Im Mai startet die Serie American Gods bei Amazon Prime. Wir durften vorab einen Blick darauf werfen und verraten nach Sichtung der ersten vier Folgen, ob sich ein Blick lohnt.
Es gibt Bücher, die nicht verfilmbar scheinen, weil sie fast aus allen Nähten platzen vor opulenten Nebenhandlungen und unüberschaubarem Figurenensemble. American Gods ist so ein Buch.
Und es gibt Bücher, die förmlich nach einer Verfilmung schreien, weil sie mit der prägnanten Klarheit eines Drehbuchs geschrieben sind und schon beim Lesen den berühmten Film vor dem inneren Auge ablaufen lassen. American Gods ist auch so ein Buch.
Es sei groß, seltsam und verworren, sagt Autor Neil Gaiman über das mehr als 600 Seiten starke Werk, und so scheint es denn auch nicht weiter überraschend, dass das Serienformat gewählt wird, um American Gods auf die Fernseh- bzw. Computerbildschirme zu bringen: mehr Zeit und Möglichkeiten, die komplexen Handlungsstränge umzusetzen. Die erste Staffel soll mit ihren acht Folgen gerade mal ein Drittel der Buchhandlung umfassen.
Wie das Buch begleitet auch die Serie den frisch entlassenen Sträfling Shadow (Ricky Whittle), der von dem mysteriösen Mr. Wednesday (Ian McShane) angeheuert wird, um ihn auf eine Reise quer durch die USA zu begleiten. Dass Mr. Wednesday mehr ist, als er zu sein vorgibt, ahnt Shadow schnell, und der tragische Unfalltod seiner Frau Laura (Emily Browning) ist plötzlich nur noch ein Puzzleteil im großen Ganzen. Als Einwanderer aus aller Herren Länder nach Amerika kamen, lernt Shadow, brachten sie ihre Götter mit, ihre Geistwesen und ihre Mythen. Doch die geraten zusehends in Vergessenheit, und neue Götter drohen das Ruder zu übernehmen – etwas, das Mr. Wednesday keinesfalls zulassen will.
Schon das Intro macht klar, was American Gods sich atmosphärisch vorgenommen hat. Zwischen Neonlicht und Kunstnebel streift die Kamera über religiöse Artefakte, moderne Technologie und knallbunte Popkultur – und nicht nur dank der Musik bleibt es dabei dramatisch und düster. Das greift auf, was Gaimans Buchvorlage hergibt, und entwickelt es von Anfang an visuell weiter. Brutale Sequenzen werden ästhetisch inszeniert, es regnet Blut. Und auch sonst bietet die Serie gerade in den erzählerischen Nebensträngen genug fürs Auge, setzt Schauplätze kunstvoll in Szene und nimmt sich mitunter Zeit, ihren visuellen Reichtum nahezu genussvoll zu zelebrieren.
Inhaltlich gelingt American Gods das Kunststück, sich nah an der Buchvorlage zu halten, was Leser freuen und für Nicht-Leser ebenso reizvoll sein dürfte. Wer die Vorlage kennt, wird manche Szene als Eintauchen ins eigene Kopfkino empfinden; bis hin zur Hintergrundmusik sind die Macher hier mit viel Liebe zum Detail am Werk gewesen. Gleichzeitig aber schafft es American Gods, den Inhalt des Buchs nicht einfach stumpf ins Visuelle zu übersetzen, sondern sich die Möglichkeiten des veränderten Mediums zunutze zu machen und die Handlung um neue Dimensionen zu ergänzen. Änderungen erweisen sich als angenehm nachvollziehbar – auch wenn manche Handlungselemente ihre Wirkung erst zeitverzögert entfalten.
Handlungstechnisch benötigt die Serie ebenso wie das Buch ein wenig Zeit, um Fahrt aufzunehmen. Ein Stück weit ist das auch dem Charakter der Hauptfigur geschuldet, wenngleich Ricky Whittle es von Anfang an schafft, den schweigsamen und stets distanzierten Shadow ungleich greifbarer zu machen, als dieser es im Roman ist. Zwar bleibt Shadow in seinen Handlungen nicht durchgehend nachvollziehbar, doch sympathisch genug, um ihn auf seiner Reise mit Mr. Wednesday begleiten zu wollen. Den verschmitzten Alten mit seinen Geheimnissen verkörpert Ian McShane seinerseits charmant und sehenswert, sodass die Dynamik zwischen Shadow und Mr. Wednesday zunehmend Spaß macht. Was sie allerdings auch muss, weil sie Hauptachse der ersten Folgen ist.
Sehr wahrscheinlich macht American Gods auch Spaß, ohne die Buchvorlage zu kennen – wenn man denn bereit ist, sich auf die Story einzulassen, die es mit jeder Folge mehr schafft, jenen abstrusen Charme zu entfalten, der auch Gaimans Roman auszeichnet. Punkten kann die Serie dabei insbesondere mit dichter und stimmiger Atmosphäre, Liebe zum Detail und einem gemäßigten Erzähltempo, das sich eben auch Zeit für Einschübe und Nebenstränge abseits der Haupthandlung nimmt. Diese eingestreuten Episoden und Zeitsprünge verleihen rasch ein Gefühl von Tiefe, und mitunter rundet eine ausgiebige Rückblende erst stimmig ab, was Folgen zuvor noch ein Stirnrunzeln wert war.
Daneben bietet American Gods einiges fürs Auge und schöpft gekonnt aus den Bildwelten der Mythologien, welche die Erzählung bevölkern. Wie das Buch geht die Serie dabei weit über die vergleichsweise »vertrauten« Elemente wie ägyptische oder nordische Mythen hinaus und widmet sich auch den Geschichten unbekannter, halb vergessener Wesen und Gottheiten. Hinzu kommt meist sparsam eingesetzter Humor, der sich oft – aber nicht immer – direkt aus Gaimans Dialogen im Buch speist.
Erzählerisch ein wenig eigenwillig, optisch eindrucksvoll und atmosphärisch überzeugend hat American Gods auf jeden Fall das Potenzial, den Zuschauer gut zu unterhalten. Reinschauen lohnt sich, auch wenn man sich möglicherweise bereit machen sollte, der Serie über die erste Folge hinaus Zeit zu geben.