Sechs Spielfilme hat Christoph Hochhäusler bereits gedreht, ein siebter ist gerade am Entstehen. In einer der beiden Positionen widmet die Diagonale dem deutschen Filmemacher eine umfassende Werkschau und ergänzt die Vorstellungen um großzügige Nachgespräche mit Hochhäusler selbst. Für eine Veranstaltung, die gemeinhin auch als Festival des österreichischen Films bekannt ist, mag das unpassend anmuten, schließlich hat der Regisseur auf den ersten Blick keinen erkennbaren Österreichbezug. Als ein Versuch, den Blick des Festivals zu weiten und dadurch vielseitigere Stimmen zuzulassen, ist das jedoch ein geglücktes Experiment, denn Hochhäuslers Werk zählt zweifelsohne zu den interessantesten Beiträgen, die der deutschsprachige Film in den vergangenen 25 Jahren hervorgebracht hat.
Sein erster Kurzfilm Fieber, der als Vorfilm zu Milchwald gezeigt wurde, ist jedoch noch weit von dieser Form entfernt. Hochhäusler betonte vor dem Screening selbst, dass er sich in seinem späteren Schaffen schnell davon wegbewegt hat. In knapp 15 Minuten zeigt Fieber den bestimmenden Paul, welcher der Videotechnik verfallen scheint und mit voyeuristischer Neugier seine Schwester Vera in vermeintlichen Alltagssituationen filmt. Die düsteren Bilder wirken dabei eher wie ein erster Gehversuch, wie ein Erproben der filmischen Mittel und Möglichkeiten und weniger wie ein kohärent durchdachter Film.
Umso erstaunlicher dafür Milchwald. Ein Spielfilmdebüt, ein Abschlussfilm, der auf der Berlinale uraufgeführt wurde und international für große Resonanz gesorgt hat. Als moderne Variation von Hänsel und Gretel beginnt der Film damit, dass Sylvia ihre beiden Stiefkinder Lea und Konstantin am Straßenrand Nahe der deutsch-polnischen Grenze zurücklässt. Was im Grimm’schen Märchen noch von reiner Böshaftigkeit zeugt, ist in Milchwald um ein Vielfaches komplexer. Sylvia hadert und zweifelt, Sylvia fährt weg und kehrt wieder um, aber da sind die Kinder bereits verschwunden und haben sich auf eigene Faust auf den aussichtslosen Rückweg gemacht. Im Gegensatz zur losen Vorlage werden den Figuren im Milchwald komplexere Emotionen zugetraut. Ihre Aktionen und Motivationen sind von Ambivalenz geprägt und reichen weit über die klassischen Zuschreibungen von Gut und Böse hinaus.
Dabei ist der komplette Film ist von einer Hoffnungslosigkeit durchzogen, der sich auch in den Kulissen und Schauplätzen widerspiegelt. Etwa ein verlassenes Amphitheater, an dessen Rand eine futuristisch anmutende Telefonzelle steht oder das neugebaute Einfamilienhaus der Familie, das von Innen noch mit Plastik verkleidet ist und vielleicht nie fertiggestellt wird. Nichtorte, wie man sie in den Filmen der Berliner Schule immer wieder finden wird. Sie spiegeln das Innenleben der Figuren, in langen Einstellungen bilden sie eine Einheit und es entsteht der Eindruck, dass man ihre Gedanken beinahe hören kann. Gedanken über die Unmöglichkeit des bürgerlichen Lebens. In Milchwald wird kein Ausweg gezeigt, nur Individuen in einer Gesellschaft, denen jegliche Form von Glück bereits abhandengekommen ist.
20 Jahre später folgt mit Bis ans Ende der Nacht Christoph Hochhäuslers bis dato aktuellster Film. Eine Kriminalgeschichte, die man nur auf den ersten Blick mit einem Tatort verwechseln kann. Zu gekonnt sind dafür die Anleihen an den Film Noir, zu geschickt die Auseinandersetzung mit der Transidentität der Protagonistin Leni (Thea Ehre). Diese soll als verdeckte Ermittlerin einen Drogenboss überführen. An ihrer Seite ihr Expartner, der schwule Polizist Robert (Timocin Ziegler). Was in der Zuschreibung wie ein billiges Klischee wirkt, kostet Hochhäusler voll aus und spätestens in den letzten Szenen wirkt es so, als würde er sich über den ernsten und leidenden Polizisten lustig machen. Es sind solche Brüche mit dem Bekannten, die immer wieder stattfinden und den Film aus einem Einheitsbrei deutscher Kriminalgeschichten hervorheben.
Zwischen Milchwald und Bis ans Ende der Nacht liegen 20 Jahre. Eine lange Zeit, in der sich Hochhäuslers Stil merklich verändert hat. Auch wenn er gewissen Ideen und Konzepten treu bleibt, scheint es ihm wichtig, sich stetig neu zu erfinden. Was bleibt, ist ein Interesse für Figuren, die in Rollen schlüpfen oder darin hineingedrängt werden. Unklar ist dabei oft, wem sie damit etwas vormachen wollen, sich selbst oder den Anderen. Erfolgreich sind sie damit jedenfalls nie. Ihre Versuche sind von Beginn an zum Scheitern verurteilt und die Täuschung geht nicht auf. Inwiefern sich das in Hochhäuslers neuem Film wiederholen wird, ist noch offen. Man darf gespannt sein, wohin die Reise geht und welche Welten er darin ergründen wird.