Da es zu der Independent-Dokumentation "The End of the Special Time We Were Allowed" noch keinen IMDb Eintrag gibt, bekommt ihr die Kritik hier im Special zu lesen.
Nippon Connection: Haben manche Menschen ein „Talent“ zum Selbstmord? Es war diese Frage, die den Regisseur Shingo OTA dazu brachte, sich in einer sehr persönlichen Herangehensweise dem Leben und Sterben seines Freundes Sota MASUDA zu nähern. Nach vielversprechenden Anfängen als Musiker geriet dieser in eine immer tiefere Sinnkrise, die er im Alter von 27 Jahren mit seinem Freitod beendete. Auf mehreren Erzählebenen, zwischen Dokumentation und Fiktion pendelnd, zeichnet OTA diesen Weg reflektierend und selbstkritisch nach. Alte Weggefährten, Freunde und Eltern kommen zu Wort, erinnern sich, suchen nach Erklärungen, zeigen Hoffnungen auf. Ein beeindruckender Film zum Mitfühlen und Nachdenken.
Mugiwara: Die beeindruckendste Dokumentation, die ich seit Ewigkeiten gesehen habe! Leider wird der großartige Film von Shingo Ota außerhalb der Nippon Connection wohl nie seinen Weg nach Deutschland finden. Sehr interessant war übrigens auch das Gespräch mit Regisseur Shingo Ota, der selbst zugegen war - dafür liebe ich die Nippon Connection!
KRITIK
Auf der Nippon Connection laufen zahlreiche Filme, die es außerhalb des Festivals wohl nie nach Deutschland schaffen werden. Sicher ist es bei dem ein oder anderen Film nicht weiter tragisch, doch gibt es immer wieder Beiträge, die man am liebsten mit der ganzen Welt teilen möchte, in dessen Genuss aber nur die Besucher des Festivals kommen. Zu diesen einzigartigen Beiträgen darf sich auch die großartige Independent-Dokumentation "The End of the Special Time We Were Allowed" zählen. Ein eindrucksvoller wie mitreißender Film über Leben und Tod.
Eigentlich wollte Regisseur Shingo Ota einen Film über sogenannte "Freeter" drehen. "Freeter" sind Menschen, die sich mit kleinen Jobs über Wasser halten, um sich verstärkt auf ihr Hobby zu konzentrieren und dieses evtl. zu ihrem Beruf zu machen. Er wollte damit das Leben derer ehren, die trotz negativer Kommentare seitens der Medien und der hart arbeitenden Bevölkerung an ihrem Traum festhalten und dabei oft ihre Zukunft riskieren. Aus diesem Anlass begleitete er seinen Freund Sota Masuda. Masuda war ein aufstrebender Musiker, der sein Talent spätestens mit dem Sieg eines Musikcontests bestätigt sah und alles darauf konzentrierte, seine Karriere in Gang zu bringen. Entschlossen zog er nach Tokyo, doch sah er sich bald mit der harten Realität konfrontiert und suchte in Drogen ein Mittel, seinen Schmerz zu lindern. Seine immer wiederkehrenden Versuche seinen Traum aufleben zu lassen wurden auch durch seine Freunde durchkreuzt, die das ganze eher als Hobby ansahen und nicht den Anspruch der Perfektion und Professionalität verfolgten. Durch sein stoisches Verhalten verlor Masuda mit der Zeit nicht nur den ein oder anderen Freund, sondern geriet auch immer mehr in die Ecke des erfolglosen Musikers, der sich mit kleinen Konzerten und noch kleinerem Publikum irgendwann eingestehen musste, dass sein Traum geplatzt ist. Gefangen in einem langweiligen Job und den unerreichbaren Traum im Hinterkopf sah er keinen anderen Ausweg mehr, als sich mit jungen 27 Jahren das Leben zu nehmen. Er hinterließ neben trauernden Familienmitglieder und Freunde einen Abschiedsbrief, in dem er Shingo Ota darum bat, den Film zu vervollständigen.
"Do you have a talent of suicide?"
Der Regisseur wurde von massiven Schuldgefühlen geplagt. Er machte sich für den Tod seines Freundes mitverantwortlich. Gerade der letzte Wunsch des Verstorbenen ließ ihn glauben, dass er starb, um durch den Film für sich und für seine Musik doch noch den verdienten Ruhm zu ernten. Hätte er sich vielleicht nicht umgebracht, wenn Ota ihn nicht gefilmt hätte? Neben seinen Schuldgefühlen wurde er auch noch durch die anfängliche Idee des Films und durch einige Fragen die er sich selbst stellte motiviert, den Film zu beenden: Ist der Selbstmord einer Nahestehenden Person zu verhindern? Oder haben manche Menschen einfach ein Talent für Selbstmord?
Zusätzlich zu den rund 100 Stunden Bildmaterial, die vor Matsudas Tod enstanden, drehte Ota neben einigen Interviews mit Freunden und Familie des Verstorbenen auch noch fiktionale Elemente um das Leben Matsudas nach dem Tod darzustellen. Ein Jahr dauerte es, bis er aus den über 100 Stunden einen 2 ½ stündigen Film zusammenbastelte. Das Ergebnis fängt die letzten Jahre von Matsudas Leben ein und geht dank der fiktionalen Elemente auch noch darüber hinaus. in diesen sieht man den Regisseur selbst mit Maske bekleidet als Matsuda, der andere Tote nach ihren Selbstmordmotiven befragt und dabei ihre banalen Motive entlarvt und bei der Selbstmordhotline anruft und deren Sinnlosigkeit bloßstellt. Aufgrund einiger ungeplanter Geschehnisse beim Dreh verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer mehr, bis ein dramatischer Höhepunkt erreicht wird, der an Intensität kaum zu überbieten ist. Leider ist der Film zum einen durch die Amateuraufnahmen vor Matusdas Tod, die bei einer solch langen Laufzeit die Sehgewohnheiten des Zuschauer überstrapazieren und zum anderen durch teils missverständliche - weil zu persönliche und damit für den Zuschauer nicht greifbare - Passagen doch recht anstrengend zu schauen.
Aufgelockert wird die melancholische Grundthematik des Films durch viele glückliche Momente in Matsudas Leben und durch seinen Freund Crand, der zwar ebenfalls von einer Karriere als Musiker träumt, diesen Traum aber nicht über alles andere stellt. Er zeigt einen anderen Ausweg aus der Misere, indem er einen guten Job annimmt, eine Familie gründet und darin seine Glückseligkeit findet.
Was am Ende bleibt also ist die Frage "Haben manche Menschen ein "Talent" zum Selbstmord?". Shingo Ota liefert keine klare Antwort auf diese Frage, sondern lässt sie den Zuschauer selbst beantworten. Ohne einen Zugang zur japanischen Kultur jedoch, ist die Beantwortung der Frage nach Sichtung des Films ziemlich schwer. Suizid ist in Deutschland nicht ansatzweise ein so großes Thema wie in Japan. Wenn sich eine Darstellerin im Film umbringen will, weil der Regisseur mit ihr geschimpft hat, wirkt das für uns erst einmal befremdlich, für Japaner gehört das aber durchaus zum Alltag. Wer sich jedoch in die Kultur, die Menschen und deren Bezug zum Selbstmord hineinversetzen kann, wird mit einer der besten, interessantesten und ergreifendsten Dokumentationen der letzten Jahre belohnt.
Fazit: Shingo Ota stellt in seinem Film „The End of the Special Time We Were Allowed“ viele Fragen, überlässt die Beantwortung aber dem Zuschauer selbst. Eine beeindruckende und Kraftvolle Ode an das Leben, die das Weltbild des Zuschauers zwar nicht erschüttern, es aber durchaus verändern kann.