Kritik
Der König ist tot, es lebe der König! Na ja, in Bezug auf Pablo Escobar, den legendären Kopf eines milliardenschweren Drogenimperiums, möchte man sich dieses Bonmot dann doch lieber sparen. Als narrativer Knotenpunkt der Serie Narcos, einem der Prunkstücke der marktführenden Distributionsplattform Netflix, fanden die Macher (zu denen auch José Padillah zählt, Regisseur und Drehbuchautor von Tropa de Elite) einen königlichen Umgang mit der Persönlichkeit, die zweifelsohne Geschichte geschrieben hat, die aber ebenso nach wie vor aus unerfindlichen Gründen ikonisiert wird. Pablo Escobar, formidabel von Wagner Moura (Elysium) verkörpert, sollte in Narcos kein schillernder Drogenbaron sein, kein popkulturelles Phänomen, sondern, in erster Linie, ein Mensch. Keine Glorifizierung und keine Dämonisierung kam zum Greifen, stattdessen bemühte man sich um Ambivalenzen, die die Relativität von Gut und Böse adäquat zum Ausdruck bringen sollte.
Mit seinem Tod am Ende der zweiten Staffel offenbart sich nun auch die Frage, die allen Fans der Serie auf der Seele brannte: Wie soll es ohne Pablo (und somit auch ohne den idealbesetzten Wagner Moura) weitergehen? Vor allem ist es der zweiten Staffel Narcos gelungen, die bereits herausragend gute erste Staffel noch einmal zu toppen, was den geneigten Zuschauer des hochkarätigen Formats natürlich folgerichtig hoffen lässt, dass auch der dritten Staffel ein ähnlicher Qualitätssprung gelingt. Um es bereits an dieser Stelle vorwegzunehmen: Die dritte Staffel befindet sich nicht mehr auf dem Niveau der beiden Vorgänger-Seasons, was allerdings nicht bedeuten soll, dass Narcos nicht mehr sehenswert ist. Das ist sie nämlich, weil sich Narcos immer noch auf jene Kernkompetenz besinnt, die die Serie von der ersten Folge an ausgezeichnet und besonders gemacht hat: Narcos nämlich ist lehrreich, aber niemals belehrend.
In Staffel 3 wird der Fokus nun auf das Cali-Kartell gelegt, welches in den Grundzügen auch schon in den vorangegangenen Staffeln Erwähnung fand, nach der Beseitigung von El Patrón aber das Machtmonopol auf den Drogenhandel für sich beanspruchte und monatlich 30 Tonnen Koks in die Vereinigten Staaten schmuggelte. Anstatt sich weiterhin auf ein Aushängeschild, wie Pablo Escobar, zu fokussieren, wird die dritte Staffel nun von einem mehrköpfigen Ensemble bestimmt, welches zwar nicht die mitreißende Strahlkraft des Dons aufbringen kann, aber keinesfalls uninteressant gezeichnet wird. Da hätten wir vor allem den Sicherheitschef des Cali-Kartells, Jorge Salcedo (Matias Varela, Assassin's Creed), der nicht nur die interessanteste Figur der neuen Staffel ist, die Serie hält sich auch äußerst realitätsnah an den Erfahrungen des Mannes, der sich irgendwann gezwungen sieht, seine eigentliche Bosse ans Messer zu liefern.
Jene Oberhäupter des Kartells, Gilberto odriquez Orejuela, Miguel Rodriquez Orejuela und Pacho Herrera (gespielt von Damián Alcázar, Francisco Denis und Alberto Ammann) bilden zusammen mit David Rodriguez (Arturo Castro), dem cholerischen Sohn Miguels und Javier Pena (Pedro Pascal, Game of Thrones), einem alten Bekannten aus den beiden vorherigen Staffeln, das Hauptgespann des Serie (es wäre zu ausufernd, den gesamten Cast aufzudröseln). An Pena jedenfalls ist inzwischen abzulesen, wohin ihn sein Beruf getrieben hat: In die Desillusion. Nicht nur musste er bei seiner Heimkehr feststellen, dass sie die Welt auch ohne ihn weitergedreht hat, dieses Weiterdrehen lässt sich auch auf die Drogenkartelle beziehen, die immer wieder von Neuem aus dem Boden gestampft werden. Pena hat sich im Zuge seiner Ermittlungsarbeiten, die im Sturz von Pablo Escobar endeten, ohnehin zu oft ins Bett der Monster gelegt, die er eigentlich besiegen wollte.
Es trägt ohnehin eine bittere Ironie in sich, dass das methodisch wie ein Börsenunternehmen geleitete Cali-Kartell ihre Drogenproduktion derartig potenzieren konnte, nachdem Pablo Escobar beseitigt wurde. Die Ironie daran? Es war das Cali-Kartell, welches dem DEA zur Seite stand, um Escobar zu überwältigen: Die sogenannten Gentlemen von Cali sind die Monster, die sie selbst erschaffen haben. Narcos macht auch in der nunmehr dritten Staffel deutlich, dass der Drogenmarkt ein perfekter Organismus ist, dem man zwar den Kopf abschlagen kann, dem aber mit dem nächsten Wimpernschlag bereits zwei neue gewachsen sind. Obgleich man sich als Zuschauer hier mit einer gewissen Eingewöhnungsphase arrangieren muss (Anlaufschwierigkeiten wäre zu harsch formuliert), ist die Ambivalenz weiterhin als Triebfeder des Erfolgs der Serie zu verstehen. Hier werden nicht nur Machtgefüge und die Fesseln der Rechtsstaatlichkeit auseinanderdividiert sowie die Ökonomie des Kartellhandels beleuchtet.
Vor allem dekonstruiert Narcos alles Heldenhafte und Verwegene, was Spielfilme den Gestalten aus dem Schatten (und jenen, die sie jagen) gerne andichten. Im Prinzip startet alles mit dem nachvollziehen Traum, finanziell ausgesorgt zu haben, um seiner Familie ein Leben in Frieden zu ermöglichen. Die Wege, die diesen Traum ermöglichen sollen, sind nicht das einzige Problem, mit dem sich Narcos ausgiebig beschäftigt. Genauso kritisch offenbart sich der Blick auf die Mittel, die die Behörden einleiten, um die Menschen von ihren Träumen abzuhalten. Zu welchem Preis? Und hier kommt erneut Javier Pena ins Spiel, der in der Wirklichkeit nichts mit dem Cali-Kartell zu tun hatte, in Narcos aber beinahe schon die Stellung eines übergeordneten Prinzips personifiziert: In seinen Ambitionen, den „Bösen“ das Handwerk zu legen, hat er sich viel zu oft dazu verleiten lassen, selber zum „Bösen“ zu werden. Was bleibt schlussendlich? Nichts, außer der Blick auf einen Fluss, auf dem ein Boot schippert, welches bereits die nächste Drogenladung nach Amerika schmuggelt.
Technischer Part
Mit der dritten Staffel ist Narcos sich seiner inhaltlich hochwertigen Qualität treu geblieben. Dies gilt auch für die technische Auflösung der DVD von Polyband (Veröffentlichung: 3. September), die sowohl die Bild- und Tonqualität umfassen und auf ganzer Linie überzeugt. Bonusmaterial sucht man auf der 4 Discs umfassenden Publikation allerdings vergebens. Sammler von Serien-Staffeln kommenaber natürlich hier nicht drumherum.
Fazit
Narcos bleibt auch in der dritten Staffel ein überaus hochwertiges Gesellschafts- und Halbweltspanorama, welches zwar mit der Kompensation von Pablo Escobar (und somit dem wunderbaren Wagner Moura) zu ringen hat, sich aber immer noch so packend gestaltet, dass es ein Ding der Unmöglichkeit scheint, Narcos nicht immer noch als sehenswert zu erachten. Helden sind ein Phantasiegebilde, in Wahrheit nämlich gibt es nur blutverschmierte Gesichter und die bittere Erkenntnis, dass man nicht in der Lage ist, irgendetwas zu verändern.