Bei dieser Filmanalyse zu No Country For Old Men handelt es sich um eine von mir verfasste Arbeit für das Modul Filmanalyse/Filmgeschichte im Rahmen meines Studiums an der Medienakademie Hamburg. Aufgabe war die struktur-analytische Aufbereitung eines eigens gewählten Filmes. Da aufgrund von technischer Unzulänglichkeiten meinerseits die Fußnoten nicht mitkopiert wurden, weise ich ausdrücklich auf das Literaturverzeichnis hin. Vor allem in Kapitel 2 stütze ich mich nicht ausschließlich auf eigenes Wissen, sondern auf die wunderbare Arbeit von Norbert Grob, Bernd Kiefer, Marcus Stiglegger (Reclam Filmgenres: Western) und anderen, die ich teilweise zitiert habe. In Kapitel 3 beziehe ich mich vor allem auf ein hervorragendes Buch von Lynnea Chapman King (No Country For Old Men: From Novel to Film). Eine Empfehlung dieser Bücher sei hiermit ausgesprochen. Viel Spaß beim Lesen!
Vor Spoilern muss an dieser Stelle ausdrücklich gewarnt werden.
1. Einleitung
Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit dem Film No Country For Old Men von Ethan und Joel Coen aus dem Jahre 2007. Das Regie-Duo gehört zu meinen favorisierten Filmemachern der aktuellen Zeit, da mich ihre Filme stets mit ihrem ganz bestimmten Stil, dem „drolligen“ Humor, der technischen Perfektion und der tiefgreifenden Metaphorik zu überzeugen wissen. Der Film hat seit seinem Erscheinen von sich reden gemacht, da er nicht klar einem Genre zuzuordnen ist. Das hat mich dazu motiviert, dem Wesen des Films weiter auf den Grund zu gehen.
Diese Arbeit wird sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, inwiefern der Film Elemente des Western-Genres nutzt, welche er verändert und ob das Werk als klassischer Western einzuordnen ist. Um diese Frage abschließend beantworten zu können, werde ich zunächst den Western als Genre definieren und einige seiner wichtigsten Merkmale ausarbeiten. Anschließend werde ich No Country For Old Men in Hinsicht auf Handlung(-sstruktur), Figuren, stilistische Mittel und die Aussage des Films analysieren, bevor ich in Teil 4 der Arbeit das angeeignete Wissen anwende und prüfe, welche Merkmale eines Westerns dieser Film tatsächlich vorzuweisen hat.
2. Der Western - Urmythos des amerikanischen Kinos
Mit den Fortschritten der Kinematographie wurde in Amerika recht schnell deutlich, dass die landeseigene Geschichte ein wichtiger Faktor in der Kunst des Films werden würde. Der Wilde Westen wurde schnell zum Thema in Filmen, wie zum Beispiel der frühe Western Der große Eisenbahn-Überfall (1903) zeigt, der heute als eines der bekanntesten Werke der Anfänge des Films gilt. Zudem ist es ein Film, der bereits sehr früh den Startschuss für das Western-Genre bildete - und damit eine Ära begann, die über ein halbes Jahrhundert währen sollte. Die Pionierzeit der USA, die Jahre um die Mitte des 19. Jahrhunderts herum, als der Westen des Landes erschlossen, modernisiert und urbanisiert wurde, wurde zu einem der beliebtesten Themen von amerikanischen Filmemachern.
Das Western-Genre lässt sich dabei nach den Filmtheoretikern Norbert Grob und Bernd Kiefer, die dem Western ein ganzes Buch der Reclam-Reihe zu Filmgenres dem Western widmeten, in fünf Phasen einteilen. Die Anfänge des Genres, von den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts bis um 1920 sind die Zeit des Naiven Western. Dieser zeichne sich durch seine simple Struktur (Held, Frau, Bösewicht) aus und sei nur an „historischem Ambiente“ interessiert. Auf den Naiven Western folgte der Epische Western, der nunmehr ein „Heldengedicht“ sei, das die übermenschlichen Fähigkeiten des Protagonisten darstelle. Abgelöst wurde der Epische Western in den 40er Jahren vom Dramatisch-Psychologischen Western, der bis in die 50er Jahre vertreten war. In der folgenden Dekade der 50er jedoch wurde diese Phase bereits vom Kritisch-skeptischen Western abgelöst. Hier fand ein klarer Wandel statt, macht diesen Western doch die unromantische Sichtweise auf das Genre und die Pionierzeit aus. In den 60er Jahren, die Zeit, in der das Kino weltweit mit neuen Strömungen einen Umbruch erlebte, wurde auch die letzte offizielle Phase des Western eingeleitet. Der Spätwestern führte das Genre schließlich zu Grabe. Er zeigte nun betagte Helden, die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden und gegen das Verrotten des American Dream nichts unternehmen können, wollen, oder gar zu dessen Untergang beitragen. Diese Spätwestern und auch die Filme, die nach den 60ern entstanden ehren die dem Genre zugrundeliegende Mythologie nicht, viel mehr zeigen sie deren hässliche Seiten auf.
Wie bei Genres üblich, existieren auch für den Westernfilm Regeln, Konventionen und übliche Muster in Figuren und stilistischer Form. Dabei ist zunächst zu beachten, an welchem Schauplatz (engl. setting) die Handlung stattfindet. Westernfilme spielen oft in der Wildnis, die kurz davor ist, von der vorrückenden Bevölkerung Amerikas zivilisiert zu werden. Diese bestimmte Landesgrenze zwischen Wildnis und Zivilisation heißt frontier. Das frontier zählt zu einem der wichtigsten Grundbausteine einer Western-Geschichte, die stets von Menschen am Scheideweg erzählt - sei es sinnbildlich durch die Grenze zur Wildnis oder weniger offensichtlich als impliziten Konflikt, den die Figuren ausfechten müssen. Der klassische Held in Westernfilmen wird auch Westerner genannt. Der Westerner kann beispielsweise Jäger, Trapper, Sheriff, Kopfgeldjäger, Revolvermann oder Pfadfinder sein. Seine primäre Eigenschaft und sein wichtigstes Erkennungsmerkmal ist nicht etwa sein Beruf, sondern sein Charakter. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er ein äußerst in sich gekehrter und stiller Mensch ist, der jedoch auf seine Klugheit und körperliche Vitalität zählen kann. In der Einleitung zu Grobs und Kiefers Buch zum Western-Genre steht über den Westerner, er schöpfe durch seine Taten „Signale, die dem Irrsinn aus Gier und Gewalt Zeichen von Würde und Mut entgegensetzen“.
An der Seite des Helden sind im Western oft Frauenfiguren zu finden, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Einordnen lassen sich diese weiblichen Figuren ebenso salopp wie einfach in zwei Kategorien; die Heilige und die Hure. Die Heilige ist traditionell blond, jung und etwas naiv. Sie ist die Unschuld in Person und verkörpert das erstrebenswerte Leben, das auf den Helden wartet, sobald er seine große Aufgabe überstanden hat. Die Hure hingegen ist eine Frau, die sich den Männern ihrer Umgebung nicht fügt. Sie verkörpert Verlockung, List und Macht und lässt die Männer um sie herum damit machtlos wirken. Als Hure umgibt sie jedoch stets eine Aura der moralischen Verwerflichkeit. Zu trauen ist ihr nicht. Doch ungeachtet dessen, ob die weiblichen Rollen im Western als „Hure“ oder „Heilige“ bezeichnet wird, zeugen beide Figuren von Schwäche und Pech. Die Heilige ordnet sich den Männern der Geschichte wie selbstverständlich unter. Die Hure tut dies nicht - und muss deshalb oft mit ihrem Leben dafür bezahlen. In klassischen Western war es in jedem Fall ehrenwerter, ein Mann zu sein.