Civilization 6 spielen ist schon fest so etwas wie eine Kür im Bereich der Strategiespiele. Kein Wunder, immerhin zählt die Reihe zu den absoluten Genre-Klassikern und ist eine absolute Referenz. Und mehr noch: Es macht nicht nur eine Menge Spaß von Runde zu Runde seinen Sieg über die Welt zu planen und durchzuführen, sondern es verschlingt auch regelrecht Nacht für Nacht – Suchtfaktor garantiert. Seit 20 Jahren kann uns also diese Spiele-Reihe faszinieren und immer wieder gekonnt mitnehmen. Geschichte zum anfassen, verändern und vor allem – erobern. Und dennoch gab es im Vorfeld von Civilization 6 teils harsche Kritik bzw. viele Fragen: Kann die neue Grafik wirklich überzeugen? Wird sich das Spiel von seinem Vorgänger angenehm abheben ohne wie ein lauer Aufguss zu wirken oder ein DLC? Wird es genügend spielerische Neuerungen geben, sodass Veteranen auf neue Herausforderungen stoßen? Einen radikalen Sprung wie noch zu Zeiten von Civilization 5 (dem Wechsel hin zu Sechsecken und einem neuen Militär- und Kampfsystem) gibt es auf jeden Fall nicht. Muss es aber auch nicht, denn der Entwickler Firaxis (unter dem Publisher 2K Games) verändert insgesamt so viele kleine Stellschrauben, sodass sich das Spielerlebnis einmalig anfühlt. Wenn dann noch kluge und passende Neuerungen wie das Moralsystem der 18 spielbaren Völker hinzukommt (ein Agendasystem was eine offene und eine versteckte Vorliebe für Diplomatie beinhaltet) oder das neue Stadtbausystem mit den Distrikten, ist Civilization 6 fast die wahre Perfektion – aber eben auch nur fast.
Wie gehabt, wählen wir aber vor dem eigentlichen Spiel aber erst einmal unsere Nation (bzw. dessen Führer oder Führerin) und basteln uns ein Szenario zurecht. Riesige Karte mit vielen Inseln? Perfekt! Der Rest fühlt sich für Veteranen wie nach Hause kommen an (und für Neueinsteiger gibt es genügend Hilfe, um einen gekonnten Start hinzulegen – doch es braucht so oder so mehrere Versuche). Stadt gründen, Einheit bauen und auf Erkundung gehen. Während wir so auf die ersten Nationen treffen, macht sich allmählich das neue Diplomatie-System bemerkbar. Durch die 2 Vorlieben – eine davon ist versteckt (wie zum Beispiel die Liebe von Pazifisten) – gibt es genügend Wechselwirkungen, sodass sich Krieg und Frieden gut in das Spiel einfügen. Natürlich sind wir allerdings noch lange nicht soweit. Ferner ist erst einmal die eigene Stadt wichtig. Und hier gibt es gleich die nächste gravierende Neuerung: Wo zuvor unsere Bautrupps eifrig im Automatismus von Feld zu Feld gewandert sind, gibt es nun eine deutlich taktischere Herangehensweise. Wo setzen wir die neuen Distrikte wie Heiligtum, Forschungscampus oder Kulturquartier hin? Eine Frage der Weitsicht, denn viele der Felder bedingen sich gegenseitig und können sich gar unterstützen. Industrie sollte zusammen mit Steinbrüchen und Minen liegen, der Handel an Flüssen und Bauernhöfe am besten zusammenstehend. Dies, sowie die Tatsache das sich Bautrupps nach einer bestimmen Anzahl von Aktionen auflösen, ergibt ein wahres Feintuning unserer Städte. Und auch Weltwunder sollten gut geplant sein, da diese Dauerhaft einen Bauplatz wegnehmen und ebenfalls bestimmte Bauplätze benötigen. Wo ich also ein Militärlager aufschlage, externe Wohnviertel plane, die Wohnqualität erhöhe oder lieber auf Religion setze, ist eine tiefgreifende Entscheidung, die immer im Zusammenhang mit dem Gesamtziel meiner Strategie gesehen werden muss. Dies ist herrlich und verursacht eine bis dahin nicht gekannte Tiefe beim Städtebau und Planen.
Wenn wir dann unsere erste Stadt allmählich aufgebaut haben und vielleicht sogar das erste Barbarenlager in Trümmern liegt, geht es an die nächsten großen Teile von Civilization 6: Handel, Politik, Wissenschaft, Spionage und Religion. Der Handel selbst erweist sich, wie schon beim Vorgänger, als insgesamt gut durchdacht, aber keineswegs ausgereift. Hinzukommt, dass das Handelsnetz automatisch Straßen generiert, die so der Spieler vielleicht gar nicht haben möchte. Viel wichtiger ist aber eh die Wissenschaft – und gerade hier kann Firaxis mit einem tollen neuen System punkten: Heureka-Momente und kleine Boosts sorgen für ein sehr dynamisches System, das eine Wechselwirkung aus Technologie und den Interaktionen des Spielers generiert. Bau ich eine Mine oder unzählige Bogenschützen, kann sich eine weitere Wissenschaft schneller entwickeln lassen. Eine tolle Motivation und eine strategische Planung, die sichtlich Spaß macht. Bis wir die insgesamt 67 naturwissenschaftlichen Technologien erforscht haben, dauert es sowieso eine ganze Weile. Allerdings ist das auch nur die Spitze vom Eisberg: Wo wir die Naturwissenschaften verlassen, kommen wir nämlich zu den insgesamt 50 Sozialpolitiken. Egal ob Humanismus, verbrannte Erde oder verschiedene Kulturereignisse – gleichsam natürlich wieder mit Boosts. Wer hier gut plant und gekonnt Sozialpolitiken einsetzt, bekommt nicht nur gute Bonis, neue Einheiten oder Gebäude, sondern auch zusätzliche Regierungsformen. Und dieses generiert ein neues tolles System in Civilization 6: Dem Politiksystem und seinen Entscheidungskarten. Auf dem Kartendeck (je nach Regierungsform) können wir so nochmals Bonies und Vergünstigungen wählen, die wir unserer langfristigen Strategie zuordnen können. Oder auch kurzfristig: Wollen wir gerade schnell expandieren? Dann auf und 50 Prozent Kosten für Siedler oder fünf Aktivitäten für Bautrupps. Heureka!
Wenn wir dann unsere Armee aufgebaut haben (das Kampfsystem gleicht im weitesten Sinne dem seines Vorgängers, hat aber noch mit manchen Steuerungsproblemen zu kämpfen), das Technologie/Wirtschaft und Politiksystem steht, geht es an die nächste große Herausforderung: Religion. Und hier können wir durch die religiöse Siegbedingung auch langfristig das Spiel für uns entscheiden. Zudem liefern uns Glaubenspunkte auch regelrechte Ressourcen (wie bei der Theokratie, wo wir durch die Punkte Einheiten kaufen können) oder können durch das neue religiöses Kampfsystem auch zum Glaubenskrieg führen. Vom heiligen Krieg bis zum Kolonialkrieg ist da alles möglich. Von den religiösen Vorteilen ganz abgesehen. Währenddessen stellen wir uns natürlich mit den vielen Stadtstaaten gut, die wir natürlich auch erobern könnten, aber durch Abgesandte deutlich mehr Vorteile genießen – bis hin zur Übernahme ihrer Armee für eine gewisse Zeit. Wer also die meisten Abgesandten in einen Stadtstaat schickt, hat deutlich Vorteile. Es wirkt daher gerne wie ein diplomatischer Kleinkrieg. Apropos Wettstreit: Einen Krieg gibt es auch bezüglich der vielen Persönlichkeiten, die wieder eine Menge Vorteile bringen können. Zwar können wir sie dieses Mal auch kaufen, doch von sich aus erscheinende Ehrenbürger sind dann doch eine bessere Alternative. Und so können wir ebenfalls wieder auf Kultursieg setzen oder schlichtweg unsere Technologien vorantreiben. Wenn das nicht reicht: Dann gibt es immer noch unsere Spione, die auch so manch einen kleinen Überfall generieren können.
Wenn sich dann alle Komponenten und Systeme in ein allumfassendes, spannendes und wirklich unterhaltendes Spielegefühl zusammenfügen, gibt es dann aber doch einen Wehrmutstropfen: Zwar kann das Kampfsystem mittlerweile zwei oder sogar drei Einheiten pro Feld zulassen (dank der jeweiligen politischen Entscheidung), aber oftmals ist dies auch gar nicht nötig. Denn der Feind ist abermals – wie schon in der Reihe üblich – wenig intelligent. Entweder der Gegner greift stur auf einer Front mit all seinen Einheiten an, oder manchmal eben auch gar nicht. Strategisch kann man dieses Einheitenbashing auf jeden Fall nicht nennen. Wer jetzt hofft, dass zumindest die höheren Schwierigkeitsstufen Erlösung bringen, wird ebenfalls enttäuscht. Denn bis auf Rohstoffvergünstigungen, gibt es hier kaum Auswirkungen. Natürlich wirkt sich dies insgesamt nicht gravierend auf das Gesamterlebnis aus, doch schade ist es weiterhin, dass die KI in Civilization eine kleine Enttäuschung bleibt.
Fazit
Civilization 6 ist wohl das bis dahin beste Spiel der Reihe – ohne Frage. Die vielen Neuerungen fügen sich gekonnt in das bisherige Konzept ein und sorgen für deutlich mehr Spieltiefe und langfristige strategische Planung. Hier noch eine Einheit, da noch eine neue Sozialpolitik, hier ein neuer Bezirk und am Ende der Religionssieg. Wenn da nicht die immer noch wirklich flache KI wäre, hätte Firaxis ein Meisterwerk abgeliefert. So bleibt zumindest eine hervorragende Spieleerfahrung, die Spieler einige Nächte kosten wird.