Die idealistische Gefängniswärterin Eva steht vor dem Dilemma ihres Lebens, als ein junger Mann aus ihrer Vergangenheit in das Gefängnis verlegt wird, in dem sie arbeitet. Ohne ihr Geheimnis preiszugeben, bittet sie darum, in seinen Block versetzt zu werden, wo es so brutal zugeht wie nirgends sonst.
Der internationale Titel, unter dem Gustav Möllers (The Guilty) unerbittliches Gefängnisdrama im Wettbewerb der Berlinale läuft, ist regelrecht ärgerlich und das aus einer ganzen Reihe Gründe. Er nimmt vorweg, was das Publikum selbst herausfinden soll, tilgt die psychologische Konnotation des Originaltitels “Wärter” und suggeriert einen verzerrten Fokus auf die Figuren. Die, auf die es ankommt, sind Eva (Sidse Babett Knudsen, Club Zero) und Mikkel (Sebastian Bull, Stenofon). Antagonistische Charaktere, die verstörende Gemeinsamkeit enthüllen und ebenso auf vertauschten Seiten stehen könnten.
Dabei scheint die Kluft zwischen ihnen unüberwindbar, auf mehreren Ebenen: gesetzlich, systemisch, moralisch, charakterlich. Eva ist Gefängniswärterin, eine leise, unscheinbare, tief in sich gekehrte ältere Frau, die mit den Häftlingen ihres Trakts Yoga-Meditationen macht und bei der Schulausbildung hilft. Mikkel ist ein lauter, auffälliger junger Mann, umgeben von einer Aura siedender Wut, eine tickende Zeitbombe. Im Knast hat er jemanden eiskalt abgestochen. Jetzt kommt er in den Hochsicherheitstrakt, in den sich auch Eva verlegen lässt.
Ihre vermeintlich Weichheit wird zur Waffe in ihrem heimlichen Plan, Mikkel zu zerstören. Psychisch und schließlich auch physisch, was das Machtverhältnis abrupt verschiebt. Ein Ausraster macht Eva beruflich und juristisch angreifbar für Mikkel, der sie zu riskanten Haftprivilegien erpresst. Beider feindselige Nähe ist die Essenz der Story und der Grund, dass sie funktioniert, selbst wenn die Handlung es nicht tut. Die Logiklücken bringen die hypothetische Konstellation ins Wanken, aber das starke Schauspiel trägt sie dennoch.
Fazit
Kalte Grau-, Weiß- und Blautöne katalysieren die brutale Atmosphäre seelischer Verrohung, die dort am nachhaltigsten verstört, wo sie am unwahrscheinlichsten scheint. In seinem harschen Kammerspiel konfrontiert Gustav Möller die Charaktere unbarmherzig miteinander und das Publikum mit unbequemen Fragen: nach der unscharfen Grenze von Strafe und Sadismus, der vertrackten Natur von Schuld und der pervertierenden Wirkung elterlicher Gefühle. Die karge Inszenierung zieht ihre Wirkung aus harten Schnitten, wohlplatzierten Soundeffekten und einem Schauspielduell, ebenbürtig dem der Figuren.