Der kanadische Kultregisseur David Cronenberg („Die Fliege“) hat sich nie die lausige Mitläuferfunktion zu eigen gemacht, um sich an den kontroversen Eckpunkten in möglichst oberflächlich Handhabung entlangzuhangeln, die unsere Zeitreichung dirigieren wie dominieren. Cronenberg hat Zeit seiner Karriere immerzu relevante Kritik an den verschiedensten gesellschaftlichen, (sozio-)kulturellen oder medialen Nischen ausgeübt, ohne sich dabei auf eine strikte (Welt-)Anschauung zu verlassen: Kulturpessismus ist dem analytischen Schmierfink aus Toronto genauso fremd wie die unreflektierte Idealisierung differenzieller Sachverhalte und Institutionen. In „Videodrome“ hält David Cronenberg so auch nicht nur einfach dem Medium Fernsehen den Spiel vor und entlarvt deren inhärente manipulativ-voyeuristische Fratze, er zeigt auch seinem eigenen Tätigkeitsbereich die Grenzen auf und mahnt vor den Gefahren, die die Überschreitung dieser in der Filmbranche nach sich ziehen könnten, in dem er den Zuschauer an diese führt (und manche gewiss auch darüber hinaus!).
Die große Klasse zeichnet sich in „Videodrome“ dadurch aus, dass dem Drehbuch (ebenfalls vom Meister höchstpersönlich niedergeschrieben) keinerlei didaktische Absicht zugrunde liegt, die den Zuschauer eine vorgefertigte Meinung aufbrummt, mit der sich dieser nun arrangieren kann oder es eben lässt. Cronenberg hält immer ein interessantes Hintertürchen auf, das man als Zuschauer zurückgreifen kann, aber nicht muss. Sein Duktus ist mehrdeutig, kann sich zunehmend durch die individuellen Interpretation erweitern und versteht es, sich einer Thematik mit der nötigen Finesse zu widmen, ohne in plakativen Kaskaden und ermüdenden Endlosspiralen qualvoll zu rotieren: Jede Minute von „Videodrome“ ist sinnvoll gefüllt. Im Zentrum steht Max Renn (James Woods, „Es war einmal in Amerika“), der zynisch-profitgieriger Betreiber des Privatsenders „Civic TV“. Renns Ziel ist es, möglichst provokative Inhalte auszustrahlen und um jeden Preis mit Konventionen zu brechen. Cronenberg lässt durch sein Verhalten und die resultierenden charakterlichen Veränderungen schnell zwei elementare Fragen aufflammen – wie er sie 1999 mit „eXistenZ“ fortführte und potenzierte: Wie schwer darf die Flut an Illusionen in unserer Wirklichkeit wiegen und wie viel können wir von ihnen verarbeiten?
Verdrängen die verstrahlten Trugbilder schlagartig unsere Realität? Eine Frage, deren Replik erneut von individueller Natur ist, aber doch von so generalisierter Signifikanz gezeichnet, weil wir alle dem Reiz der Mattscheibe und der suggestiven Kraft der Leinwände zu schnell und zu gerne verfallen. Weil wir viel zu oft denken, dass es die Wahrheit ist, die uns dort von den Firmen und Studio untergejubelt wird. Weil wir den Braten fressen, der uns von den heuchlerischeren Verantwortlichen breitgrinsend kredenzt wird. Was, wenn wir diese Paralleluniversen irgendwann nicht mehr zu unterscheiden wissen? Natürlich stimmt David Cronenberg keine ikonische Hasspredigt an, wie es Howard Beale in Sidney Lumets Klassiker „Network“ noch tat: „Wir sind alles was ihr kennt! Ihr fangt an den Blödsinn zu glauben, den wir verzapfen. Ihr fangt an zu glauben, dass die Röhre die Wirklichkeit ist und euer ganzes Leben unwirklich ist. Was immer die Röhre euch auch sagt, ihr tut es; ihr zieht euch so an, ihr esst so, ihr erzieht eure Kinder so, ja, ihr denkt sogar wie die Röhre! Das ist Massenwahnsinn, ihr Verrückten! Ihr Menschen seid die Realität, wir sind die Illusion!“
Die wahre Brillanz erlangt „Videodrome“ nicht dadurch, dass er die – womöglich – negativen Auswirkung von Film- und Fernsehen anprangert, sondern tatsächlich durch eine umwerfend subtile Ägide, die schlichtweg begeistert. Cronenberg beweist seine weitsichtiges, präzises Feingefühl und schickt Max erstmal in den Höllenschlund dieses technologischen „Massenwahnsinns“. Er lässt ihn zunehmend mit dem Fernsehgerät verschmelzen (sexualisierter Body-Horror, ole!), führt ihn bis zum Äußersten, um am Ende aber nicht die große Explosion im sensationslüsternen Sinne anzuvisieren, dann würde er seine Intention damit ja ad absurdum führen. „Videodrome“ unterbreitet Max schlussendliche die Chance auf eine Katharsis, die jeder schwarzseherischen Geisteshaltung einen dicken Strich durch die Rechnung macht. Max wird eine neue Möglichkeit dargeboten, wie er (und dem Zuschauer) sie in seinem Gewaltpornowinkel anfangs niemals erahnen konnten. Wieder einmal beweist Cronenberg, dass das Grauen nicht immer ausweglos ist, genau wie er verdeutlicht, dass man anspruchsvoll aufrütteln kann, ohne sich in 'ollen Kamellen' zu wälzen.