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Filmkritiker im Gespräch: Lucas Curstädt und die Zweite Produktion

von Maximilian Knade

Maximilian: Wir haben uns nun bereits über linke und rechte Ideologiekritik unterhalten und Du meintest, man könnte auch als linker Ideologiekritiker gewissermaßen etwas von der rechten Ideologiekritik lernen. Was kannst Du von liberaler Filmkritik lernen?

Lucas Curstädt: Als liberaler Filmkritiker freut man sich über veränderte Repräsentationsformen im Kino, über Formen der Diversität und zählt die Frauen und schwarzen Charaktere. Das halte ich für einen sehr eingeschlossenen und auch mühseligen weil unproduktiven Kosmos, der sich mit dem Werk als Kunstform, mit der Filmästhetik und der Filmtheorie gar nicht mehr viel beschäftigt. Doch können wir von einer liberal-ästhetischen Filmkritik, wie sie ein Norbert Grob geschrieben hat, noch einiges lernen. Der hat nämlich Film als Kunstwerk zunächst oberste Priorität eingeräumt hat und dann auch das Schreiben von Filmkritik als Kunstwerk betrachtet.

Maximilian: Es gibt viele andere politische Ansätze, sich einem Film zu nähern. Ich denke beispielsweise an feministische Filmkritik. Siehst du in der Beschränkung auf ein fokussiertes Thema, das enger ist als eine Ideologiekritik, ein Problem?

Lucas Curstädt: Es braucht zunächst einmal ein Diskursfeld mit verschiedenen Perspektivpotenzialen auf den Film, die nebeneinander stehend einen offenen Diskurs ermöglichen, der zu einer Meinung führt, die immer aktualisiert werden muss. Wir müssen es demnach schaffen, verschiedene Zugänge zum Medium zu ermöglichen, zu denen meinetwegen auch die Servicekritik hinzugehört. Das erkennt man auch an dem von Dir genannten Beispiel: Es lässt sich nicht von dem einen Feminismus sprechen und insofern auch nicht von der einen feministischen Filmkritik. Die feministische Filmtheorie auf die ich mich gerne beziehe, ist theoretisch interessanter, als das was wir heute haben, wenn es zum Beispiel um den Bechdel-Test geht.. Ich denke da an jemanden wie Laura Mulvey, die sich die Frage gestellt hat, wie wir die männlich dominierte Blickstruktur und die Fetischisierung der Frau durch diesen Blick der Filmkamera verändern können. Doch genau wie bei Adorno gilt es an dieser Stelle, diese Perspektive nicht als absolut zu verstehen, denn ansonsten ist am Ende jeder Filmblick männlich geprägt und jede Diskussion erübrigt sich.

Maximilian: Filmkritik bleibt oftmals oberflächlich, zählt die von Minderheiten besetzten Rollen in einem Film und übersieht dabei die Ideologien hinter Machwerken wie „Black Panther“. Es besteht sicher kein Zweifel, dass auch hinter dieser politisch-progressiven Herangehensweise ein guter Wille steht. Sollte man politische Filmkritik dennoch den Profis überlassen? Also beim Beispiel der feministischen Filmkritik jenen, die feministische Theorien von Butler, de Beauvoir und Co. rezipiert haben?

Lucas Curstädt: Das ist die schwierige Frage: Darf ein Jordan Peterson erst in einen Diskurs mit Slavoj Žižek über Marx treten, wenn er alle marxistischen Werke gelesen hat und nicht nur das kommunistische Manifest? Ich glaube es ist kaum möglich, sich alles zu einem Themenkomplex anzulesen, selbst dann, wenn man Doktorarbeiten darüber schreibt. Ich halte es auch nicht für richtig, jemanden aufgrund vermeintlich mangelnder Kenntnisse im Vorhinein ausschließen, denn das setzt a priori Normativität: Was braucht es z.B., um sich bei einem Film politisch zu äußern? Ich würde sagen, dass es darum gehen muss, erst einmal alle Stimmen zum Diskurs zuzulassen und es schwierig genug, sie alle vernehmbar werden zu lassen. Es bringt wenig im Sinne Habermas zunächst Regeln der Vernunft aufzustellen und damit bereits zu selektieren. Es gilt, für eine Dominanz des Diskurses zu kämpfen, ein starkes Gegenstück zu dem zu erschaffen, was vorherrschend ist. Zum Beispiel in dem „Black Panther“ als ein progressives Meisterwerk des Neoliberalismus bezeichnet wird, als eines mit einer archaischen Ideologie, die uns sagt, das Protektionismus eigentlich gar nicht so schlecht ist. Wenn die Ideologiekritik dabei ein gallisches Dorf darstellt, dann geht es darum, die Grenzen des gallischen Dorfs auszubauen.

Maximilian: Der ideologiekritische Blick wird oftmals als etwas Elitäres empfunden, als eine Perspektive, die von oben herab auf die Denkweise der breiten Masse herabblickt. Das liegt nicht zuletzt an einem oftmals akademischen Stil, der sich gerade heute dem immer stärker werdenden Imperativ der Lockerheit entzieht. Kannst Du diesen Vorwurf nachvollziehen?

Lucas Curstädt: Sicherlich sucht man sich mit seinem Zugang eine Möglichkeit, sich von etwas Bestehendem abzugrenzen. Das kann man durchaus als elitär ansehen, wenn man denn möchte. Ich glaube, es geht auch darum, eine Perspektive zu finden, die sich klar vom Gegenwärtigen unterscheidet, um nicht nur auffallen zu können, sondern auch um den Diskurs zu erweitern. Der Vorwurf an das Akademische ist legitim und es ist die Kunst und zugleich die Aufgabe z.B. meiner Analysen, dem Akademischen das Unnahbare zu nehmen, ohne das Akademische als Werkzeug zur Erkenntnis zu entkernen. Servicekritik versucht sich dagegen auf das festzulegen, was der Zuschauer aus seiner angeblichen Natürlichkeit schon immer sehen wollte. Ich aber versuche mit meiner Ideologiekritik den Film und das Publikum tatsächlich ernst zu nehmen. Dass dabei eine Reibung entsteht, die sich auch darin äußert, dass Habitus, Auftreten oder Setting kritisiert werden, ist legitim. Aber wird die Ernsthaftigkeit gegenüber dem Publikum und dem Kunstwerk einmal akzeptiert, dann sind auch schon die Inhalte spannender und diskussionswürdiger, als irgendeine Formalität. Und damit muss es gehen. Ich bin generell der Auffassung, dass der Dissens im Gegensatz zum Konsens – und das zeichnet die liberale Filmkritik viel zu stark aus, weil sie allen gerecht werden will – überhaupt erst Diskurs ermöglichen und damit etwas Politisches schaffen kann. Darum muss es im Endeffekt gehen. Film ist Teil des politischen Diskurses.


Zu guter Letzt hat uns Lucas Curstädt auf Nachfrage ein paar Film- und Literaturempfehlungen hinterlegt: 

Literatur: 

"Für einen linken Populismus" von Chantal Mouffe

"Unsere breite Gegenwart" von Hans Ulbrich Gumbrecht

"Die Künste des Kinos" von Martin Seel

"Der Leihkörper. Erkenntnis und Ästhetik der Illusion" von Christiane Voss

Filme/Serien: 

Sie Leben! von John Carpenter 

Acht Stunden sind kein Tag von Rainer Werner Fassbinder

Zwei Tage, eine Nacht von Jean-Pierre Dardenne und Luc Dardenne

Work Hard - Play Hard von Carmen Losmann


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