„Ich gehöre zu den Menschen, denen es überall gefällt.“
Es gab nicht viele Kritiker, die sich dazu gezwungen sahen, Ingmar Bergman (Das siebente Siegel) harsch zu kritisieren. Selbstverständlich gibt es keinen Filmschöpfer, dessen Schaffen es nicht verdient hätte, ausgiebig hinterfragt zu werden – und somit im nächsten Schritt auch den ein oder anderen Rüffel hinzunehmen hat, gesetzt den Fall, die Verhältnismäßigkeit wird gewahrt. Allerdings folgte der Gegenwind, den Ingmar Bergman erfuhr, immer dem gleichen Muster: Ließ der Meisterregisseur die Charaktere (und damit auch den Zuschauer) nicht in der Schwebe ihres Schmerzes zurück, so wurde Bergman oftmals eine begütigende Didaktik zulasten gelegt. Natürlich divergiert der bedrückende Gesamteindruck zeitweilig, vergleicht man etwa einen Film wie Schreie und Flüstern mit Wie in einem Spiegel, recht deutlich.
Und doch zählt Ingmar Bergman zweifelsohne, selbst wenn er an die Hoffnung, die Gerechtigkeit, den Glauben und die Liebe plädiert, immer noch zu den gewichtigsten Künstlern des Weltkinos. Um es vorweg zu nehmen, da die Vermutung dahingehend mit der Einleitung bereits suggeriert wurde: Ja, auch in Von Angesicht zu Angesicht gesteht Ingmar Bergman der von Liv Ullmann (Die Brücke von Arnheim) verkörperten Jenny im letzten Akt eine Art geistiger Erlösung zu. Allerdings wirkt genau diese kathartische Reaktion in Bezug auf den Rest der Handlung keinesfalls unangemessen, denn Ingmar Bergman ist ein herausragender Geschichtenerzähler – und verstand es Zeit seiner Karriere, Charaktere zu erschaffen, die sich vorrangig als glaubwürdig und lebensnah beschreiben lassen. Und die Psychologin Jenny stellt in dieser personellen Tradition selbstverständlich keine Ausnahme dar.
Jenny, die den Sommer ohne ihre Familie verbringt, kehrt zurück in das Haus ihrer Großeltern und erfährt dort, an dem Ort, an dem sie größtenteils aufgewachsen ist, eine Form Rückwurf in die eigene Vergangenheit - und in sich selbst. Das Leitmotiv in Von Angesicht zu Angesicht ist Jennys innere Entfremdung, an der sich Bergmans psychologisch zutiefst wachsames Narrativ entlangarbeitet. Wo sich zu Anfang noch die Freude offenbart, die Menschen um sich zu haben, die mitgeholfen haben, zu der Person zu werden, die man heute ist, werden die Nächte alsbald von schweißtreibenden Alpträumen heimgesucht und das Ticken der Uhr gleicht Donnerschlägen, die sich bis tief in den Kopf bohren. Was sich vorerst wie ein psychotischer Leidensweg zu erkennen gibt, in dem Jenny in einen seelischen Orkus gesogen wird, offenbart sich nach und nach als Bestandteil eines regenerativen Prozesses.
Bevor Ingmar Bergman Jenny emotionale Heilung in Aussicht stellen wird, muss die Frau erst einmal mit ihren Dämonen in den Ring steigen und sich beinahe vollständig zerstören lassen. Einsamkeit, Angstzustände, Hysterie, Wahnvorstellungen bestimmen den Alltag ihrer Person. Doch die Dekonstruktion dient dazu, eine Neukonstruktion in die Wege zu leiten, bei der ihr gerade Dr. Tomas Jacobi (wunderbar, weil wertungsfrei und zärtlich: Erland Josephson, Opfer) nach Leibeskräften zur Seite steht. Von Angesicht zu Angesicht beschreibt den Kampf des Menschen gegen sein Inneres; den Kampf gegen das Verdrängte und den Kampf, der der Verkapselung in sich selbst entgegenstrebt. Und selbstverständlich ist es anstrengend und zermürbend, diesen seelischen Zertrümmerungshergang zu beobachten. Am Ende des Tages allerdings wird erneut deutlich: Ingmar Bergman ist und bleibt ein Filmemacher, der mehr gibt, als er zu nehmen vermag.