Bildnachweis: http://www.listal.com/viewimage/6325909

Flimmerkiste: The Wolf of Wall Street

von Sascha Wuttke

Eines hat Scorsese wieder mal erreicht: Man spricht darüber. Sein Werk hat wieder so viel Substanz versprüht, dass die inszenatorische Auslegung (man ist wirklich erstaunt über den Grad der Freizügigkeiten) Interpretationen zulässt. Das schafft Gesprächsstoff, und so hat der Film selbstverständlich sein Ziel erreicht. Allerdings ist die Methode ein wenig zu brachial gewählt. Einzig der Aufbau Belforts eigener Firmenstruktur weiß hier zu überzeugen, doch verwässert sich Erfolg und Auswirkung schnell den eigenen Kritikanspruch. Irgendwann passiert dann doch der Schnappschuss, der die Person zu dem macht, was des Kinos Anspruch ist, nämlich Kunst und die Freiheit, Kritik zu üben. Doch da ist der Mensch Belfort schon längst wieder clean und sterbensgelangweilt, und das passt der Blockbusterfraktion teils wieder zu gut in den Kram. Sind wir mal ehrlich: Oberflächenbehandlung ist doch viel besser, als moralisch in die Mottenkiste gesteckt zu werden und nach Rissen zu suchen. Lassen wir unserer Fantasie mal freien Lauf - da wartet der Reichtum schon vor der Türe. Wer ist da denn nicht versucht, den Schlüssel umzudrehen?

Bleibt letztlich noch der aktuelle Bezug herzustellen, den Goldman Sax, Lehman Brothers und Konsorten verursacht haben mögen. Die Aussage meint: Es ist noch nicht vorbei. Und ja doch, Belfort war nur die Verkörperung der Post-Gordon-Gekko-Ära, vielleicht saß jemand von den Großbanken ja im Seminarraum und schaute lemminggleich fasziniert in das Gesicht des ehemaligen Brokers. "Verkaufen Sie mir diesen Stift!", fordert er die erste Reihe dazu auf, erwähnte aber nicht einmal, dass er sich diesen vielleicht hinten durch die Kimme gezogen hatte. Egal - er hätte aus Exkrementengeruch mit der richtigen Masche Parfüm zaubern können. Wer ist also der Depp? Er selbst oder alle, die seinem Beispiel folgen wollen?

Und so passt Scorseses Beitrag zu sehr in das Konstrukt der Verkaufsstrategien. Das "Wie" ist entscheidend. Würde der Altmeister in einer typisch trockenen, sachlichen Art seine Aussage zu Papier bringen, wäre die Aufmerksamkeit in den kleinen Kinos gelandet, irgendwo zwischen einer öden Reportage und dem Stammtischbier, wo ein Thema auch nicht ansatzweise zur Haustür hinausdringt. Laut durfte es sein, aggressiv und in der Methode ins Auge springend. Das erzeugt die Aufmerksamkeit, die eine kritische Thematik braucht. Ich habe es, so denke ich, verstanden, doch was ist mit jenen Lemmingen, die sich nicht in eine Materie hineindenken? Man läuft Gefahr, weitere von diesen nimmersatten Fettsüchtigen zu kreieren, die trotz Toupée und Kurzsichtbrille die weibliche Anatomie beherrschen oder sich das Recht erwarben, ihre Goldfischgläser zu reinigen. Leider ist der Film eben genau hier so offen wie die Hintertür, die einen Einbrecher zum Beutezug einlädt.

Wie gesagt: Über "The Wolf of Wall Street" wird zu sprechen sein. Ich hatte meinen Spaß an den tollen Schauspielerleistungen, an den teils zum schallenden Gelächter einladenden Szenen, an der kritischen Substanz, die der Titel verspricht. Doch sagt mir mein Moralverständnis ganz hinten im Oberstübchen: "Lass es sein, es ist nicht lustig - es ist tragisch." Und hier verließ mich in Bezug auf Andere mein Rechtsdenken. Ich hoffe, dass jeder es so versteht wie gezeigt. Dass die Aussage, so fadenscheinig sie auch dargestellt sein mochte, auch irgendwo fruchtet. Und in diesem gedanklichen Dilemma im Kinosaal zu sitzen und über das Gezeigte zu reflektieren, hat bei mir die richtigen Knöpfe gedrückt. Ich habe wenigstens gefragt, ob an dem Kugelschreiber alles in Ordnung ist. Andere hätten das wohl nicht getan...

Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.