In den letzten zwei Jahrzehnten hat Hollywood das Genre der Comicbuch-Verfilmung relativ gut in den Griff bekommen, wenn man bedenkt, dass besagte Superhelden-Filme mittlerweile richtig Kohle scheffeln. Mit Filmen, wie Assassin’s Creed und Warcraft scheint die Videospielverfilmung die nächste große Hürde zu sein, die Hollywood zu nehmen versucht. Dass immer mehr Ressourcen in diese Spieladaptionen investiert werden—Assassin’s Creed und Warcraft waren mit Budgets in Höhe von $125 Millionen bzw. $160 Millionen die bis dato teuersten Videospielverfilmungen—ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Hollywood auch die Formel für diese Art von Abendunterhaltung knackt und eine Welle von Videospielfilmen über uns schwappt, wie es momentan die Superhelden tun. Neben den Superhelden und Videospielen schleicht sich jedoch aus dem fernen Japan eine dritte Form der Filmadaption in die westliche Filmindustrie ein: Anime.
Der Anime fristet im Vergleich zum Mainstream immer noch ein Nischendasein, doch haben die Nähte der Nische bereits begonnen zu bersten. Die Wirtschaft hat bereits erkannt, dass es im Anime-Geschäft viel Geld einzusacken gibt und der Anime-Streamingdienst Crunchyroll bewies bereits, dass das Publikum für neue und aktuelle Anime existiert. Serien, wie Attack on Titan und One Punch Man wurden in den USA und Europa von mehr Zuschauern konsumiert, als so manche HBO- oder AMC-Serie. Netflix hat nicht nur zahlreiche Anime im Programm, sondern nimmt neuerdings in der Produktion eine aktivere Rolle ein. Amazon startete mit 'Anime Strike' (zunächst nur in den USA) seinen eigenen Anime-Streamingdienst. Die japanische Form des Comics—der Manga—macht laut Diamond Comic Distributors, dem größten Comic-Vertreiber Nordamerikas, in den USA 33% aller Comic-Verkäufe aus. Wie auch beim Videospielfilm, ist das Potential der Anime-Live-Action-Verfilmung geradezu endlos; vorausgesetzt, man macht es richtig. Wir alle würden nur zu gerne die Abscheulichkeit vergessen können, die Dragon Ball Evolution hieß. Und auch die japanischen Realverfilmung vieler Anime sind oftmals sehr trashig und ‘unvorteilhaft’ (die Ruroni Kenshin-Filme ausgenommen. Rurouni Kenshin: Kyoto Inferno ist fantastisch!). Viele, sehr vielversprechende Titel befinden sich momentan in der Produiktion, u.a. Alita: Battle Angel von James Cameron und Robert Rodriguez, Netflix’ Death Note von The Guest-Regisseur Adam Wingard und den angekündigten amerikanischen Live-Action-Filmen zu Naruto, Bleach, Beyblade und (dem meiner Meinung nach unverfilmbaren) Akira (← Gott steh uns bei). Ghost in the Shell von Regisseur Rupert Sanders und Scarlett Johansson in der Hauptrolle des Majors ist der erste Big-Budget-Versuch solch einer Adaption.
Vorab sei erwähnt, dass Ghost in the Shell dem Original-Anime von 1995 nicht das Wasser reichen kann, aber das hatten wir alle schon erwartet. Zumal der neue Ghost in the Shell weder die Ambition, noch die Ziele des Anime-Klassikers teilt. Rupert Sanders inszeniert Ghost in the Shell zwar mit einer relativen Ruhe, was nicht zuletzt an der lobenswerten Treue dieser Adaption zum Original liegt, doch ist dies in erster Linie ein Science-Fiction-Action-Film, der ein potenzielles Franchise ins Rollen kriegen und daher möglichst viele Leute ansprechen soll—Leute, die zum Großteil von Ghost in the Shell noch nie etwas gehört, geschweige denn es gesehen haben.
Für den Fan des Franchises wird es interessant zu sehen sein, wie Drehbuchautoren William Wheeler (Queen of Katwe, Ray Donovan), Jaime Moss (Street Kings) und Jonathan Herman (Straight Outta Compton) sich den unterschiedlichsten Timelines und Universen des Ghost in the Shell-Franchises bedienen, um eine relativ interessante Story über die Identitätskrise des Majors zu erzählen und dem Original somit auch in der Geschichte treu bleibt. Den Antagonisten Kuze (Michael Pitt) zieht Ghost in the Shell aus der zweiten Staffel der Stand Alone Complex-Serie und schmeißt den Puppetmaster und die ganze KI-Komponente raus, bleibt andererseits aber dem 1995-Film von Mamoru Oshii überraschend treu, dass es teilweise sogar in den Fanservice rutscht. Bei vielen Shots, Kamerafahrten und der ein oder anderen Szene handelt es sich geradezu um Kopien, die das Herz jeden Fans höher schlagen lassen (Basset Hounds inklusive). Im amerikanischen Live-Action-Remake geht es weitaus actionreicher zur Sache und auch der manchmal-schwer-zu-verstehende, hyper-philosophische Dialog des Originals wird zugunsten eines literaleren Skripts ignoriert.
Trotz der wörtlicheren Erzählung der Geschichte, ist die Story um den Major (toll: Scarlett Johansson), eine Story, die selbst nach 28 Jahren seit der Manga-Veröffentlichung immer noch erzählenswert ist. Sci-Fi-Action-Filme gibt es unzählige, doch sind sie immer interessanter, wenn diese Filme von dem Genre Gebrauch machen und die Frage stellen ‘was wäre wenn?’. Was wäre, wenn man das Gehirn (den ‘Ghost’) eines Menschen in eine synthetische Hülle (‘Shell’) stecken könnte? Was wäre, wenn die Cyberisierung der menschlichen Rasse soweit voranschreitet, dass man jeden Körperteil und jedes Organ aufwerten und ersetzen kann? Wenn die Versicherung das Bein ersetzt, das man in einem Unfall verloren hat, ist das Bein Eigentum der Versicherung? Wenn das Militär die Augen eines Scharfschützen augmentiert, oder den ganzen Körper ersetzt, wie es beim Major der Fall ist, ist man Eigentum des Militärs? Wenn Erinnerungen programmiert und gelöscht werden können, wie kann man sich sicher sein, die Person zu sein, die man glaubt zu sein? Die Antwort, die Ghost in the Shell gibt, ist eine fatalistische und furchterregende: Man kann sich nie sicher sein. Gleichzeitig wird eine selbstbestimmende und hoffnungsvolle Lehre gezogen, seien es doch die Entscheidungen, die wir treffen und nicht, die wir getroffen haben es sind, die uns definieren. Falls diese Antwort unbefriedigend wirkt, dann teilt ihr dieses Gefühl mit dem Major, der ständig gesagt wird, es sei egal, was früher war. Es sei egal, ob sie einen menschlichen Körper habe oder nicht, ob ihr Verstand menschlich sei oder nicht. Sie werde von ihrem Umfeld als Mensch behandelt, deshalb sei sie ein Mensch, basta. Doch Ghost in the Shell akzeptiert die Bedeutung und die immense Rolle der eigenen Vergangenheit in der Identität einer Person. Die Suche nach der eigenen Identität ist eine intellektuellere Story, die eher in die Richtung von Ex Machina geht, als Star Wars oder Pacific Rim, auch wenn die actionreiche Inszenierung eher den letzten beiden ähnelt.
Ghost in the Shell hätte enorm davon profitieren können einen langsameren Ton anzuschlagen, wie es das Original tat. Argumentiert werden kann allerdings, dass es sich hierbei um einen neuen Film handelt und man das Original nicht in allen Belangen kopieren muss. Dennoch gibt es einige Aspekte, die in dieser Adaption nur angeschnitten und dann links liegen gelassen werden (z.B. die Sexualität des Majors und die Frage, wie sich ein menschlicher Verstand entwickelt, wenn es keinen biologischen Körper hat, mit dem man die Pubertät durchmacht). Auch die Kollegen des Major in der Public Security Section 9 kommen, bis auf Batou (Pilou Asbæk) und Vorgesetzter Aramaki (Takeshi Kitano) nicht ein einziges Mal zu Wort. Mit diesen Charakteren wird hier eindeutig das Fundament für weitere Filme gelegt (oder wir bekommen einen Extended Cut im Heimkino spendiert). Es ist recht eindeutig, wie weitere Szenen dem relativ straffen Pacing des Films geschadet hätten, ich hätte aber dennoch mehr über die Crew gelernt, die einen sehr vielseitigen und interessanten Eindruck macht. Schade, aber okay.
Das visuelle Design der Zukunft des Jahres 2029 besticht auf den ersten Blick mit tollen Ideen und schafft es die grandiose Zukunftsvision des Originals auferstehen zu lassen, was sich auch auf die Beleuchtung bezieht. Rupert Sanders macht von der selben Farbpalette Gebrauch, sodass Ghost in the Shell genauso von grau-bläulichen, trüben Farben dominiert wird. Leider spielt der Großteil des Films tagsüber an einem bewölkten Tag, was zwar für einen netten Bruch in der nächtlichen Cyberpunk-Konvention sorgt, doch wäre es schon nett gewesen all die kreativ-designten haushohen Hologramme und Neonschilder bei Nacht zu erleben, wo sie sich zweifellos völlig hätten entfalten können. Auch die Musik entfernt sich von dem eindringlichen und magischen Soundtrack des Originals um eine viel aktuellere, wenn auch charakterlosere Synth-Musik als Score zu verwenden. Wenigstens in den Credits findet der unvergessliche Frauenchor einen Platz.