Bildnachweis: © PLAION PICTURES | Promobild zu "Geister"

"Geister": Die komplette Lars von Trier Serie - Kritik

von Miriam Aissaoui

Story

Im königlichen Reichskrankenhaus von Kopenhagen, dem größten Hospital Dänemarks, regieren unter weißen Laken und hinter verschlossenen Türen Wahnsinn und Übersinnliches. Ein Phantom-Krankenwagen meldet jede Nacht sein Kommen an, verschwindet dann aber spurlos. Im Aufzug spukt der Geist eines jungen Mädchens, und der Fötus einer schwangeren Ärztin entwickelt sich beunruhigend schnell. Ein Fall für Frau Drusse, Dauerpatientin mit Hang zum Spirituellen.

Kritik

Lars von Trier (geboren 1956 in Kopenhagen) hat sich - nicht zu unrecht - einen Namen in der Filmszene gemacht und liefert mit jeder neuen Veröffentlichung Anlass zu Kritik und kollektiven Empörungen, wenn er auf hoch unkonventionelle Art Grenzen überschreitet und Tabus bricht. Von Dogville, über Nymphomaniac bis hin zu seinem neusten Film The House That Jack Built, weiß derRegisseur anzuecken, abzustoßen und Thematiken vollends wirr aufzurollen. Das in Triers Schaffensphase von 1994 bis 1997 auch eine Fernsehserie unter seiner Regie "Hospital der Geister" entstand, ist für einige neuere Fans vermutlich neu. Mit Hilfe von Niels Vørsel (Europa) schrieb Lars von Trier, inspiriert durch die Serie Twin Peaks, das Drehbuch zu drei Staffeln, die in ihrer ungekürzten Form 880 Minuten lang ist und sich in 13 Folgen aufteilen. 2022 wurde dabei die dritte und letzte Staffel Exodus veröffentlicht. 

Die Serie ist ein wilder Genremix aus Krankenhausserie, Soap, Krimi und Horror, durchzogen von schwarzem Humor und Slapstick komödiantischen Einlagen. Wer sich darauf einlassen kann, wird in "Geister" sicherlich ein Werk finden, das nachhallen wird.

STAFFEL 1 - Episode 1 - 5 (kleinere Spoiler folgen)

"Dänischer Abschaum", exklamiert einer der unsympathischen Hauptfiguren Stig Helmer (Ernst-Hugo Järegård, Walhalla), wenn er sich, festgefahren in seiner angeblichen schwedischen Superiorität über das dänische Reichskrankenhaus und alle dort Angestellten und Patienten auslässt. "Geister" ist eine Anhäufung von paranormalen Aktivitäten in einem Krankenhaus, während sich Handlungsstränge wie aus einer normalen Krankenhausserie um bleiche Gestalten, rollende Köpfe und Voodoo-Zauber ranken. Dabei ist stets der eigene skandinavische Humor spürbar und ein sarkastischer und fast abwertender Blick auf gesellschaftliche Normen und Gepflogenheiten. Lars von Trier kommentiert zudem jede der Folgen am Ende selbst, während er im Frack vor der Kamera gestikuliert, der Abspann an seinem Körper vorbeiläuft und er sich für die schlechte Leistung oder die ereignislosen vorherigen Minuten entschuldigt. 

In "Geister" folgen wir diversen Charakteren, die von Sepia-Tönen eingefärbt sind und somit einen starken Kontrast zu den sonst eher klinisch sauberen und strahlend ausgeleuchteten Schauplätzen anderer, vor allem amerikanischer, Serien mit dem Setting Krankenhaus bildet. Da gibt es unsere kleine, selbsternannte Simulanten-Spiritistin Frau Drusse (Kirsten Rolffes, Løgneren) , die sich von ihrem Pfleger-Sohn durch die Gänge schieben lässt, um Glöckchen-klingelnde Geistermädchen zu verfolgen oder auch Assistenzärztin Judith Bang Petersen (Birgitte Raaberg, Befruchtet), die eine mysteriöse Schwangerschaft durchlebt und von ihrem neuen Lebenspartner und Assistenzarzt Krogshøj (Søren Pilmark,Downsizing) aufopferungsvoll unterstützt wird oder auch den schwedischen Professor Helmer, der sich zeitnah schon mit einem schwerwiegenden Kunstfehler konfrontiert sieht und diesen zu vertuschen versucht. Intrigen, abstruse Séancen in Zimmern und Kellern, ein bellender Hund, der durch die Gänge schießt - Lars von Trier macht sich einen Spaß aus dem selbstgewählten Setting, verstößt dabei geflissentlichen gegen seine eigens aufgestellten Dogma 95 Regeln und treibt Zuschauer aufgeregt durch unaufgeregte Episoden, die nur in wenigen Fällen Brutalität oder Ekel erzeugen können.

Dabei ist eine Steigerung durchaus sichtbar, wobei jede Folge dasselbe Intro mit demselben Erzähler beinhaltet und auch die Handkamera ein treuer Begleiter durch die Gänge des Bürokratie-schwangeren Reichskrankenhauses ist. Wir tauchen immer mehr in die Serie ab, die auch persönliche Themen von Trier behandelt und mit der er die Verschmelzung von Realität und Übernatürlichem anstrebt. Dabei sind alle Geister, die während der Staffel auftauchen und alle unvorhersehbaren Abläufe doch nur Früchte ihrer Zeit, der gesellschaftlichen Strukturen und der Menschen, die nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf das Jenseits einwirken. Und wer könnte besser heimgesucht werden, als Menschen, die das genaue Gegenteil von Spiritualität und Paranormalität studiert haben und praktizieren? "auf dass nie mehr Aberglauben und Unwissenheit die Bastion der Wissenschaft erschüttere" heißt es in jedem Intro - nun, aber genau das passiert hier.

Die langen Laufzeiten der Folgen ziehen die Geschichte, die zwar verschiedene Schauplätze und Darsteller hat und somit einiges an Varianz bieten sollte, aber unnötig in die Länge und am Ende der letzten Folge bleiben viele offene Fragen und Absurdität kumuliert in groteske Höhepunkte, die dann abrupt abfallen - ohne Auflösung.


STAFFEL 2 (Episode 5 - 8)(kleinere Spoiler folgen)

Frau Drusse, die in ihrer Beharrlichkeit die Erlösung des Geistermädchens angetrieben und erfolgreich eingeleitet hat, wird auch noch in der zweiten Staffel eine Konstante im Reichskrankenhaus sein, jetzt heimgesucht von vielen Seelen, die ihre Erlösung fordern. Die Rolle seines Lebens hat hier aber Udo Kier (My Private Idaho -Das Ende der Unschuld), der als übergroßes, menschliches Baby - Brüderchen / Bruderherz - gen Zimmerdecke wächst und mit bereits ausgewachsenen Gesichtsstrukturen gesegnet ist. Die Inkompetenz der Charaktere in ihren gewählten beruflichen Umfeldern ist dabei immer spürbar, hier wird nix wirklich unternommen oder verbessert, einzig und allein Frau Drusse mit wenigen Komplizen, versucht etwas zu ändern. Wir erleben Flugzeugabstürze, Entführungen, langgezogene Todesqualen und dann das Ende. Weder befriedigend noch wirklich erläuternd - aber in Trier Manier ist das absolut in Ordnung und 2022 ging es für das Reichskrankenhaus dann auch in die dritte Runde.


Staffel 3 (Episode 9 - 13) (Spoiler folgen)

Flimmernd rauscht die letzte Folge über den Bildschirm von Karen (Bodil Jørgensen, Dänische Delikatessen) und schnell wird klar: Die letzten zwei Staffeln waren eine Fernsehserie, produziert von Lars von Trier. Ein netter Bruch der vierten Wand, aber Karen weiß natürlich, dass all das, was sie gesehen hat, real war. Also macht sie sich auf den Weg zum Reichskrankenhaus, um sich dort einweisen zu lassen und die Wahrheit herauszufinden.

Die neue Staffel erschien 2022 und sollte ein breiteres Publikum erreichen. Außer der Handkamera ist also nicht mehr viel übrig geblieben, von der eigenwilligen Umsetzung der vorangegangenen Episoden. Dafür haben wir ein neues Aufgebot an guten Schauspielern wie Willem Dafoe (Antichrist), Alexander Skarsgård (The Northman) , Nicolas Bro (Adams Äpfel) oder auch Lars Mikkelsen (House of Cards). Wiederkehrende Schauspieler aus den alten Folgen, konnten ebenfalls herangezogen werden und bauen gemeinsam das Reichskrankenhaus in einer neuen Ebene, beziehungsweise Wirklichkeit auf. Das Tor zur Hölle steht kurz vor seiner Öffnung, der Exodus ist im Anmarsch und verhindern kann es nur Karen, die im Laufe der Episoden zur neuen Torwächterin wird und Udo Kiers Bruderherz-Kopf ablöst.

In dieser Staffel findet der Länder-Hass zwischen Dänemark und Schweden auch ihren Höhepunkt. Wir haben schwedische Selbsthilfegruppen (von Schweden, die in Dänemark arbeiten), dann diverse, enorm aufgebauschte, kulturelle Unterschiede, was von der Liebe zum eigenen Land bis hin zu sozialkulturellen Eigenarten reicht. Vermutlich ist dies für Zuschauer, die einen tieferen Einblick in die Thematik haben, noch zugänglicher – für alle anderen wird dieser Zwist zwar seinen komödiantischen Zweck erfüllen, aber nicht viel weiter gehen.

Das Ende fühlt sich zwar nicht ganz wie ein endgültiges Ende an, denn einige Fragen werden geklärt, während Trier für sein Publikum doch noch neue aufwirft, kurz bevor sein eigens komponiertes Titellied ein letztes Mal angestimmt wird und der Abspann ohne seine üblichen Kommentare dahin flackert. Ein Werk, über das erstmal nachgedacht und sinniert werden muss. 

Technischer Part

Die Aufmachung der Blu-Ray Komplettbox von PLAION PICTURES (VÖ: 25. Januar 2024) ist unheimlich durchdacht aufgebaut mit einem guten Druck, ansprechender Disk-Gestaltung, sowie einer Vielzahl an Bonusmaterial. Als Tonspuren sind auf den Discs Dänisch und Deutsch enthalten. Während Dänisch DTS-HD MA 5.1 in allen Episoden liefert, erhalten die deutschen Episoden erst ab der neunten Folge ein Upgrade von DTS-HD MA 2.0. Während die Tonspuren für das Produktionsjahr relativ gut gealtert sind, lohnt sich die Steigerung von DVD auf Blu-Ray für das 1920 x 1080p Bild kaum, auf Grund des gewählten grobkörnigem Film und die Sepia-Farbgebung der Serie. Neben dem physischen Bonusmaterial in Form eines hochwertigen Booklets, gibt es zudem noch Featuretten, Behind-The-Scenes, Trailer, Audiokommentare uvm. Für begnadete Fans eine lang erwartete Veröffentlichung.


Fazit

"Geister" ist ein paranormales Erlebnis, gekleidet in Krankenhausbettlaken und Inkompetenz. Einen höheren Sinn in dem Gesehenen darf man nicht erwarten, dafür eine Anhäufung an abstrusen Situationen, trockenem Humor, eine eigenwillige handwerkliche Umsetzung und ein Aufgebot an guten Schauspielern. Die Serie ist definitiv nicht für jedermann gemacht und gedacht, aber wer sich gerne in skandinavische Albträume á la von Trier stürzt, dürfte mit diesem Werk nicht falsch beraten sein – aber es wäre besser, wenn die Erwartungen nicht zu hoch gesteckt sind.

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