Wo Gaspar Noé draufsteht, sind Kontroversen garantiert. Aber hat es Noé Zeit seines Schaffens wirklich darauf angelegt, allseits unter dem Label Entfant terrible zu firmieren? Stören tut es ihn vermutlich nicht, warum auch? Ein solch berüchtigter Ruf lässt sich nicht zuletzt auch wunderbar als effektive Marketingmasche gebrauchen. Und wer eine sich über endlose 10 Minuten erstreckende Vergewaltigungssequenz in einen derart quälenden Naturalismus übersetzt, wie Noé es in seinem Opus magnum „Irreversibel“ (2002) getan hat, muss zwangsläufig damit gerechnet haben, Stürme der Entrüstung zu ernten – wenngleich sich derlei filmisches Extrem niemals als reiner Selbstzweck bestätigt hat. Um gezielte Provokationen ginge es dem Argentinier, der seit seinem 12. Lebensjahr Frankreich als Heimat bezeichnet, in seinem neusten Streich „Love 3D“ (2015) angeblich nicht, obwohl dies nun der erste seiner Filme ist, dessen Inhalt sich beinahe zu einem Drittel aus explizitem Hardcoresex zusammensetzt.
Wie schon im Jahre 2014, als Lars von Triers beeindruckender Zweiteiler „Nymph()maniac“ in die deutschen Kinos kam, war das Urteil nach den ersten Informationen und Bildern von „Love 3D“ schnellt gefällt: Wir bekommen es hier höchst wahrscheinlich mit einem Porno zu tun, der sein triebhaftes Naturell hinter dem Deckmantel der Kunst verschleiert. Lars von Trier vermochte es, dieses Stigma ohne Mühen zu widerlegen, seine künstlerisch-genuine Odyssee ins selbstzerstörerische Herz der Finsternis einer Nymphomanin verdichtete sich nicht nur zu einem feingliedrigen Psychogramm, sondern hallte auch lange Zeit als feurige Abrechnung mit der bigotten Gesellschaftsmoral nach. „Love 3D“ hingegen fehlen die Argumente, um den polemisch Vorwurf zu entkräften. Womöglich ist das dem Umstand geschuldet, dass sich Gaspar Noé in erster Linie dafür interessiert hat, einen Pornofilm zu inszenieren, der seine eigenen Gelüste befriedigt. Wie er selbst sagt, machen ihn die überzüchteten Anabolbullen, die ihre Partnerinnen bis ins Delirium knallen, in Pornos nicht an.
In „Love 3D“ nutzt Gaspar Noé die geheime Ingredienz, um Geschlechtsverkehr vom reinen, offiziösen Akt zur sinnlichen Offenbarung heranwachsen zu lassen: Die Liebe. Jedenfalls glaubt er das. Murphy (Karl Glusman) und Electra (Aomi Muyock) bilden den Dreh- und Angelpunkt von „Love 3D“. Und ihre Beziehung ist es, die durch ein anregendes Abenteuer mit der Nachbarin Omi (Klara Kristin) in die Brüche geht. Die meiste Zeit, wenn denn gerade mal nicht kopuliert wird, sehen wir dem cinephilen Murphy dabei zu, wie er mehr und mehr im Selbstmitleid versinkt und sich krampfhaft den Weltschmerz in die Gesichtszüge meißelt. Dem Zuschauer wird angesichts dieser existenzialistischen Leiden jedoch jedwede Empathie zur Hauptfigur verweigert, weil Gaspar Noé auf keiner Ebene in der Lage ist, zu begründen, warum sich Murphy und Electra wirklich lieben könnten. Anstatt sich auf die (tiefen-)psychologische Kondition innerhalb des Scheiterns des Paares zu konzentrieren, verläuft sich Noé in einer alternierenden Abfolge von Jammer- und Fickszenen.
Mögen die Sexszenen, gerade die Ménage-à-trois mit Omi, kompositorische Meisterleistungen sein, scheint Noé sich, wenn überhaupt, maximal darüber im Klaren zu sein, dass Lust und Liebe durchaus zusammengehören, nicht aber, dass diese Begriffe niemals deckungsgleich zu benutzen sind. Für ihn ist Liebe immer Ficken. Für ihn ist Sinnlichkeit immer Ficken. Für ihn ist Zwischenmenschlichkeit immer Ficken. Wie enttäuschend und auf Dauer schrecklich albern „Love 3D“ wirklich ist, wird einem anhand dieser lebensweltlichen Kurzsichtigkeit nur zu deutlich. Dadurch, dass Noé indes streng aus der maskulinen Perspektive erzählt, findet er zudem noch den Raum, um der autobiographischer Selbstbeweihräucherung zu frönen, wenn er nicht nur das eigene Output zitiert, sondern auch involvierten Figuren direkt seinen Namen schenkt. Schade. Immerhin, und das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, ist Noé audiovisuell immer noch ein Großer: Ineinander verschmelzende Körper im flackernden Rotlicht, Sperma, Blut und Tränen als visualisierte Essenz des Lebens, sind intensive Impressionen ästhetischer Formvollendung.