„You think the honorable Ned Stark wanted to hear my side? He judged me guilty the moment he set eyes on me.“
Aufgrund der astronomischen Anzahl an Haupt- und Nebenfiguren und den vielen Handlungssträngen, kommen die Drehbuchautoren und Showrunner David Benioff und D. B. Weiss nur schwer drumherum, den einen oder anderen Charakter in einer Staffel auf der Rückbank Platz nehmen zu lassen. Während in Season 2 v.a. Robb Stark und Daenerys Targaryen nicht wirklich viel zu tun hatten, und Jaime Lannister (Nikolaj Coster-Waldau) über den Großteil der Laufzeit im Käfig saß, gehören die Storylines besagter Figuren zu den Höhepunkten dieser Staffel. Über zwei Staffeln etablierte sich Jaime Lannister als ein arroganter, selbstsüchtiger Mensch, der, außer seine Liebe für Cersei (Lena Headey) und seine Sympathie für Tyrion (Peter Dinklage), nichts für andere übrig hat. Seine Inzest-Beziehung zu seiner Zwillingsschwester und der Schubser eines Kindes aus dem Fenster in der allerersten Folge (die wunderbar den Ton für die Serie setzte) schoben den Könige-mordenden Ritter der Königsgarde in eine sehr dunkle Ecke, aus der man ein Entkommen für unmöglich hielt. Und gerade am Beispiel des Jaime Lannister gibt sich das schwindelerregend hohe Storytelling-Level des George R. R. Martins in seiner Buchreihe zu erkennen. Im Verlauf seiner Reise nach King's Landing mit seiner Begleiterin Brienne (Gwendoline Christie) sind es die traumatisierenden Ereignisse, die das ungewöhnliche Paar zusammenschweißen. Die Rettung Briennes vor einer Vergewaltigung, seine erste „gute Tat“ seit dem Mord am Mad King, für die er sofort die fast größtmögliche Strafe kassiert, lässt Jaime unter all der Ungerechtigkeit zusammenbrechen. Was Jaime der bulligen Brienne beichtet, offenbart Tiefe und unendliche Facetten in seinem Charakter und entlarvt ihn als eine tragische Figur, die von der Gesellschaft für seine nobelste Tat die größte Missachtung erntet; seine Arroganz und Überheblichkeit entpuppen sich als Barriere und Rüstung, die er sich nach dem Mord an Aerys II. Targaryen (aka 'The Mad King') anlegte um weiterem Schmerz vorzubeugen. Der Dialog mit seinem Vater Tywin (Charles Dance) aus der ersten Staffel „And you hear them whispering 'Kingslayer' behind your back, doesn't it bother you?“ – „Of course it bothers me.“ lässt sich im Nachhinein auf vollkommen andere Weise interpretieren. Während zuvor angenommen werden konnte, dass er mit 'bother' wohl seinen Ärger und sein Missfallen ausdrücken wollte, ist der ihm angehängte Name 'Kingslayer' eine ständige Erinnerung der quälenden Ungerechtigkeit, die ihm von der Welt entgegengebracht wird. Dass dieser gigantische Charakter-Twist, der wieder seinen negativen Punktestand beim Publikum auf Null setzt, schon von Beginn an vom Autor beabsichtigt wurde, sind Zeuge des gigantischen Niveaus der Erzählstruktur. Zudem wird in Season 3 eindeutig, dass Jaime trotz der Gemeinsamkeiten mit seinem kleinwüchsigen Bruder Tyrion, was ihren spitzzüngigen Humor angeht, gegenüber dem 'Halfman' eindeutig den Kürzeren (pun intended) zieht. Während es Tyrion gelungen ist, aus der Todesfalle der Lady Lysa Arryn (aka 'Lady Breastfeed'; Kate Dickie) in Season 1 zu entkommen, überspielt Jaime in einer nicht annähernd gefährlichen Situation seine Position und bezahlt für seinen Fehler, das im Nachhinein die Läuterung des Königsmörders ermöglicht. Der Darsteller Nikolaj Coster-Waldau leistet auch in der dritten Staffel fantastisches, der nicht nur das Lannister-typische Aussehen mit sich bringt, sondern auch weiterhin den sarkastischen Spott in seinem Tonfall hervorragend präsentiert. Dazu darf der Däne zum gefühlt ersten Mal eine extrem dramatische Szene spielen, in welcher er alles aus sich herausholt und mit seinem mehrminütigen Monolog und Schauspiel den Bildschirm elektrisiert.