Kritik
Die Hanover High School. Eine typisch amerikanische Schule, wie man sie aus diversen Einträgen in die Popkultur hat kennenlernen dürfen. Das bedeutet: Die üblichen Probleme der Schüler sind zugegen, die übliche Typologie der Schüler ist zugegen, der übliche Tagesablauf des Lehrplans ist zugegen. Alles beim Alten – fast. Ein Unbekannter hat sich auf dem Lehrerparkplatz an 27 Automobilen vergriffen und diese mit prallen Penis-Motiven versehen. Wer könnte zu so einer Tat nur fähig sein? Wie könnte das Motiv aussehen? Und: Reden wir hier womöglich von dem schlimmsten Vandalismus-Vorkommen in der Geschichte der Vereinigten Staaten? Nun, anhand dieser Überdramatisierung möchte man sich gerne den Kopf kratzen – und reagiert vorerst vollkommen richtig. American Vandal, ein neues Serienformat der Distributionsplattform Netflix, spekuliert auf genau diese Irritationen des Zuschauers.
Wir dürfen ganz ehrlich sein: Diese nicht gerade manierliche Form der Phallus-Kunst ist, als Kriminalfall, wohl kaum erwähnenswert. American Vandal aber weiß um diesen Stand der (prinzipiellen) Bedeutungslosigkeit und spannt daraus ein mit jeder Folge geschickt wachsendes Netz, in dem sich viele interessante und richtige Gedanken ansammeln dürfen. Der Verantwortliche für die Geschmiere nämlich ist schnell gefunden. Natürlich kann es sich nur um Dylan Maxwell (Jimmy Tatro, 22 Jump Street) handeln. Einem schulbekannten Idioten, der nicht nur in der Freizeit damit beschäftigt ist, Menschen Streiche zu spielen (oder ausgiebig Cannabis zu konsumieren), sondern bereits an seiner Highschool zweifelhaften Ruhm durch seine Penis-Portraits erlangen konnte. Dass Dylan seine Unschuld beteuert, interessiert im Schulgremium natürlich niemanden und eine Suspendierung, kurz vor dem Abschluss, folgt auf dem Fuße.
Einzig die beiden Schüler Peter Maldonado (Tyler Alvarez, The House That Jack Built) und Sam Ecklund (Griffin Gluck, Meine erfundene Frau) glauben an die Unschuld Dylans und lassen sich zu einer großangelegten Recherchearbeit animieren, die sie in ihrer Dokumentation American Vandal konservieren. Natürlich ist American Vandal erst einmal eine äußerst amüsante Parodie auf High-School-Filme und True-Crime-Dokumentationen. Wenn sich Peter und Sam eine fast schon manische Mühe dabei geben, jedes noch kleine Detail (die Schamhaare bei der Zeichnung) zu untersuchen und minutiöse Aussage mit Aussage abgleichen, dann hat das etwas wunderbar Absurdes, werden hier doch zwei Welten miteinander verwoben und gegenseitig karikiert: Die Selbst- und Außenwahrnehmung. Als Zuschauer natürlich weiß man selbstredend, dass dieses Vandalismus-Vorkommen ohne Belang ist, für die beiden Schüler allerdings bildet der Vorfall eine Chance.
American Vandal ist sich natürlich im Klaren darüber, dass acht Folgen deutlich zu viel wären, um sich permanent über die erzählerischen, dramaturgischen und inszenatorischen Mechanismen von True-Crime-Formaten lustig zu machen. Wenn man so möchte, hat man sich daran auch nach bereits zwei Episoden weitreichend sattgesehen, obgleich der Humor niemals wirklich daneben tritt. Neben seinen gekonnten satirischen Anleihen allerdings funktioniert American Vandal, weil sich die Serie ihrer exponierten Seriosität bewusst ist, simultan dazu aber auch eine reelle Ernsthaftigkeit entblättert, in dessen Visier die Vorgehensweisen moderner Berichterstattungen rücken, die sich gerne jedweder Objektivität entbehren und auf vulgär-psychologische Herleitungen plädieren. Tatsächlich wird hier mehr oder weniger die destruktive Macht von Vorwürfen und Gerüchten thematisieren und weitergehend aufgezeigt, dass es vielen Menschen nicht um die Wahrheit geht, sondern nur darum, ihre eigene Meinung bestätigt zu sehen.
Fazit
Wer denkt, "American Vandal" würde sich in Pennälerhumor erschöpfen, der täuscht sich. Sicherlich, irgendwann scheint sich das satirische Potenzial, welches True-Crime-Dokumentationen offenlegt, ein Stück weit abzunutzen, doch das Netflix-Format verfügt über weitere Stärken: Hier wird über die destruktive Macht von Vorurteilen und Gerüchten erzählt – und das sogar durchaus spannend und clever. Denn zu oft ist der Mensch nur das, was andere in ihm sehen wollen.