Der Markt für Streaming-Anbieter wächst in letzter Zeit rasant. Besonders Netflix zieht immer mehr Kunden mit eigens produzierten exklusiven Serien und Filmen an, die, nebenbei bemerkt, auch meist eine hohe Qualität bieten, wie die Kritiken und Wertungen zu „Narcos“ oder „Jessica Jones“ jüngst zeigen. Doch auch Amazon zieht nach und präsentiert in seinem großen und vergleichsweise sehr günstigen Prime-Paket mittlerweile eigene Serien. Während „Hand of God“ nicht ganz so gut bei den Kritikern wegkam, versuchen sie mit einer sehr provokativen Werbekampagne (wir berichteten) für „The Man in the High Castle“ neue Zuschauer anzulocken.
Doch von vielen wurde diese Werbung nicht sonderlich positiv aufgenommen. Aber auch wenn sie die Plakate auf Anordnung des Gouverneurs von New York wieder entfernen mussten, haben sie damit den Zweck einer Werbung erfüllt: Die Leute reden darüber. Und das ist es auch, was die Geschichten von Philip K. Dick auszeichnet. „The Man in the High Castle“ beruht auf dem gleichnahmigen Roman des amerikanischen Science-Fiction-Genies, der in Deutschland unter dem Titel „Das Orakel vom Berge“ erschienen ist. Seine Geschichten sind zwar durchweg im Science-Fiction-Genre angesiedelt, aber besonders diese zeigt, wie nah er damit an der Realität schreibt. Seine Erzählungen stoßen dem Leser vor den Kopf, sagen, nein befehlen ihm: „Guck dich doch mal um! Schau in was für einer Welt du lebst, wie sie hätte sein können, wie sie funktioniert!“Damit war Dick einer der größten Beobachter der amerikanischen Kultur und Gesellschaft und wurde vollkommen zu Recht vielfach als wichtigster amerikanischer Autor des 20. Jahrhunderts betitelt.
Doch zurück zur Serienumsetzung. Auch hier wird dem Zuschauer vor den Kopf gestoßen, durch die visuellen Mittel vielleicht etwas plumper als in der Romanvorlage, aber mit demselben Effekt. Es irritiert, wenn im Symbol für das Münztelefon ein Hakenkreuz eingepflegt ist, wenn San Francisco durch zahlreiche japanische Plakate aussieht wie Tokio oder wenn die Menschen sich in New York mit dem Hitlergruß verabschieden. Bis ins kleinste Detail wurde eine Welt entworfen, wie sie hätte sein können und die vielleicht auch doch gar nicht so weit entfernt ist von der Realität (was ist schon real?). Doch die philosophische Tragweite der Romanvorlage erreicht die Serie nicht. Dick war ein hervorragender Geschichtenerzähler, aber ein noch viel größerer Philosoph. Die Serie nimmt die Geschichte und die Figuren in den Fokus, was sicher nicht falsch ist. Aber einige Elemente der Vorlage bleiben dadurch auf der Strecke. Ganz besonders das „I Ging“, ein 5000 Jahre altes chinesisches Orakel, das auch Philip K. Dick persönlich sehr beeinflusst hat, wird im Vergleich zur Vorlage kaum besprochen.
Aber nichtsdestotrotz ist durch den Fokus auf die Figuren und die Geschichte eine spannende Serie entstanden, die durch durchgängig gute bis großartige schauspielerische Leistung, authentische Kostüme und Kulissen und nicht zuletzt durch den mitreißenden Soundtrack über alle zehn Folgen hinweg hervorragende Unterhaltung bietet. Zentrales Thema ist die Angst vor den Obrigkeiten, sowohl auf deutscher als auch auf japanischer Seite und die Furcht, dass überall ein Spion lauern könnte, weshalb man niemandem trauen kann. Sich in dieser Welt dem Widerstand anzuschließen (wenn im Falle von Juliana Crain (Alexa Davalos) auch nicht ganz freiwillig) birgt ein großes Konfliktpotenzial, das die dramatische Handlung antreibt und von den Charakteren immer wieder durch neue Schicksalsschläge das Äußerste abverlangt. Aber auch dem Obergruppenführer Smith (genial: Rufus Sewell) und dem japanischen Wirtschaftsminister Tagomi (Cary-Hiroyuki Tagawa) soll trotz ihrer Stellung kein friedliches Dasein gegönnt sein...
Fazit: Fans der Vorlage werden vielleicht das ein oder andere vermissen, aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Die Serie bleibt trotzdem eine der besten Philip K. Dick-Verfilmungen überhaupt, besonders wegen der mitreißenden Inszenierung und der authentischen Darstellung der alternativen Welt.
Wertung: 8.5 von 10