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Bilder des Zerfalls: Im Klammergriff der Kontroverse - Teil 16

von Pascal Reis

„Wir alle sind Klümpchen aus Blut und Muskeln“, hält Daniel Lugo (Mark Wahlberg, „Transformers 4: Ära des Untergangs“) zu Anfang fest. Wir alle bestehen aus der gleichen Biomasse, alle betreten wir unter den gleichen Voraussetzungen diese Welt, was weitergehend impliziert, dass wir auch alle das gleiche Potenzial in uns tragen, aus diesen Bedingungen im Verlauf unseres Lebens etwas zu machen. Und Daniel Lugo zählt zu den Menschen, die es als ihre patriotische Destination sehen, etwas Großes aus eigener Kraft zu erreichen; etwas, was seinem Umfeld Anerkennung in Bezug auf seine Person abringt. Heute sitzt Daniel Lugo für den Versuch, etwas aus seinem Leben zu machen, im Todestrakt und wartet nach wie vor auf die Vollstreckung seiner Strafe. „Pain & Gain“ erzählt seine Geschichte. Wobei „erzählt“ an dieser Stelle der falsche Begriff ist. Stattdessen schmirgeln sonnendurchflutete Bilder auf der Leinwand, die womöglich auf wahren Begebenheiten beruhen mögen, in erster Linie aber dem entfesselten Exzess lauthals frönen.

Niemand geringeres als Hollywoods berühmt-berüchtigte Boom-Boom-Abrissbirne Michael Bay („13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi“) hat diesen schrillen, amoralischen Exzess dirigiert. Und auch wenn sich all der Hohn und all die Verachtung wiederholt bestätigen sollten, die Michael Bay seit jeher widerfahren sind, ist Pain & Gain“ höchstwahrscheinlich genau der Film, der seinen Verächtern ebenso in die Karten spielt, wie auch seinen Verfechtern. Es mutet ja schon ungeheuerlich an, dass sich Michael Bay hier tatsächlich einer wahren Geschichte angenommen hat, gerade weil Bay, einer, wenn nicht sogar DER Filmemacher ist, dessen filmische Wirklichkeit jedem Realitätssinn (Stichwort: Enthumanisierung) wie entrissen scheint. Tatsächlich ist auch in „Pain & Gain“ erst einmal nicht Menschliches zu erkennen, vielmehr arbeitet der Master of Desaster hier mit überdrehten Karikaturen, die für eine Philosophie einstehen, die es innerhalb der unglaublich kurzweiligen 130 Minuten Stück für Stück zu dekonstruieren gilt. Primär nämlich existiert Daniel Lugo, um seine Physis zu formen. Der Körper muss als Schrein erstrahlen, die definierte Silhouette gilt als Statussymbol.

Aber um dieses Statussymbol vollends optimieren zu können, muss Geld her. Reichlich Geld. Eben so viel Geld, wie es einem eingefleischten Patrioten nun mal zusteht. Wenn man Daniel Lugo so betrachtet, sein unbedingtes Festhalten am American Dream, dann wird schon in den ersten Minuten des Films ersichtlich, dass diese Figur zwangsläufig dem Untergang geweiht ist, weil sich sein Glaube, dass jeder es zu etwas bringen kann, wenn er sich nur entsprechend ins Zeug legt, in Windeseile als ein in den Gehirnwindungen festgewachsenes Trugbild enttarnt, denn: Daniel Lugo ist nicht faul. Er ist ungemein engagiert im Umgang mit körperlicher Ertüchtigung, und das Konzept, welches aus einer schäbigen Muckibude in Miami innerhalb von drei Monaten ein florierendes Unternehmen macht, beruht auf seinen ehrgeizigen Managementkompetenzen. Und doch steckt er fest, kein sozialer Aufstieg in Sicht, dabei hat er sich doch klar an seinen Plan gehalten und jede Abkürzung zur Verwirklichung des amerikanischen Traumes vermieden. Andere Mittel müssen also her. Und sie müssen scheitern. Rigoros.

Wenn man so möchte, ist „Pain & Gain“ die über Gebühr zynische Anklage an den American Dream, der sich hier als virulentes Wahnbild manifestiert, welches Menschen infiziert und sukzessive ganz nach unten drückt. Und Michael Bay inszeniert das wie einen flirrenden, testosterongeschwängerten Fiebertraum, direkt aus dem anabolikabefeuerten Muskel des Bodybuilder-Triumvirat im Zentrum extrahiert. „Pain & Gain“ ist definitiv das beste Musikvideo, welches MTV niemals über den Äther geschickt hat. Es ist ein übergreller, hypernervöser und menschenverachtender Rausch, losgelöst von allen Zugeständnissen an ein herkömmliches Erzählkino; eine überdrehte und überzeichnete Abrechnung mit einem Amerika, das hier vor allem für falsche Versprechungen einsteht. Und es ist die persönliche Abrechnung Michael Bays mit seinen eigenen Inszenierungsmaniersimen, die er hier so hysterisch und freimütig wie nie zuvor zum Abschuss freigibt. Man muss ihn gesehen haben, man muss dieser Sogwirkung verfallen sein, um sich der poppigen Unfassbarkeit des Ganzen bewusst zu werden. Es lohnt sich, auch wenn man sich die Finger schmutzig macht.

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