Wer es sich wirklich herausnimmt, „Martyrs“ als Torture Porn zu bezeichnen, der sollte seine Filmwahrnehmung doch einmal grundlegend überdenken: Pascal Laugier vermeidet es nämlich ganz gezielt, die Gewalt einer voyeuristischen Komponente anheim fallen zu lassen. Hier wird Gorehounds keine Plattform geboten, um sich, bis der Geifer aus den vor Erregung zitternden Mundwinkeln platscht, an Gräueltaten zu ergötzen - die mögen dann doch bitte eine beliebige Episode aus dem Endlosfranchise hinter „Saw“ frequentieren. Man muss „Martyrs“ aber trotzdem unbedingt in Verbindung mit dem Torture Porn und seiner doch auffällig offensiven Begrifflichkeit setzen, weil sich Pascal Laugiers selbst im liberalen Frankreich heiß diskutierter „Martyrs“ auch als Kommentar auf dieses bestialische Subgenre verstehen lässt: „Martyrs“ ist nichts weniger, als die beängstigende Abstraktion des Torture Porn, er verzerrt die Parameter und Gesetzmäßigkeiten dieses Gefilde so extrem, dass man sich, rollt der Abspann erst einmal über den Bildschirm, beinahe in Schamgefühlen wägt, „Martyrs“ anfangs dieses Stigma auf die Brust brennen zu wollen.
Dabei startet „Martyrs“ erst einmal schön kryptisch: Als Zuschauer merkt man sofort, dass hier irgendetwas im Argen liegt, und das selbstverständlich nicht nur, weil er eine verstörte Frau halbnackt über ein kahles Industriegelände stürzt. „Martyrs“ ist, wie auch schon der ein Jahr zuvor erschienene „Inside“, ein Film, der Stimmungen durch filmische Mittel überträgt, anstatt die Bedrohungen, die Angstzustände und die Verzweiflung explizit zu visualisieren. Über „Martyrs“ liegt von der ersten Minute ein bedrückender Schleier, einem irritierenden Damoklesschwert gleich, dessen Gegenwart man durchaus wahrnimmt, aber noch nicht verstehen kann, wovor es uns eigentlich warnen möchte, in welch grausige Tiefen wir noch gezwungen werden, herabzusteigen. Dass „Martyrs“ zu Beginn auch geflissentlich mit Genre-Konventionen spielt, mit Motiven und Stilismen, lässt sich wohl dahingehend interpretieren, dass Pascal Laugier den Zuschauer zusammen mit Anna (Morjana Alaoui) gnadenlos in die offene Klinge laufen lassen möchte. Und das gelingt ihm in einer Fasson, die sich in ihrer Unnachgiebigkeit tatsächlich als Novum deklarieren lassen darf.
„Martyrs“ aber ist nicht darauf aus, dem blanken Gewaltakt zu frönen, stattdessen erhebt Pascal Laugier die filmische Gewalt zur binären Grenzerfahrung: Es ist für den Zuschauer unfassbar anstrengend, dieser Entmenschlichung beiwohnen, der Anna ausgesetzt wird. Aber auch die Gewalt selbst unterliegt im philosophischen Gedankenspiel Laugiers einem höheren Anliegen. Ein ominöser Geheimbund versucht die Dimension der Gewalt zu erkunden und durch den exzessiven Einsatz dieser einen Menschen ins Jenseits zu schicken, um den Menschen im Diesseits anschließend darüber Bericht zu erstatten – Die Dekonstruktion des Körpers soll in die Transzendenz führen. Und das Widerliche daran ist, dass die Logik dahinter so unfassbar plausibel erscheint, dass es einem – neben der Lasterladung Geröll auf dem Brustkorb – einen eiskalten Schauer über den Rücken schickt. Problematisch wird es nur im Finale, wenn das methodisch-systematische Zerbrechen eines Individuums Früchte trägt, die (intellektualisierte) Gewalt selbst einer klaren Sinnhaftigkeit untergeordnet wird und die Mittel des pervertierten Erkenntnisgewinns von Erfolg gekrönt sind. Widerwärtig.