behinderten, ob autistisch, blind oder geistig zurückgeblieben, sind keine Sidekicks, sondern durchweg auf Augenhöhe mit Oliver und dürfen nicht nur die großen Lacher ernten, sondern scheulos bestätigen, dass sie gar nicht so hilflos und unselbstständig sind, wie sie von der Gesellschaft gerne abgetan werden. Dramaturgisch mag Die Goldfische zwar immer noch konventionell bleiben, sein Publikum (und seine Charaktere) aber möchte er niemals für blöd verkaufen. Dafür ist er zu lebensfroh, frech und treffsicher.