Der am längsten verbotene aller Horrorfilme gilt auch als der erschreckendste. Zweites ist eine Frage der Perspektive, die später noch behandelt wird; erstes aber ist sicher. Von der Veröffentlichung 1932 bis 1963 stand Tod Brownings sozialkritische Sideshow-Story in Großbritannien auf dem Index. Danach gab es für MGMs Studio-Produktion, der nicht zuletzt aufgrund des epischen Verbots eine mythische Schreckenswirkung zugesprochenen wurde, eine Freigabe unter dem ‘X’-Rating, während er hierzulande 2004 mit der FSK 16 belegt wurde, sonst reserviert für extreme Gewalt und Sexszenen. Die Skandalisierung des Films ist ein Barometer der anhaltenden Aggression gegen und Abscheu vor nicht normkonformen Körpern, die heute wie damals als moralische Bedrohung und ästhetischer Affront geächtet werden. Eine solche offizielle Einordnung, die einen nachweislich negativen Effekt auf die öffentliche Haltung gegenüber der stigmatisierten Gruppe hat, resoniert bitter mit dem prophetischen Prolog: “This is the story of the unwanted.”
Viele der Darstellenden waren etablierte Stars der Zirkus- und Sideshow-Welt, in der Tod Browning selbst als jugendlicher Ausreißer eine Zuflucht fand, bevor ihn Jahre später Dracula an die Spitze der Filmbranche katapultierte. Begeistert von dem Erfolg, ließ ihm Irving Thalberg beim nächsten Projekt freie Hand. Browning, der sein Faible für Bizarres bereits in der Zusammenarbeit mit dem 1930 verstorbenen Lon Chaney verfeinert hatte, drehte Freaks: von Tod Robbins Kurzgeschichte Spurs über “The Love Life of the Side-Show” und die Rache der misshandelten Sideshow-Stars an einer heimtückischen Trapez-Künstlerin und ihrem Muskelmann-Lover. Variety nannte das Werk eine “atrocity in film form” und schrieb, es sei “unmöglich für eine normale Frau oder einen normalen Mann, mit einem (kleinwüchsigen Menschen) zu sympathisieren”. Letztes bewahrheitete sich auf traurige Weise während der Dreharbeiten. F. Scott Fitzgerald, der vorübergehend für MGM schrieb, musste sich beim Anblick der Zwillinge Daisy und Violet Hilton angeblich übergeben. Studio-Angestellte beschwerten sich über die Gegenwart der Schausteller*innen, die daraufhin nicht mehr in der Cafeteria mit allen anderen essen durften, sondern stattdessen an einem improvisierten Stand unter freiem Himmel standen. Ihren Anblick auf der Leinwand beschrieb Hollywood Reporter als “outrageous onslaught upon the feelings, the senses, the brains and the stomachs of an audience”. Bei Testvorführung ergriff ein Teil des Publikums buchstäblich die Flucht vor dem Film. Nachdem dessen rund 90-minütige Originalversion um ein Drittel zusammengeschnitten worden war, fielen die Reaktionen noch harscher aus. Freaks wurde als Quintessenz des moralischen Niedergangs des Kinos angeprangert; ein Entrüstungsturm, der die Einführung des Hays Codes forcierte. Brownings Karriere war hinüber und Thalberg verschacherte die Filmrechte.
Hier hätte die Geschichte zu Ende sein und die Filmrolle irgendwo verrotten können. Aber wer hat sie gekauft? Dwain Esper, Road Show King und Regisseur von Arthouse-Klassiker wie Marihuana - Weed with Roots in Hell, How to Undress in Front of Your Husband und The Strange Love Life of Adolf Hitler. Bemerkenswerterweise schrieb Esper, der das Verschwinden Fahrender Attraktionen wie Sideshow und Road Show unmittelbar miterlebte, den Vortext. Dieser vermittelt Sympathie mit den gesellschaftlichen Außenseitern und enthält die voraussehenden Worte “Never again will such a story be filmed”. Durch medizinische Weiterentwicklung sind außergewöhnliche Körper wie die der Protagonist*innen noch seltener als sie damals waren. Aber wenn sie auf der Leinwand erscheinen, konfrontieren sie die Betrachtenden immer noch mit der subtil eindoktrinierten Furcht vor dem Anderen. Mit seiner Umkehr des Dogmas der Gleichsetzung äußerlicher Konformität mit Anstand und Humanismus unterminiert Freaks nicht zuletzt die Autorität jener Instanzen, die pädagogische Prädikate vergeben und moralistische Maßstäbe setzen. Die ungebrochene verstörende Kraft liegt in der Demaskierung des sozialen Status der Zuschauenden als Resultat zufälliger Privilegien - und der beklemmenden Vorstellung, wie es sein könnte, auf der anderen Seite zu stehen: „ … for the sake of chance, you might be as they are.”