Kritik
Was die erste Staffel von Mindhunter so eindrucksvoll gestaltet hat, war die konzentrierte und dennoch über zehn Episoden hochspannende Versachlichung des True-Crime-Sujets, die sich jedem dem Genre inhärent erscheinendem Sensationalismus verweigerte. Produzent und Regisseur David Fincher (Der seltsame Fall des Benjamin Button) bedauerte einst selbst, dass er mit Sieben mitverantwortlich dafür gewesen ist, die vor allem in den Staaten florierende Faszination für Serienkiller weitergehend anzufeuern. Mit Mindhunter sollte ein serielles Format geboren werden, welches dieser ungebrochenen Begeisterung für Triebtäter entgegenwirkt und sich nicht für die mythische Überhöhung des Bösen interessiert, sondern durch die Entwicklung des Profiling das Verständnis für den Menschen hinter der emporstilisierten Schale ins Zentrum setzt. Und Verständnis kann sich nur dann einstellen, wenn man mit den Mördern in einen Dialog tritt.
Die zweite Staffel setzt nun nahtlos an die Vorgängerseason an stellt den Zuschauer erneut an die Seite von Holden Ford (Jonathan Groff, American Sniper), Bill Tech (Holt McCallany, Sully) und Dr. Wendy Carr (Anna Torv, Fringe) die weitergehend aus dem Keller von Quantico versuchen, Geisteskranke zu klassifizieren, ein Profil von ihren Persönlichkeiten zu erstellen und sie dadurch katalogisieren zu können. Das Ziel des Profiling ist nicht nur, die Psychologie von Psychopathen und Soziopathen zu begreifen, sondern auch präventiv agieren zu können, um weitere Morde in der Zukunft zu verhindern. Während das Trio in der ersten Staffel noch mit dem übergroßen Schatten von J. Edgar Hoover zu kämpfen hatte, der das FBI gegründet hat, um John Dillinger zu stoppen, was den Behördenbetrieb geradewegs in die bürokratische Unzugänglichkeit verschoben hat.
In Staffel 2 sind die modernen Ermittlungsmethoden nun nicht nur akzeptiert, der neue Chef der Behavioral Science Unit (Fantastisch: Michael Cerveris, Mitternachtszirkus – Willkommen in der Welt der Vampire) setzt sogar sämtliche ihm möglichen Hebel in Bewegung, um alle Ressourcen zu nutzen, die Holden und Co. dabei unterstützen, Ergebnisse in ihrer Arbeit zu erwirken – er möglicht ihnen sogar ein Interview mit Charles Manson (Damon Herriman, Once Upon a Time... in Hollywood). Der eigentliche Fall dreht sich nun aber um die bis heute nicht vollständig geklärten Atlanta Child Murders: In den Jahren zwischen 1979 und 1981 wurden fast dreißig schwarze Kinder und Jugendliche ermordet. Indizien, Hinweisen und Spuren aber hat es lange keine gegeben. Simultan dazu wird auch weiterhin Dennis Rader, dem BTK-Killer, immer wieder Aufmerksamkeit gespendet.
Mindhunter ist nun an dem Punkt angekommen, an dem nicht mehr nur die Ursprünge des Profiling abgetastet werden, sondern Resultate in den Fokus rücken. Dass diese nicht immer positiv sind, zeigt sich nicht nur daran, dass manche Straftäter nicht in der Lage sind, eine Kommunikation zu führen, sondern auch an dem Umstand, wie extrem das Berufliche nun in das Private hineingreift. Gerade Bill muss am eigenen Leibe erfahren, was es bedeutet, wenn es sich die Dämonen der kranken Welt da draußen in den heimischen vier Wänden gemütlich gemacht haben. Aber nicht nur die Beleuchtung privater Dilemmata erweitern das erzählerische Spektrum der zweiten Staffel maßgeblich. Die Betrachtung des gesellschaftlichen Klimas, deren Wogen Serienkiller natürlich ganz gezielt beeinflussen und steuern können, wird auf eindringliche und überaus präzise Art und Weise behandelt.
Entscheidend dabei ist nicht nur der strukturelle Rassismus, der hier in beide Richtungen ausschlägt, sondern der Blickpunkt auf gesellschaftliche Zustände, in denen Serienkiller zu Spiegelbildern unserer eigenen Identität werden. Sie werden zu Monstern erklärt, damit die Menschen um sie herum nicht die Monster in sich selbst erkennen. Sündenböcke, die von den eigenen Abgründen ablenken. Charles Manson bringt es in seinem famosen Auftritt auf den Punkt: Die Angst, die euch nachts nicht schlafen lässt, gilt nicht den Mörder. Sie gilt euch selbst. Dadurch knüpft Mindhunter auch eine Verbindung zu den Gesetzen Kriminalkinos: Indem die Mechanismen des Profiling von allen Seiten veranschaulicht werden, analysiert die Serie auch unsere Wahrnehmung und die daraus resultierten Sehgewohnheiten des Genres. Cleverer und vielschichtiger hat man das in dieser ausgefeilten Form zuvor noch nicht erleben dürfen.
Fazit
Ist Wahnsinn methodisch veranlagt? Dieser Frage spürt "Mindhunter" nun auch in der zweiten Staffel nach und zeigt sich dadurch für eine ungemein clevere, hochgradig vielschichtige Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Serienkillern für unser gesellschaftliches Dasein verantwortlich. "Mindhunter" übertrumpft die bereits grandiose erste Staffel in seiner durchweg packenden Erweiterung des erzählerischen Spektrums noch einmal und analyisiert nicht nur die unweigerliche Verschmelzung des Privaten mit dem Berufliiche, sondern auch die Gesetze des Kriminalkinos. Eine brillante Serie, in jeglicher Hinsicht.