Elf Uhr Nachts (1965)
Setzte sich Godard sich in seinem ersten Langfilm „Außer Atem“ noch mit dem Genre des Film Noir auseinander, untersucht er hier die Beziehung zwischen Publikum und Film und Wahrnehmung. Als Einführung lässt Jean-Luc Godard seine beiden Helden des amerikanischen Kinos auftauchen. Nicholas Ray („Ein einsamer Ort“), indem sein Film „Johnny Guitar“ erwähnt wird und Samuel Fuller mit einem Cameo-Auftritt. Godard folgt alsbald Fullers Definition von Kino und überprüft eben jenes; cinéma. Ein Begriff, der kein wirklich getreues deutsches Äquivalent besitzt und eine gehobenere Art des Films bezeichnet. Film als Kunst, als Medium eben - als Mittel zur Kommunikation und ein Gegenstand der Wissenschaft. Um dem Begriff weiter auf den Grund zu gehen, stellt Godard Realität vs. Darstellung, Natur vs. Drama, Tat vs. Versprechen und Wort vs. Gefühl. Es gibt eine Divergenz zwischen dem Gezeigten und dem Bewirkten; Godards Kino ist seit jeher ein Paradebeispiel dafür gewesen.
Eine Frau ist eine Frau (1961)
Godards berühmter Satz, der Film sei die Wahrheit 24 mal in der Sekunde war zum Zeitpunkt dieses Films schon von ihm verlautbart worden. Wendet man diese Aussage auf die eben beschriebene Situation an, wird aus der Diskussion über Lüge und Wahrheit eine über das Verhältnis zwischen Film und Zuschauer. Ist es wirklich egal, was der Zuschauer von dem Film denkt und ob er ihm glaubt oder nicht? Funktioniert dann das Medium an sich noch, wenn der Zuschauer in keiner Weise von dem Werk tangiert ist? Wahrscheinlich nicht - Godard möchte, dass das Publikum teilnimmt und partizipiert. Man denke an die allererste und die allerletzte Szene; Angela schaut in die Kamera, durchbricht die Vierte Wand und gibt dem Publikum zu verstehen.
Der kleine Soldat (1963)
Ernsthafte Zweifel daran, dass Godard belesen und kultiviert ist, soll wohl niemand haben. Dementsprechend narzisstisch artikuliert sich Der kleine Soldat bisweilen, wenngleich seine Annäherung an den Algerienkonflikt immer noch hochinteressante Ansätze aufweist, die entschlüsseln, warum die Filmzensoren eine Aufführung ablehnten und den Film zur damaligen Zeit gleich drei Jahre in den Giftschrank verbannten. Hauptfigur Bruno (Michel Subor, Was gibt’s Neues, Pussy?) begegnet den gesellschaftspolitischen Irrungen und Wirrungen der 1960er Jahre in Frankreich mit einer diffusen Teilnahmslosigkeit. Es trägt eine durchaus brüskierende Wirkung in sich, wenn Bruno, als Teil einer rechtsextremen Organisation, einen Radiokommentator eliminieren soll, weil dieser sich für die andere Seite, der Befreiungsorganisation FLN, ausgesprochen hat, eine derartige ideologische Passivität an den Tag legt und dem kriegerischen Konflikt jedwede nachvollziehbare Motivation entledigt. Hätte sich Godard weniger verkopft gegeben, Der kleine Soldat wäre ein beachtenswerter Beitrag zum Thema gewesen.
Maria und Joseph (1985)
Es ist Ruhe eingekehrt in das Schaffen des früheren enfant terrible des europäischen Kinos. Jean-Luc Godard, der nie Bock auf Kommerz hatte und sich nie für populäres Kino verbiegen lassen wollte, ist nicht mehr wütend. Nicht mehr frustriert von der Menschheit, er hat den lautstarken Kampf gegen Hollywood aufgegeben. Nun macht er lieber ruhige Filme, die nicht minder intelligent wichtige Thematiken ansprechen. „Nun“ ist dabei natürlich nicht zutreffend, Maria und Joseph nämlich ist ein Film aus den 80ern. Joseph stellt dabei zu Beginn eine Frage, während das Bild zeigt, wie ein großer Fluss durch die Stadt plätschert. Es ist Dämmerung. Als Maria jedoch antwortet, schnellt das Bild in ein helleres. Durch das Off wird der Zuschauer Zeuge, wie Maria und Paul im Ehekrach stecken; sie streiten über den Lebensstil, über die Einsamkeit, über die jeweils andere Person. Alles, was Maria dabei will, ist klar sehen. Natürlich hat Godard es nicht verlernt, das technisch versierte, das kreative, das fordernde Element seiner Eigenart. Der Film war dann selbstverständlich ein handfester Skandal, schließlich wurde die Geschichte des Christentums verfilmt, ohne dass das Werk dem Erlöser ständig den Allerheiligsten leckt. Godard zeigt in seiner Bibel-Umschreibung Erwachsene, die nicht groß genug geworden sind und Kinder, die nicht schnell genug erwachsen sein können. Mit skandalöser (ironisches Ausrufezeichen) Nacktheit, Feminismus und Godard’schem Stil ist dabei ein Film entstanden, der sicherlich einen kulturellen Eindruck hinterließ. Aus heutiger Sicht ist das jedoch auch wohl der einzig relevante Aspekt des Films.
Eine verheiratete Frau (1964)
Der Film zeigt den Alltag von Charlotte und ihre Situation an einem Scheideweg, wenn sie nicht weiß, ob sie sich für ihren Ehemann oder ihren Liebhaber entscheiden soll. Wenn sie nicht weiß, von wem das Kind ist. Beide Männer sind in ihrem Leben allumgeben und -umfassend. Beide Männer verlangen, fordern. Godard maßt sich dabei zu keiner Zeit an, selbst den absolut klaren Durchblick zu haben - viel mehr enthält er sich und dem Zuschauer immer wieder Informationen. Bei einem sozialen Abend zu dritt, sie, ihr Mann und ein intelligenter Herr, sehen wir die drei Personen jeweils einzeln im Bild. Charlottes Hintergrund ist dabei beinahe wie eine Leinwand. Das führt natürlich auch zurück zur Eröffnung des Films. Dort war sie körperlich nackt. Hier allerdings entblößt sie ihre Seele. Der Schlagschatten auf der Wand hinter ihr zeigt, dass sie beinahe einer Schauspielerin gleich auf der Bühne inszeniert wird. Es ist, als würde Godard Charlotte von Gast und Gatten trennen wollen. Sie ist der Teil der Konversation. Sie ist es nicht. Ihr werden Fragen gestellt, doch diese sind auf der Tonspur nicht enthalten; wir hören nur ihre Antworten und sehen, wie sie pausiert, um der Frage zu lauschen.