Bildnachweis: © Locarno Film Festival 2025

Interview mit Lucy Liu und Eric Lin zu “Rosemead”

von Lida Bach

Von Action-Blockbustern bis TV-Serien, von Comedies bis zu Animations-Synchro, von Hochglanz-Dramen is zu Independent-Werken: In ihrer beeindruckenden Laufbahn in Film und Fernsehen hat   immer wieder ihre Vielseitigkeit bewiesen und das filmische Bild asiatischer Figuren nachhaltig verändert. Für ihre Leistungen erhält die auch als Produzentin tätige Kult-Darstellerin nun den Career Achievement Award auf dem Film Festival von Locarno. Dort läuft auf der Piazza Grande auch ihr jüngstes Werk, das sie von neuer darstellerischer Intensität zeigt. In Rosemead verkörpert sie die schwerkranke Mutter eines an Schizophrenie leidenden Teenagers. Zwischen Photo Call, Preisverleihung und Publikums-Talks fanden Liu und Rosemead Regisseur Zeit für ein Gespräch über die emotionalen Tiefen der auf wahren Begebenheiten basierten Story, anhaltende Stereotypisierung asiatischer Schauspielender und die soziale Stigmatisierung psychischer Leiden. 


Lida Bach: Herzlichen Glückwunsch zum Locarno Career Achievement Award. Was bedeutet dieser Preis für dich? Ist die Rolle, die du in Rosemead spielst, ein Wendepunkt in deiner Karriere?

Lucy Liu: Danke. Es ist ein Wendepunkt, denn ich weiß, dass ich das Potenzial dazu habe. Ich bin in dieses Geschäft eingestiegen, um zu schauspielern.

Manchmal ist es schwer, eine Chance zu bekommen. Man kann viele andere Rollen spielen, die Spaß machen, zum Beispiel in Kampfsportarten, großen Actionfilmen oder etwas Leichterem. Das hier ist die Möglichkeit, eine wahre Geschichte zu erzählen.

Manchmal gehen Rollen auch an eine andere Rasse. Es ist manchmal schwierig, weil die Leute dich in einer bestimmten Rolle mögen und dich weiterhin in dieser Rolle sehen wollen – verständlicherweise. Es macht Spaß, es ist unterhaltsam, aber es ist auch wichtig, Geschichten zu erzählen. Deshalb bin ich überhaupt erst in dieses Geschäft eingestiegen. Als ich anfing, wusste ich nichts über Stunts. Dann wurde ich plötzlich sehr schnell zur Stunt-Expertin. 

Für mich ist es ein Erfolg, mir selbst hohe Ansprüche stellen zu können. Ich weiß, dass ich mehr Potenzial habe. Dieser Erfolg ermutigt mich, dass noch mehr kommt. Ich weiß, meine beste Arbeit liegt noch vor mir.

LB: Gab es Hindernisse, Stereotypen, die du als asiatisch-amerikanische Schauspielende – oder auch als Frau – in den letzten Jahren überwinden musstest?

LL: Es gibt Stereotypen, aber selbst wenn ich eine Rolle spiele, die keinem Stereotyp entspricht, wird mir dieses Stereotyp zugewiesen. Wenn ich eine starke Figur spiele, sagen sie: „Oh, sie ist die Dragon Lady.“ Wenn eine weiße Frau eine starke Frauenrolle spielt, verwendet man diesen Begriff nicht. Diese Polarisierung ist enttäuschend. Es ist eine starke Frauenrolle, egal welcher Hautfarbe sie angehört. Spiele ich eine zarte Frau, entspricht sie plötzlich dem asiatischen Stereotyp von Unterwürfigkeit, einer Geisha. Egal, was ich tue, sie können mir ein Stereotyp aus der Vergangenheit überstülpen. Es ist, als wollten sie mich weiterhin in eine Schublade stecken. Das kann schädlich sein, und das geschah sogar während der Pandemie, als ein Virus zum „China-Virus“ wurde.

LB: Geht es in dieser Geschichte auch um den Druck von Vorurteilen und die höheren Standards, denen Menschen mit Migrationshintergrund gerecht werden müssen?

LL: Das ist ein interessanter Gedanke. Daran habe ich eigentlich nicht gedacht, weil sie [die Protagonisten] keine privilegierten Menschen waren. Sie wollten sich einfach den amerikanischen Traum erfüllen: ins Land kommen, ein Kind haben und ihr Bestes geben. Ihr Ziel war, glücklicher zu sein und ein einfaches, unbeschwertes Leben zu führen. In den Rückblenden waren sie glücklich. Sie feierten zusammen in einem Motel. Es ging also nicht um dieses privilegierte Ideal von Perfektion. Und Irene sprach nicht über Bildung. Sie fragte ihren Sohn, wie die Schule sei, ob Mathe schwer sei. Sie wollte keinen zusätzlichen Druck auf ihren Sohn ausüben. Sie wollte sich vergewissern, dass alles gut ging, und erkundigte sich ganz beiläufig bei ihm. Ich denke, Eric kann dazu auch etwas sagen, denn wir sprachen viel darüber, wie wir zusammenarbeiten und kooperieren könnten, um sicherzustellen, dass die Geschichte richtig erzählt wird. 

Aber da ist auch noch das, was du vorhin erwähnt hast, die Vorstellung vom Streben der asiatischen Gemeinschaft nach Perfektion. Mir sagte mal jemand – früher war er katholischer Priester, heute ist er Franziskanermönch –, dass man auf dem falschen Weg sei, wenn man nach Perfektion strebe, weil man den Sinn des Lebens verfehle. Im Leben geht es darum, Fehler zu machen und zu scheitern. Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Wenn man perfekt wird, wird man starr und kann nichts anderes mehr wahrnehmen als das, worauf man sich fixiert. Und ich glaube, wenn man so kurzsichtig ist, verliert man so viel von dem, was einen umgibt.

Amerika war schon immer - die chinesische Übersetzung lautet „der Goldene Berg“. Da ist diese Vorstellung, dass man zum Goldenen Berg geht, nicht unbedingt, um reich zu werden, sondern um an einen besseren Ort zu gelangen. Viele Menschen legen auch Wert auf Bildung und deren Verfügbarkeit. Es geht nicht unbedingt ums Geld, es geht um Chancen. Ich glaube nicht, dass es nur Asiaten sind. Ich glaube, die meisten kommen, weil sie glauben, dass es in Amerika mehr Möglichkeiten für sie gibt.

Eric Lin: Meine Eltern kamen in den 70er Jahren aus Taiwan, nicht, weil dort Krieg gewesen wäre, oder aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil es hier die Möglichkeit gab, sich zu verändern. Das gilt für alle Menschen, die in der Gegend von Rosemead, Monterey Park, leben. Sie alle sind Einwanderer und alle streben nach Erfolg. Sie bilden ethnische Enklaven, in denen sie sich gegenseitig helfen, weil sie dieselbe Sprache sprechen und dieselben Werte teilen. Aber sie interagieren auch mit dem Rest der Stadt.

LB: Rosemead basiert auf einem Artikel von Frank Shyong aus dem Jahr 2017. Wie vereinst du den Anspruch nach Authentizität gegenüber den realen Ereignissen und der Anforderung, die Story nicht zu harsch zu machen?

EL: Es gab Druck, den Schauplatz der Geschichte zu ändern, aber das Besondere an Rosemead ist, dass es eine chinesische ethnische Enklave ist. Hätten wir die Geschichte also aus Rosemead herausgenommen, wäre es um eine isolierte Immigrantin gegangen. Es hätte sich um Sprache und Kultur gedreht. Aber weil die Geschichte in Rosemead spielt, war Irene nicht von der Welt um sie herum abgeschnitten, sondern hatte die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten, mit Menschen zu sprechen. Das macht es noch deutlicher, dass sie sich innerlich diesen Hilfsmöglichkeiten verschließt, die sie hätte nutzen können, aus Scham, aufgrund kultureller Erwartungen.

Selbst ihre engste Freundin erfuhr erst viel später, dass Joe in Behandlung war. Dass sie es verbarg, lag nicht an kulturellen Barrieren, sondern an emotionalen und inneren Problemen. Sie konnte sich nicht dazu durchringen, mit anderen darüber zu sprechen und Schwäche zu zeigen.

LL: Die von Frank Shyong interviewte Frau war diejenige, die diese Geschichte erzählte. Es ist wichtig zu wissen, dass sie nach ihrer Mitteilung auch aus der Gegend ausgestoßen wurde, weil sie etwas Schändliches ans Licht gebracht hatte. Diese Figur ist daher besonders wichtig, weil sie die Quelle dieser Geschichte war. Es ist wichtig zu wissen, dass die eigentliche Familie, über die geschrieben wurde, die Verwandten, nicht wollten, dass diese Geschichte ans Licht kommt. 

Heute trauen sich junge Leute mehr und mehr zu sagen: „Ich mache eine Pause, weil ich psychische Probleme habe.“ Das ist eine große Sache für jemanden, gerade wenn man bekannt ist. Die Leute erkennen es immer mehr als etwas Normales und Allgegenwärtiges an, was ich wichtig finde. In meiner Zeit war das nichts, worüber man reden kann.

LB: Eric, sprichst du auch zu Lucy als Produzentin? Und Lucy, was brauchen Storys, damit sie dich als Schauspielerin interessieren?

EL: Was mich an der Zusammenarbeit mit Lucy wirklich inspiriert hat, war ihr Engagement für die Ausarbeitung dieser Figur. Nachdem sie an Bord kam, haben wir unzählige Stunden damit verbracht, jede Szene, jede Dialogzeile zu überarbeiten. Das zeigte ihr Engagement für diese Geschichte und wie sehr sie ihr am Herzen lag. Wir haben lange an diesem Film gearbeitet und oft dachten wir, er würde nie realisiert werden. Auch nach den Dreharbeiten begleitete sie den Film. Eine Partnerin wie Lucy ist einfach unglaublich! Denn sie arbeitet über den Drehtag hinaus und widmet sich dann anderen Aspekten des Projekts. Allen Beteiligten lag diese Geschichte sehr am Herzen. Ich bin unendlich dankbar, dass sie auch produziert.

LL: Ehrlich gesagt, geht es mir mit Eric genauso. Es ist ein enormer Aufwand, als Regiedebütant so etwas zu übernehmen, erfolgreich zu sein und das Publikum zudem dazu zu bringen, darüber zu diskutieren. Das ist der Sinn von Kunst.

Die Authentizität war entscheidend. Jedes Wort, jeder Ton, wir mussten alles berücksichtigen. Es ist komisch, denn als wir die Untertitel machten, übersetzten sie das „e“, das im Chinesischen viele Bedeutungen hat. Es bedeutet „ja“, „verstanden“, „ich erkenne dich an“, „ich liebe dich“. Die Untertitel kamen zurück als „Ja“.

Es bedeutet „Ja“, „Verstanden“, „ich verstehe dich“, „Ich liebe dich“. Die Übersetzungsvorschläge lauteten „Yeah“ oder „kapiert“. Es wurde nicht richtig verstanden. Und ich sehe Irene nicht „kapiert“ sagen.

LB: Es gibt dieses Dialog-Zitat: „Nur weil du ein chinesisches Gesicht hast, heißt das nicht, dass du einer von uns bist.“ Wie sind nach deiner persönlichen Erfahrungen die Herausforderungen innerhalb der chinesisch-amerikanischen Community?

LL: Eric kommt tatsächlich aus der Gegend.

EL: Ja, ich bin in einem anderen Vorort von L.A. aufgewachsen, aber wir sind jedes Wochenende nach Monterey Park und Rosemead gefahren, weil meine Eltern aus Taiwan stammen. Sie haben dort Lebensmittel eingekauft und sind in Restaurants gegangen.

Die asiatisch-amerikanische Diaspora ist sehr komplex. Jemand, der kantonesischer Einwanderer ist, identifiziert sich nicht sofort mit mir. Ich bin als asiatisch-amerikanischer Mensch in den USA aufgewachsen, ich spreche Mandarin, aber unsere Erfahrungen sind so unterschiedlich. Nur weil man ähnliche Merkmale hat, heißt das nicht, dass man automatisch verbündet ist. Es gibt immer noch viele Dinge, die man als Angehörige der zweiten migrantischen Generation nicht versteht, die die erste Generation erlebt. Deshalb liebe ich diesen Satz, weil er auf eine sehr einfache Art so kompliziert ist.

LL: Irene lehnt Joes Psychiater ab. Er spricht kein Chinesisch, also ist er bereits von ihr distanziert. Zweitens ist er ein westlicher Arzt, der ihr sagt, dass etwas im Gehirn ihres Sohnes vor sich geht. Psychische Erkrankungen sind nicht wie ein Tumor, ein Muttermal oder ein gebrochenes Bein. Sie sind nicht greifbar. Mysteriöses macht den Leuten Angst. Und Medikamente machen ihnen besonders Angst. Man kann über- oder untermedikamentiert sein. Jeder ist anders.

Es ist eine Kollision. Und das ist gefährlich. Wenn das passiert, kommt es zu einer solchen Individualisierung, dass jeder Gemeinschaftssinn verloren geht. Dann verlieren wir uns als Gemeinschaft. Und dann übernehmen bestimmte Menschen die Kontrolle und können zu Diktatoren werden. Dann haben sie die Macht, Stärke zu vermitteln. Isolation ist unglaublich gefährlich.

LB: Wie war es, sich in diese Figur zu verwandeln, die so anders wirkt als du? Du bist stark, glamourös, enorm beliebt ..

LL: [lacht] Eigentlich bin ich ziemlich introvertiert. Bei der Pressekonferenz bin ich in etwas so Einfachem aufgetaucht. Natürlich nicht in diesem Abendkleid. Das gehört mir nicht einmal. Sobald ich hier fertig bin, reißen sie es mir sofort vom Leib. Ich glaube, ich verstehe Irene. Als Kind habe ich lange Zeit kein Englisch verstanden. Englisch ist jetzt natürlich eher meine Hauptsprache, aber ich erinnere mich, dass ich mich nicht einbezogen fühlte. Ich war nicht cool, hatte nicht die Kraft, etwas zu sagen, wenn sich die Leute über meine Mutter lustig machten oder über ihren starken Akzent. Ich habe also so viele Referenzen, auf die ich zurückgreifen kann.

Ich fühle mich jetzt als Künstlerin und als Person selbstbewusster, aber mein wahres Ich zu Hause ist das nicht. Ich bin in einer Situation aufgewachsen, in der meine Eltern geringgeschätzt wurden, weil sie die Sprache nicht sprachen. Obwohl sie Wissenschaftler - Bauingenieure waren - wurden sie von oben herab behandelt. Niemand war da, der sich für sie einsetzte. Deshalb weiß ich, was dieser Schmerz ist, nicht nur aus ihrer Sicht, sondern aus der Sicht eines Kindes.

Ihr Mut war am Ende ihre Schwäche. Es ist manchmal schwer, um Hilfe zu bitten, weil man nicht möchte, dass die Leute sich über einen lustig machen oder einen ablehnen. Man möchte sich nicht dumm und klein fühlen. Es ist eine herzzerreißende Geschichte. Ich wünschte, sie wäre nicht wahr, aber wenn sie nicht wahr wäre, würde sie niemand glauben. Niemand würde glauben, dass eine Mutter ihrem Kind so etwas antut. Es ist schwierig zu zeigen, wie verzweifelt die Menschen sind. Es zu erkennen, zu sehen, zu hören, darüber zu spreche - weil es wahr ist - das ist ihr Geschenk an uns.

LB: Vielen Dank für das Interview!

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