Einleitung
Werner Herzog zählt nicht nur zu den Lichtgestalten der deutschen Filmgeschichten, sondern hat sich auch auf dem amerikanischen Markt zu einem regelrechten Rockstar aufgeschwungen, der sich durch sein nonkonformistisches Kino nach wie vor an einer nicht geringen Anhängerschaft erfreuen darf. Dass Werner Herzog eben nicht nur in Verbindung mit Klaus Kinski gebracht werden darf, deren Kooperation Meisterwerke wie Aguirre, der Zorn Gottes oder Fitzcarraldo hervorgebracht hat, belegt auch die hochwertige Werner Herzog Edition aus dem Hause Arthaus.
Kritik
Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle (1974)
Irgendwann steht er, Kaspar Hauser, der sich später selbst als auf die Welt gestürzt beschreibt, auf dem Nürnberger Unschlittplatz. Regelungslos, apathisch, der Gegenwart vollends entrissen. In der Hand hält diese sonderbare Erscheinung einen Brief, der auf den hiesigen Rittmeister verweist. Ihm fehlt jede Feinmotorik, nicht einmal rudimentäre Sprachkenntnisse beherrscht er, nur den Satz „Ä sechtene Reiter möcht i wähn, wie mei Vottä g'wähn is“ unterbreitet er den Anwohnern, die sich dem befremdlichen Mann angenommen haben. Werner Herzog (Strozek) nimmt sich der Geschichte des sagenumrankten Findelkindes an, bleibt den traditionellen Schriften treu, die nach und nach zur Grundlage für Hunderte weitere literarische Auseinandersetzungen mit Kaspar Hauser, dem Außenseiter, dem Betrüger, dem Abkömmling des badischen Hochadels, dem Mythos, wurden. In eindrucksvoll traumwandlerischen Bildkompositionen ist Jeder für sich und Gott gegen alle keinesfalls daran interessiert, eine akkurate Charakter-Studie anzufertigen, sondern versteht sich vielmehr als gesellschaftliche Sezierung, in dem er Kaspar Hauser als Spiegelbild eines Gemeinwesens nutzt, welches in seiner Zerrissenheit zwischen wissenschaftlicher Logik und demütiger Gottesfurcht jeden Bezug zu sich selbst verloren hat. Natürlich versuchen die Menschen, Kaspar Hauser zu einem Abbild ihrer eigenen Geisteshaltung zu formen, scheitern aber auf ganzer Linie. Durch seine Verweigerung eines jeden Anspruchs auf Wirklichkeit sollte Kasper Hauser über den Dingen schweben und der Allgemeinheit mit der entlarvenden Offenheit eines Kindes vor allem ihr eigenes Scheitern aufzeigen.
Lektionen in Finsternis (1992)
Die Kamera schwebt wehmütig über Kuwait-Stadt, eine blühende, geschäftige Metropole. Nur eine Einstellung später hat sich der Krieg alles geholt, was hier einst das Leben schildern konnte. Geblieben sind nur noch Knochen, die aus dem von Öl beschmutzen Sand ragen und von einer Schlacht berichten, die so heftig gewütet hat, dass hier nie wieder Gras sprießen wird. Die Gebeine scheinen die einzigen zur Sprache fähigen Zeugen, während die Überlebenden dem gesprochenen Wort abgeschworen haben. Zu viel mussten sie mitansehen, zu viel mussten sie am eigenen Leibe erfahren. Werner Herzogs Lektionen in Finsternis ist keine Abhandlung über die Verheerungen und Hintergründe des Golfkrieges, stattdessen begibt sich der ikonengleiche Auteur aus München auf die Suche nach der Ästhetik des Weltuntergangs. Werner Herzog artikuliert sich über seine von urwüchsiger Gewalt elektrisierten Bilder, die Tore der Hölle werden aufgestoßen, Flammenwände erstrecken sich bis zum Himmelszelt, gigantische Rauchschwaden verfinstern die Sonne, näher wird ein Mensch der Apokalypse nicht mehr kommen. Ein Leben ohne Feuer ist in dieser fremden Welt, in der das Menschsein vollkommen ausgeschlossen wird, nicht mehr möglich. Eine Welt, in der Öl geatmet und schwarze Tränen geweint werden.
My Son, My Son, What Have Ye Done (2010)
My Son, My Son, What Have Ye Done“ negiert jedwede Form von konventioneller Erzählung und chiffriert sich in ein filmisches Wunderland, welches sich komplett dem Sog des Wahnsinns verschrieben hat – ein Motiv, mit dem Werner Herzog ja bereits genügend Erfahrungen gemacht hat. Man muss sich den Film wie ein Gemälde vorstellen, mit kraftvollen Pinselstrichen versehen und doch von verblichenen Farbflächen befallen; wie ein intuitives Experiment, welches dort weitermacht, wo der herausragende und ungemein vegetative Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen aufgehört hat. Herzog vertraut auf die Poesie des Wahnsinns und bindet sich daran, „My Son, My Son, What Have Ye Done“ allein über die Emotionalität wirken zu lassen: Es geht allein um das, was die Bilder auslösen, was man durch diese in seinem Inneren imstande ist, fühlen zu dürfen. Passenderweise ist genau dies der Schritt, um der entrückten Seele des Brad Macallam (Michael Shannon, Take Shelter) ein erstaunlich bedrückendes Psychogramm maßzuschneidern. In den Leerstellen und Aussparungen liegt die Kraft.
Happy People – Ein Jahr in der Taiga (2011)
Aus dem 4-stündigen Material des russischen Dokumentarfilmer Dmitry Vasyukov modifiziert Werner Herzog mit Joe Bini eine ganz eigene Version über die Existenz am sibirischen Rand der Zivilisation. In 90 Minuten zieht uns die deutsche Legende unter den Autorenfilmern in eine Welt, in der nicht nach den Pfeifen der Bürokratie und Regierung getanzt wird, sondern einzig die individuelle Wertevorstellung und der dazugehörige Verhaltenskodex den Weg des Seins bestimmt – Vollkommene, naturverbundene Autarkie. Happy People dringt tief ein in das schneebedeckte Herz Sibiriens, die endlose Wildnis, die gnadenlose Taiga, in der die vollbärtigen Russen (einer von ihnen ist übrigens ein Nachkomme Andrei Tarkovskys) nur durch immense Lebenserfahrung und die Gesellschaft eines treuen Hundes überlebt werden kann. Ohne jede Stellungnahme zum Gezeigten und mit dem nötigen Verzicht auf themenbezogene Romantisierungen, hält Herzog - wie wir es von ihm inzwischen gewohnt sind - die Philosophie zwischen dem Menschen und der Natur in Ehren. Eine schöne, bedachte und doch so beeindruckende Dokumentation, die einen geradewegs dazu einlädt, sich einfach in den Lebensverhältnissen der russischen Fallensteller zu verlieren, ohne diese in irgendeiner Weise zu verharmlosen.
»Wenn man es sich genau überlegt, dann sind wir alle Mörder oder ihre Komplizen; selbst die, denen jedes Mal das Herz bricht vor Mitleid. Warum? Das ist ganz einfach: Ein Mann hält ein Schwein, doch er weiß schon im Voraus, warum er es hält: Um es zu töten, zu essen und sein Fleisch zu verkaufen. Und selbst der, dem all das Leid tut, kauft sein Fleisch bei ihm. So sind wir, alle miteinander. Und der Fallensteller ist nicht anders als der Schweinezüchter – Er ist nur ehrlicher.«
Außerdem enthält die Box noch die beiden Dokumentationen Rad der Zeit und The White Diamond.
Technischer Part
Die Blu-ray-Box im stabilen Pappschuber von Arthaus überzeugt durch eine durchgehend saubere Bildqualität und eine glasklare Tonauflösung. Das Bonusmaterial indes umfasst Audiokommentare, Drehbuchauszüge, Fotogalerien, Geschnittene Szenen, Interviews mit Werner Herzog, Trailer und weitere Featurettes.
Fazit
Wer keinen der in der Box enthaltenen Filme bereits in der Einzelveröffentlichung im heimischen Regal besitzt, der darf bei dieser Box bedenkenlos zugreifen. Geeignet für Werner-Herzog-Fans und jene, die noch welche werden wollen.