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Film als Sprache

von Zeitgeist

Jeder kann einen Film sehen, doch nur die wenigsten können einen Film lesen. Doch was braucht es, um einen Film wirklich zu verstehen, einen Film zu lesen? Diese Kolumne soll einen Einblick in die psychologischen Vorgänge und Wirkungen des Mediums Film geben, damit auch ihr am Ende in der Lage seid, einen Film mehr als nur zu sehen.

Als im frühen 20. Jahrhundert die ersten Lichtspielhäuser, ehemalige Theater, ausgestattet mit Projektor und Leinwand, ihre Pforten öffneten und das Kino somit gesellschaftsfähig wurde, mussten die Menschen erst lernen, wie dieses neue Medium zu verstehen ist. Vice versa wiederum mussten die Regisseure lernen, wie sie mit dem Publikum umgehen können. Nur langsam und vorsichtig begannen die Filmemacher neue Techniken auszuprobieren. Wenn wir uns heute Die Reise zum Mond (1902) des Filmpioniers Georges Méliès ansehen, werden uns die langen Einstellungen* ohne Schnitte und der überwiegende Gebrauch von Totalen* auffallen. Was wir heutzutage als langweilig und seltsam betrachten, war damals aktueller Stand der Technik. Viel wichtiger aber, es war damals das, was das Publikum aus dem Theater gewohnt war. Hektische Schnitte und Zeitsprünge hätten die Zuseher 1902 verwirrt und möglicherweise sogar Schwindel und Übelkeit, ähnlich der Motion Sickness von heute, verursacht. Anhand dieses Beispiels erkennen wir, das Film erst gelernt werden muss, um verstanden zu werden.


Bilder sind Abbilder

Wenn wir das Foto einer Rose betrachten, würden die meisten behaupten, dass sie eine Rose sehen. Doch in Wahrheit sehen sie nur das Abbild einer Rose. Die Blume selbst aber sehen sie nicht. Um das genauer zu erforschen wurde in den 60ern die Lehre der Zeichen, die sogenannte Semiotik entwickelt. In diesem Zweig der Wissenschaft werden Kommunikationssysteme untersucht, wobei Zeichensysteme besonders im Mittelpunkt stehen. Als eines der bekanntesten Beispiele dient uns in diesem Artikel der Baum. Das Wort Baum ist ein gelerntes Symbol, eine willkürliche Aneinanderreihung von Zeichen in Form von Buchstaben. In der Semiotik wird dies als Signifikant (auch Bedeutendes, Bezeichnendes) bezeichnet. Das echte Objekt, der reale Baum hingegen, als Signifikat (auch Bedeutetes, Bezeichnetes). Beim Film werden sogenannte Kurzschlusszeichen verwendet, wo Signifikat und Signifikant fast ident sind, wie das obere Beispiel mit der Rose.

Ikon, Index und Symbol

Zeichen stehen für etwas, ohne das Dargestellte selbst zu sein. Am einfachsten zu verstehen ist das Ikon. Ein Ikon ist ein Zeichen wo Signifikant und Signifikat annähernd ident sind, ähnlich dem vorher erwähntem Kurzschlusszeichen. Damit sind jetzt aber nicht nur klassische Icons, welche wir zum Beispiel aus dem Internetalltag kennen, gemeint, denn der Begriff Ikon umfasst theoretisch alles, was wie das Objekt selbst aussieht, aber nicht das reale Objekt selbst ist. Im Film nicht schwer zu finden. Neben dem Ikon gibt es noch das Symbol, dass sich maßgeblich von jenem durch die willkürliche Darstellung ohne Ähnlichkeitsbezug unterscheidet. Unter diese Kategorie fallen auch die menschlichen Sprachen. Sprache ist nicht von Natur aus gegeben, sie wurde von Menschen geformt und geschmiedet. Als letztes gibt es noch den Index, welcher inhärent auf etwas hinweist. So weist etwa die Anwesenheit von Rauch auf Feuer hin. Der Index spielt besonders dann eine Rolle, wenn es um die Darstellung von Gefühlen oder Empfindungen geht. Somit steht ein zärtlicher Kuss stellvertretend für die Liebe, Schweiß auf der Stirn aber wiederum für Hitze. Wer jetzt aber auch an Nervosität gedacht hat, liegt damit auch richtig, denn wie so vieles im Leben, kommt es auch beim Index auf den Kontext und Kulturkreis an.

Denotation und Konnotation

Wenn wir wieder das Bild einer Rose betrachten, gibt es drei Ebenen, wie wir es wahrnehmen können. Die erste Ebene ist die lexikalische Ebene. In unserem Beispiel ist die Rose eine Blume aus der Familie der Rosengewächse. Dies wird auch als Denotation bezeichnet. Dann gibt es noch die Konnotation: was wird einer Rose zugeschrieben? Ein Rose steht im Allgemeinen für Liebe und Romantik. Desweiteren assoziiert jeder Mensch wiederum etwas anderes mit einer Rose. Vielleicht erinnert sie an einen geliebten Menschen oder aber auch an einen schmerzhaften Sturz in den Rosengarten? Das ist die Ebene der Assoziation.

Metonymie und Synekdoche

Abschließend behandeln wir noch kurz den Unterschied zwischen einer Metonymie und Synekdoche, beides wichtige Werkzeuge eines Filmemachers. Der Einfachheit halber beginnen wir mit der Synekdoche. In der Germanistik ist es dann der Fall, wenn ein Begriff durch einen anderen ersetzt wird und dieser ein reeller Teil von dessen ist. Als Beispiel nehmen wir hier eine Nahaufnahme einer Felge. Sofort erkennen wir, dass es sich hierbei um ein Auto handeln muss. Die Felge steht stellvertretend für das komplette Fahrzeug. Anders hingegen sieht es bei der Metonymie aus. Zwar wird hier wie bei der Synekdoche ein Begriff durch einen anderen ersetzt, aber jetzt ist es nicht mehr notwendig, dass der neue Begriff ein Teil vom Ersetzten ist. Ähnlich dem Index ist eine reale Beziehung notwendig. Zum Beispiel: ein Glas trinken oder den Rauch eines Feuers sehen.

Was für uns ein gemütlicher Abend auf der Couch oder im Kino ist, ist für unser Gehirn Hochleistungsarbeit. Bevor wir ein Bild verarbeiten können, durchläuft es viele Stationen, angefangen bei unseren Augen, dem Sehnerv und ganz zum Schluss das Gehirn, wo es im besten Fall im Langzeitgedächtnis gespeichert wird. Um aber diesen Sprung zu schaffen, ist es notwendig zu verstehen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Nur so können Filmemacher Werke schaffen, die auch Jahrzehnte nach der Veröffentlichung noch begeistern.

Sollte für euch dieser Artikel zu theoretisch gewesen sein, könnt ihr euch vielleicht schon auf den nächsten Beitrag freuen, wo wir uns das Thema Schnitt und Einstellungsgrößen genauer ansehen.

(Zeitgeist)


Einstellung: durchgehende Aufnahme bzw. Bildabfolge bis zum nächsten Schnitt
Totale: Personen und Gruppen werden vollständig in der Landschaft abgebieldet, um einen Überblick über das Geschehen zu geben

Das Wissen wurde aus James Monaco's Standardwerk "Film verstehen" (4. Auflage, 3. Kapitel, Filmsprache: Zeichen und Syntax) sowie "Mediengeschichte" (2. Auflage) von Andreas Böhn und Andreas Seidler entnommen.

Der Beitrag war bereits am 4. Dezember 2017 online, wurde aber noch einmal überarbeitet und ist daher erneut als Special zu finden.

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