Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?
Ich habe mehrere Biografien von Bonhoeffer gelesen, als auch in seine Schriften reingelesen. Ich konnte nicht alles lesen, das ist dann doch relativ viel. Sein Werk ist groß und umfassend. Dann war es allerdings die Aufgabe, zu gucken, inwiefern bekommt man einen Menschen, der so sehr durch sein erzähltes Handeln als auch durch seine Schriften bekannt ist, in einen lebendigen Menschen hinein. Das war die Aufgabe, also haben wir viel geprobt und versucht irgendwie herauszufinden, was für eine Interpretation von Mensch er sein könnte.
Welche Facetten von seiner Persönlichkeit wolltest du beim Schauspiel darstellen?
Ich glaube, dass er ein physischer Mensch war und, dass es in dem, wie er gelebt hat, sehr viel darum ging, physisch präsent zu sein für die Menschen, die marginalisiert wurden zu dieser Zeit, für sie präsent zu sein und da zu sein und wirklich in Kontakt zu treten. Das ist irgendwie ganz interessant, weil es im Spiel oft darum geht im Moment zu sein. Das war total omnipräsent während des Spiels: da zu sein mit dem Menschen, der gerade vor einem sitzt und zu versuchen, den Menschen auch wirklich wahrzunehmen und zu sehen und über sich hinauszugehen, über sein Ego hinauszugehen und gleichzeitig auch zu zeigen, dass das kein Gott gegebener Zustand ist, sondern ein Zustand, der auch sehr viel über Selbsthinterfragung läuft und, dass Bonhoeffer trotzdem jemand war, der ein großes Ego hatte und gleichzeitig immer wieder den Kampf zu zeigen, das abzulegen und eher für andere da zu sein als nur für sich selbst.
Da du über diese körperliche Präsenz geredet hast, du siehst tatsächlich ganz anders aus als Bonhoeffer, weil er viel älter aussieht und das hast du irgendwie geschafft. Das finde ich gut.
Das freut mich natürlich zu hören.
Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh?
Ehrlich gesagt war alles ganz schön herausfordernd, weil in dem Moment wo es eine reale Vorlage gibt, es immer eine große Herausforderung ist zu sagen: „Ich mache das jetzt so.“ Da ist immer der Selbstzweifel, ob man dem überhaupt gerecht wird und man versucht irgendwie Bonhoeffer treu zu bleiben und gleichzeitig auch irgendwie sich zu sagen: „Das ist eine Interpretation, die ich mache, die ich vorführe.“ Es war durchaus herausfordernd sich dieser Geschichte zu stellen, dieser Geschichte von einem Menschen, der sich gegen ein ganzes System aufgelehnt hat und man stellt sich natürlich die Frage: „Hätte ich das auch irgendwie gemacht?“ Und das ist wahnsinnig herausfordernd… Gedanklich.
Da du das jetzt angesprochen hast, möchte ich dir die Frage stellen: „Wie hättest du gehandelt? Wärst du in deine Heimat zurückgekehrt, obwohl es gefährlich für dich wäre?“
Das ist eigentlich eine Frage, die größer ist als das Leben. Ich glaube, das kann ich überhaupt nicht beantworten. Ich glaube, dass ich bis jetzt nie an den Punkt gekommen bin, solche Entscheidungen treffen zu müssen und gleichzeitig ist die Frage seit der Beschäftigung mit Bonhoeffer aktuell nicht mehr wegzudenken. „Bonhoeffer“ ist der Versuch über sich selbst hinauszudenken und wenn wir uns jetzt die politische Lage anschauen, in der Menschen weiterhin stigmatisiert und marginalisiert und unterdrückt werden ... Ich bin als weißer junger Mann davon oft nicht betroffen, die Frage ist aber, was heißt das konkret für meine Mitmenschen und für meine Freundinnen und für meine Freunde einzustehen, die von einem System betroffen sind, in dem Politiker gerade fordern, Leute, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben, abzuschieben, nur weil sie ein kleines Kriminaldelikt wie Schwarzfahren begehen, obwohl es verfassungsfeindlich ist. Das greift natürlich ganz konkret das Leben von meinen FreundInnen, und von meinen Mitmenschen an und was verlangt das von mir ab? Das ist ja eine konkrete Frage: Was verlangt es von mir ab, wenn Leute ernsthaft in diesem Land Angst haben, nur weil sie muslimisch sind? Was heißt es konkret, wenn die Leute Angst haben, wenn sie jüdisch sind? Was heißt es konkret, wenn die Leute, nur weil sie so aussehen wie sie aussehen oder, weil sie den lieben, den sie lieben, konkret von der Politik angegriffen werden, die immer rechter wird. Das heißt ja, ich muss mich selbst fragen: Was mache ich mit meinem Privileg? Was leitet sich davon für ein Handeln ab und deswegen ist das gerade eine zentralere Frage, als ob ich das damals wie Bonhoeffer gemacht hätte, das könnte ich, glaube ich, gar nicht beantworten.
Ich fand diese Szene gut, in der Bonhoeffer sich für seinen Freund einsetzt. Er sieht dabei so naiv aus, als ob er Rassismus gar nicht kennt und dann wird er damit konfrontiert, dass diese Realität existiert und das hast du gut gespielt.
Das freut mich. Das ist natürlich eine Verdichtung von dem Film. Ich fand diese Szene immer sehr wichtig, weil sie zeigt, dass Bonhoeffer auch aus einer gewissen gesellschaftlichen Klasse kommt und sogenannte blinde Flecken hat und dass er nicht weiß, was konkret Rassismus bedeutet, dass er glaubt, man kann alles durch eine Art von ehrenhaftem Handeln irgendwie retten, aber diese Form von Gewalt kennt er nicht. Es geht um den Freund Frank Fisher, der schwarz ist, der in Washington von einem Hotelbesitzer geschlagen wird, weil er Bonhoeffer zeigen wollte, wie konkret Rassismus aussieht und wie lebensbedrohlich er ist. Zu der Zeit wurden schwarze Menschen gelyncht, davon hatte Bonhoeffer vielleicht gehört, aber er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, was es bedeutet und ich glaube genau das ist es, was wir uns auch oft sagen: „Ich bin nicht rassistisch, natürlich bin ich gegen Faschismus, aber man muss sich wirklich fragen. Was heißt das denn konkret? Was heißt es denn wirklich ganz konkret? Können wir uns das wirklich vorstellen, was es für Menschen bedeutet, die in diesem Land, also konkret in Deutschland leben?“ Ich denke an alle meine türkischen FreundInnen, die mittlerweile in dritter Generation hier leben und immer noch nicht anerkannt sind, die immer noch als BürgerInnen zweiter Klasse gelten, obwohl sie dieses sogenannte Wirtschaftswunder zum erheblichen Anteil mittragen. Es stellt sich die Frage, wie blind bin ich. Und ich finde in dieser Hinsicht den Begriff von „Wokeness“, der so oft von Rechten angegriffen wird, sehr zutreffend, weil es heißt „Aufwachen“, dass man wach ist und dass man genau hinsieht. In dem Fall wurde Bonhoeffer darauf hingewiesen, weil er die Größe auch erfahren hat von einer schon betroffenen Gesellschaftsschicht, die eigentlich auch marginalisiert wird von jemandem, der so aussieht wie Bonhoeffer und sie waren trotzdem so Groß, ihn einzuladen und ihm ihre Welt zu zeigen: „Ich zeige dir meine Welt in der Hoffnung, dass du es weiter trägst.“
Glaubst du an Gott?
Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube nicht an eine spezifische Figur oder an ein spezifisches Konstrukt. Ich glaube eher viel mehr an Beziehungen. Ich glaube schon, dass es etwas Größeres gibt als uns selbst, irgendwas Kreatürliches, irgendwas, was uns alle irgendwie verbindet und auch trägt, an das wir uns immer wieder erinnern müssen. Aber ich glaube, dass es in unserer Zwischenmenschlichkeit liegt, wie wir miteinander umgehen und wie wir mit unserer Umwelt umgehen. Was haben wir für eine Beziehung zu unserer Welt? Was haben wir für eine Beziehung zu uns selbst? Darin liegt für mich, was Spirituelles. Also ich würde sagen, ich glaube nicht an Gott, aber ich bin durchaus spirituell. Ich glaube an das Leben an sich, mit all seinen Schattenseiten und hellen Seiten und ich glaube, dass das alles irgendwie zusammengehört.
Hast du vorher die Bibel gelesen, um dich auf den Dreh vorzubereiten?
Ja, tatsächlich. Deswegen ist mir oft aufgefallen, warum ich nicht daran glauben kann. Ich verstehe den Glauben, aber ich denke, das ist ein Buch, aus dem man irgendwie Inspiration ziehen kann, aber es gibt so viele Geschichten, die so sexistisch und auch so fragwürdig sind, dass ich mir denke, das ist doch irgendwie überholt. Ich verstehe nicht, warum sich immer wieder darauf bezogen wird.
Hast du Lieblingsszenen?
Schwierige Frage … Ich musste tatsächlich für den Film Klavier spielen lernen.
Das hätte ich auch gefragt. Also, musstest du es lernen?
Ja. Ich musste tatsächlich Klavier spielen lernen. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich spiele Gitarre und ich habe früher eine Band gehabt, aber ich habe noch nie Klavier gespielt. An dem Tag, an dem wir diese Szene gedreht haben, wo er auf die Bühne geht, waren echte Jazz-MusikerInnen da, und eigentlich sollten wir nur Playback spielen, doch dann hat das Playback aber nicht funktioniert. Das heißt, wir waren darauf angewiesen, dass wir real miteinander spielen und das war total toll und das hat funktioniert. Ich weiß nicht, ob es eine Lieblingsszene war, aber es war auf jeden Fall eine sehr positive Erfahrung.
Der Film enthält wichtige Zitate wie „Wenn wir nichts tun, machen wir uns schuldig!“. „Nicht handeln ist handeln“. Wie wichtig war es für dich gerade angesichts der aktuellen politischen Lage so einen bedeutenden Film zu drehen?
Ich glaube, dass es wichtig ist zu erkennen, dass Bonhoeffer aus einer durch und durch pazifistischen Haltung zu dem Schluss gekommen ist, unter dem Terrorregime, dem Naziregime, irgendwann zu fragen: Wie weit müssen wir denn gehen?
Das kann irgendwie so nicht enden. Das, was jetzt die sozusagen evangelikale Rechte macht, das für sich zu beanspruchen und zu sagen: „Wir dürfen im Namen Gottes einfach immer zur Waffe greifen“. Das halte ich für fatal. Ich glaube, dass es trotzdem immer wichtig ist, sich für Frieden einzusetzen. Es stellt sich eben die Frage: Was heißt es, als Mensch in dieser Welt zu sein und das Unrecht, das gegenüber Menschen passiert, die aufgrund ihrer Sexualität, ihrer Hautfarbe und Religion diskriminiert und ermordet und ausgegrenzt werden, zu sehen? Was verlangt es von mir? Wie weit muss ich handeln? Das ist natürlich wahnsinnig wichtig.
Kannst du aus der Sicht der Figur, die du verkörperst, die Frage beantworten, ob man von dem Grundsatz „Du darfst nicht töten.“ abweichen kann, um Millionen von Menschen zu retten?
Ich glaube, was bei Bonhoeffer wichtig war, dass er gesagt hat, dass die Auseinandersetzung mit Schuld nie aufgehört hat. Es war nicht ein Freifahrtschein, sondern jemanden zu töten heißt, du nimmst Schuld auf dich und die wirst du nicht los und mit dieser Frage hat sich Bonhoeffer bis zu seinem Lebensende im KZ Flossenburg auseinandergesetzt, dass er sich schuldig gemacht hat. Und das gilt es auch zu berücksichtigen. Es gibt keine Befreiung, das ist kein Märtyrer, der Gott gegeben ist und im Namen Gottes umgebracht hat und deswegen frei von einer Sühne und Schuld ist, sondern du machst dich schuldig und, ich glaube, das ist trotzdem natürlich die Frage des Utilitarismus. In der Frage sind wir jetzt auch ganz konkret, wenn wir uns die Ukraine anschauen zum Beispiel, es ist genau die Frage, in der wir jetzt mehr denn je stecken, in dem Moment, wo die USA Waffenlieferungen gestoppt haben. Was verlangt es von Europa? Wie weit fördert man eine Kriegsmaschine und wie weit ist es aber auch immer eine Unterstützung, dass die Leute sich selbst verteidigen können? Und wie weit ist es die demokratische Verteidigung? Aber ich glaube in dem konkreten Fall von Bonhoeffer ist es sehr wichtig zu sagen, dass er nie daran geglaubt hat, dass das der absolut richtige Weg ist, sondern es ist ein Weg mit Schuld beladen und es ist ein schwieriger, ein grausamer Weg. Es wurden Millionen von Juden ermordet und nicht nur Juden, sondern auch Sinti und Roma und Homosexuelle und Leute mit Behinderung und es hat nicht aufgehört. Ich glaube, dass man das niemals ohne den geschichtlichen Kontext betrachten kann. Man muss es sich immer in dem konkreten Kontext anschauen.
Haben die Dreharbeiten deinen Blick auf die Geschichte verändert beziehungsweise haben die Dreharbeiten dich verändert oder hast du für dich etwas Wichtiges gelernt?
Allein sich mit der Geschichte von Dietrich Bonhoeffer auseinanderzusetzen war natürlich ein wahnsinniges Geschenk und inspirierend und ich glaube aber gleichzeitig auch, was besonders an ihm ist, dass er wirklich versucht hat, irgendwie ein integrer Mensch zu sein zu dieser Zeit und das ist fast schon ein Wunder, dass er versucht hat menschlich zu sein zu einer Zeit, die so davon geprägt war, dass nur 1 % der Bevölkerung damals Widerstandskämpfer waren. Nur ein Prozent. Es ist so viel einfacher, zu sagen: Ich bin nicht betroffen. Das ist Wahnsinn, dass man wirklich Repressalien auf sich nimmt und über sich hinausgeht. Es ist erinnerungswürdig und es stellt wirklich die Frage an uns, dass wir, die nicht direkt betroffen sind, wirklich Ausschau halten müssen für die Leute in unserer Gesellschaft, die leiden und auf deren Rücken sozusagen Politik gemacht wird.
Wie soll der Film deiner Meinung nach beim Publikum ankommen? Welche wichtigen Erkenntnisse soll das Publikum für sich gewinnen?
Ich glaube, das ist in Beziehung mit sich zu treten und sich selber zu fragen, sich zu hinterfragen, dass man wirklich in Kontakt tritt mit seiner Umwelt und mit den Menschen, dass sich das immer lohnt und dass das auch die Hoffnung ist, dass wir in so einer polarisierten Welt irgendwie zusammenkommen und Kräfte entwickeln können, die gegen den Faschismus, gegen den wahren Faschismus, gegen die waren Autokraten angehen können. Dass das, nur wenn wir zusammen Handeln irgendwie möglich ist. Und das funktioniert nur über uns selbst, dass wir uns wirklich mit uns auseinandersetzen und unsere Eitelkeiten über Bord werfen und unseren Egoismus und uns wirklich in Beziehung setzen.
Glaubst du, dass Bonhoeffers Weltoffenheit aus seinem Aufenthalt in den USA resultiert?
Ich glaube zum gewissen Teil auf jeden Fall. Er hat da eine Erfahrung gemacht, die sein Weltbild definitiv verändert hat und im gleichen Maße wie seine Erziehung und das Umfeld, in dem er groß geworden ist, mit seinem Vetter von Dohnanyi, der im Widerstand war. Das gehört auch zur Persönlichkeitsbildung dazu. Und gleichzeitig seine wirkliche, getriebene Suche nach einer Form von Glauben, die über Religion und Kirche irgendwie hinausgeht.
Vielen Dank für das spannende Interview!