Neugierig streift die jugendliche Myla in Geneviève Dulude-De Celles Langfilmdebüt Eine Kolonie durch die Wälder. Sie gerät an einen Pferdezaun, schließt die Augen und berührt ihn. Ein kurzer Schock, der Schmerz und Erlösung vereint. Für das schüchterne Mädchen ist die Welt eine einzige Mutprobe: In der Klasse, auf Partys und immer mehr in der Familie. Eine Kolonie ist einer der direktesten Coming-of-Age Filme der letzten Jahre: Celles versteht sowohl die Ungewissheit, sowie die Unaufhaltsamkeit des Weges in das Erwachsenenalter, genau wie dessen Schönheit.
In vielen Filmen des diesjährigen Festivals bewegen sich die jugendlichen Protagonisten in einer Schwebezone des Zweifelns und der Bestimmung. Anna Eborn dokumentiert in Transnistra auf 16mm Aufnahmen den Sommer einer Gruppe russischer Jugendlicher im post-sowjetischen Russland, wohl eine Art Zeitkapsel einer vergangenen Gegenwart, während in Blaise Harrisons Particles die neue Generation wortwörtlich beginnt sich aufzulösen. In dem Ansatz einer vorbestimmten Jugend erweist sich aber der Debütfilm der Australierin Shannon Murphy Babyteeth als am meisten nachwirkend. Eliza Scanlen spielt die junge, an Krebs erkrankte Milla, die neben ihrer Krankheit sich auch durch die erste Liebe manövrieren muss. Murphys Film ist ein quietschbunter, sich in seiner Verspieltheit manchmal etwas verlaufender, aber letztendlich zutiefst entwaffnender Abschied von der eigenen Unschuld, welcher der Perspektive seiner Protagonistin mit mehr Respekt begegnet, als es jeder Das Schicksal ist ein mieser Verräter oder Ich und Earl und das Mädchen jemals könnte.
Genauso ungewiss scheint das Euvre von Xavier Dolan inzwischen anzumuten. Sein neuer Film Matthias & Maxime lässt die inszenatorische Energie seiner früheren Werke vermissen, genau wie das Interesse an seinen Figuren. Dolan bewegt sich inhaltlich zwischen Telenovela und Belanglosigkeit. Das Feingefühl, mit denen der kanadische Regisseur den verwirrten Identitäten seiner Charaktere immer begegnete wird ausgetauscht durch eine befremdliche Interpretation der „Bro-Culture“. Ebenso wirkt sein Verständnis junger Menschen auf einem Wendepunkt im Leben selten so altbackend, wenn etwa eine Filmstudentin laut „OMG“ in ihrem verbalen Satzbau aufschreit. So überambitioniert und zum Scheitern verurteilt The Death & Life of John F. Donovan auch war, die aggressive Art Kino steht Dolan deutlich mehr als die Seichte.