Story
Jahrelang hat Carmen „Carmy“ Berzatto als Sternekoch in den besten Restaurants des Landes gearbeitet. Nach dem Selbstmord seines Bruders übernimmt er dessen Imbiss The Original Beef of Chicagoland. Er muss sich jetzt nicht nur mit seiner eigenen mentalen Verfassung herumplagen, sondern auch mit den Befindlichkeiten der eigenwilligen Mitarbeiter sowie mit den Geldsorgen, die ihm sein Bruder mit dem Laden hinterlassen hat.
Info
Bereits im Sommer startete The Bear: The King of the Kitchen in den USA und ist seit kurzem hierzulande exklusiv bei Disney+ erhältlich. Die Staffel besteht aus ingesamt acht Folgen, die eine Laufzeit von jeweils ca. 25 Minuten haben. Ausnahme ist die finale Episode, die rund 45 Minuten lang ist. Eine zweite Staffel erhielt bereits grünes Licht und wird für nächstes Jahr erwartet. Die Serie liegt bei Disney+ nur in der OV- sowie as OmU-Fassung vor. Während unserer Sichtung wurden nach und nach andere Sprachfassungen hinzugefügt. Es könnte also sein, dass eine deutsche Synchronisation noch folgt (Stand: 09.Oktober 2022). Update: Die deutsche Synchro ist seit dem 10. Oktober 2022 verfügbar.
Kritik
Wer dachte, das Thema Kochen würde sich im medialen Bereich erledigt haben, sobald Streamingdienste das lineare Fernsehen ablösen, dürfte mittlerweile konsterniert festgestellt haben, dass das Thema selbst in heutigen Zeiten immer noch geliebt und gleichsam verachtet wird. Der Unterschied: Neben piefigen Kochshows, in denen man zu achten Mal vorgekaut bekommt, wie man Rosmarin richtig verwendet, gibt es (im TV sowie bei den Streamingdiensten) temporeiche Kochsendungen, die meist mehr an eine Entdecker- oder Talkshow erinnern, als an die Zeiten, als Clemens Wilmenrod den Toast Hawaii erfand. Trotz dieser nicht enden wollenden Überflutung von Koch-Content, bleibt die Arbeit in einer professionellen Restaurantküche für die meisten ein weißer Fleck auf der Landkarte. Klar, wir kennen die Klischees, eine Parade, die aus Brüllen, Leidenschaft und einer Art strikten Ehrgefühl gegenüber des Beruf besteht. Koch ist keine Arbeit, es ist eine Leidenschaft. Diese tot gerittenen Schlagwörter und Phrasen lassen sich nun auch in The Bear: The King of the Kitchen finden, einer neuen Hulu-Serie, die es nach einiger Wartezeit nun auch in Deutschland gibt (seit dem 5. Oktober 2022 auf Disney+).
Erzählt wird von Carmy, der jahrelang in den besten Küchen der Welt gearbeitet hat und nach dem Suizid seines älteren Bruders Mikey (in Rückblenden von Jon Bernthal gespielt) dessen Imbiss in Chicago übernimmt. Dort herrschen klare, alteingesessene Chaos-Strukturen, die Carmy mit seinem Koch- und Organisationsstil ordentlich ins Wanken bringt. Plötzlich soll jeder als „Chef“ angesprochen werden, Aufgaben werden klarer verteilt und die ebenfalls in der Haute Cuisine ausgebildete Sydney stößt als Neuling zur Crew hinzu, die früher klar unter dem Kommando von Mikeys bestem Freund Ritchie stand, der jede Veränderung nicht nur argwöhnisch beäugt, sondern sie gerne auch mal sabotiert und seine harsche Kritik lautstark und meist in beleidigender Form äußerst.
Carmy kann einem wirklich leidtun. Mikey hinterließ ihm nicht nur einen schmuddeligen Imbiss (natürlich taucht irgendwann das Gesundheitsamt auf), sondern auch Geldsorgen und eine Schwester (Abby Elliott), die ähnlich wie Carmy nicht wirklich weiß, wie sie mit dem gewählten Freitod ihres großen Bruders umgehen soll. Alleine in der ersten von insgesamt acht Folgen der ersten Staffel ballert die Serie Carmy sowie uns Zuschauern mit Impressionen von Küchenstress, Komplikationen jeglicher Form und psychischem Schäden zu. Showrunner Christopher Storer, dessen Schwester selbst Profiköchin ist und bei der Serie als Beraterin tätig war, kennt keine Gnade. Wenn man als Zuschauer*in das Gefühl von kompletter Überforderung erreicht hat, fängt The Bear: The King of the Kitchen erst richtig damit an, den Stressregler nach oben zu drehen.
Oft schon wurden die Küchenszenen der Serie mit Uncut Gems von den Safdie-Brüdern verglichen. Ergibt Sinn. Genau wie der Film werden hier einzelne Prozesse in ein lautes, zittriges und niemals stillstehendes Biest verwandelt. Da ist es überaus passend, dass die erste Folge mit einer Traumsequenz beginnt, in der Camry einen Bären aus einem Käfig befreit. Wer es gemütlich mag, sich bezirzen will mit großen, epischen Szenerien und es gerne hat, wenn Geschichten vor Figuren überborden, dürfte hier wenig Freude habe. Christopher Storer, der zuvor mit Bo Burnham zusammengearbeitet hat, erschafft einen kleinen, aber vitalen Kosmos.
Mit Camry, Sydney und Ritchie gibt es drei charakterliche Ankerpunkte. Der Rest von Camrys Familie sowie die überzählige Küchencrew bleiben nicht außen vor, erhalten aber bloß kleinere Entfaltungsräume. So bleibt Marcus (Lionel Boyce) stets der Typ, der die besten Donuts machen will. Mehr Entwicklung hat er nicht, aber mehr braucht er in der ersten Staffel auch nicht. Es wird simple aber präsent klargemacht, dass genau dies seine Leidenschaft, sein Ziel ist. Wir bekommen immer wieder Eindrücke davon, wenn uns der Küchenwirbel kurz in sein Refugium lässt.
Wirbel ist kein verbale Maßlosigkeit, um diesen Text hier auszuschmücken, sondern die passende Beschreibung für die unzähligen Küchenszenen in The Bear: The King of the Kitchen: Atemlos sowie erdrückend wirbelt die Kamera in der kleinen Restaurantküche umher. Überall zischt und blubbert es, verschwitzte Stirnen und Fett besudelte Schürzen führen einen Tanz auf. Teller klackern, Töpfe scheppern, Gläser klirren, Stimmen werden lauter, leiser, überschlagen sich und immer wieder bekommen wir in all dem Stress Essen zu sehen, welches weit entfernt von Food Porn ist, aber dennoch einem das klassische Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
Ein klares Highlight ist die vorletzte Episode, die ein einziger One-Take ist und wahrscheinlich mit das stressigste, aber zeitgleich auch stärkste ist, was es dieses Jahr im Serienbereich zu sehen gab und wohl noch sehen sein wird. Das besonders Schöne: Dieser und andere kleinere One-Takes wirken organisch und nicht wie eine umgesetzte Konzeption. Allgemein gibt es, mal abgesehen von den zwei, drei Traumszenen, in The Bear: The King of the Kitchen keinen erkennbaren Drang einer Kunstgewerblichkeit zu folgen. Die Umsetzung steht stets im Dienste der Geschichte und der Charaktere. Zu oft schon dienten Planungssequenzen rein als verkrampfte Demonstration des filmischen wie technischen Handwerks, ohne aber wirklich der Geschichte und den darin enthaltenen Figuren einen Mehrwert zu bringen. Nicht bei Christopher Storer und seinem Team, zu dem auch Atlanta- und Barry-Produzent Hiro Murai gehört.
Es ist aber nicht nur so, dass die Serie einzig den unstillbaren, niemals enden wollenden Rausch kennt. Gegen Ende der ersten Staffel gibt es einen fast zehnminütigen Monolog, der aus einem Shot besteht und vollkommen auf jegliche Art von Zuckungen der Kamera verzichtet. Ebenfalls ein herausragender Moment in dieser ersten Staffel, die sich nicht nur um das Aufeinandertreffen zweier kulinarischer Welten dreht, sondern auch um Traumata. Es ist bewegend, wie Camry sich dagegen sträubt, den Laden seines Bruders aufzugeben, wie er im Strudel aus Erwartungen, Kritik, Überforderungen und seelischer Ohnmacht versucht, nicht selbst die Weiße Fahne zu hissen. Dabei verlieren die Macher niemals das Menschliche aus den Augen und Menschen sind nun mal ambivalent.
The Bear: The King of the Kitchen erlaubt es jeder Figur, ihre Ambivalenz aufzuleben. Gut sichtbar vor allem bei Ritchie, den man wunderbar unsympathisch, unangenehm und unbelehrbar finden kann und vermutlich soll man dies auch. Aber immer wieder gibt es Facetten, Momente und Erkenntnisse, die uns klar aufzeigen, warum er so ist, warum er so handelt, ohne seine negativen Seiten aber verklären zu wollen. Ebon Moss-Bachrach (aktuell auch in Andor auf Disney+ zu sehen) spielt diese Rolle grandios und wenn wir schonmal dabei sind, auch Ayo Edebiri (How It Ends) als Sydney ist eine Wucht. Der klare Star ist aber fraglos Jeremy Allen White, den viele noch als Lip aus der langlebigen Dramedy-Serie Shameless kennen. Seine Darstellung des Camry ist eine Meisterleistung. Nicht nur, dass er es gut spielt, dass er die Psyche der Figur nonverbal transportiert, es ist vor allem seine Präsenz. Er scheint einfach so eine Art von Typ zu sein, der ungezwungene Coolness und ehrliche Verletzlichkeit nonchalant kombiniert. Ja, er hat was von James Dean. Dass die Serie modisch gerade für Aufsehen sorgt (zumindest laut NZZ), liegt wahrscheinlich auch an ihm.
Fazit
Nach acht Folgen The Bear: The King of the Kitchen fühlt man sich ausgelaugt. Die Kraft hat einen verlassen und dennoch tut es gut. Es kann gerne kritisiert werden, dass hier im Grunde keine wirklich neue Geschichte erzählt wird, aber alles an der Serie wirkt lebendig, echt, ungefiltert und rein. Schon lange gab es keine Figuren mehr, die so menschlich wirkten und schon lange gab es keine Serie, die so engagiert darin war, uns diese Menschen näherzubringen, mit all ihren Stärken, Schwächen und Eigenheiten. The Bear: The King of the Kitchen zeigt uns eine kleine Welt, lehrt uns etwas über den Stress in der Gastronomie und spinnt daraus eine Erzählung, in der trotz aller Dramatik und Tragik auch immer etwas Raum für ungekünstelte Komik besitzt. Diese Serie fühlt sich einfach richtig an! Ein Gefühl, von dem andere, größere Vertreter weit entfernt sind. Für dieses Gefühl wird kein Droide, Ork oder Drache benötigt, sondern Menschlichkeit.