Bildnachweis: © Naughty Dog / Sony Interactive Entertainment

Videospiel "The Last of Us 2" im Test

von Sebastian Stumbek

Story

Vier Jahre nach ihrer gefährlichen Reise durch ein postapokalyptisches Setting der Vereinigten Staaten haben sich Ellie und Joel in Jackson, Wyoming niedergelassen. Hier leben sie jetzt inmitten einer lebendigen Gemeinschaft von Überlebenden in Frieden und Harmonie – trotz der immerzu präsenten Bedrohung durch die Infizierten und andere verzweifelte Überlebende von Außen. Als jedoch ein gewaltsamer Vorfall das friedliche Zusammenleben zerstört, macht sich Ellie auf eine erbarmungslose und brutale Jagd nach Gerechtigkeit. Jeder und jede Schuldige soll mit dem Leben bezahlen – auch, wenn das für sie körperliche und psychisch zerstörerische Folgen bedeutet.

Kritik

Mit The Last of Us 2 sollte die PS4-Ära noch mal mit einem gewaltigen Paukenschlag enden, ähnlich wie es der hervorragende Erstling 2013 bereits auf der PS3 getan hat. Anderes als ein neues Meisterwerk ist von einem renommierten Studio wie Naughty Dog (u.a. Uncharted-Reihe) sowieso nicht zu erwarten. Doch das langersehnte Sequel, das von der weltweiten Presse erwartungsgemäß absolute Traumwertungen erhält, hat gerade mit einem mächtigen Shitstorm im Internet zu kämpfen. Was ist da los? Zunächst sorgten (coronabedingte) Verschiebungen und Meldungen über heftige Crunch-Times bei der Entwicklung für einigen Missmut. Als es dann auch noch knapp 1,5 Monate vor dem Release zu großen Story-Leaks kam, die samt Videomaterial im Netz auftauchten, war das Unheil nicht mehr aufzuhalten. Fans waren gefrustet, weil ihnen die Überraschung genommen wurde, andere wiederum zeigten sich unzufrieden über diverse Story-Entscheidungen, die ohne dazugehörigen Kontext gar nicht fair zu bewerten waren, und einige andere hatten einfach ihren Spaß daran, auf infantile Weise die negative Stimmung noch weiter anzuheizen, was zum Teil sehr schmutzige Ausmaße annahm. The Last of Us mag gewiss polarisieren und zur Diskussion anregen, was hier jedoch geschehen ist, hat mit einem sachlichen Dialog nichts mehr zu tun. Das hat dieser Ausnahmetitel nicht verdient.

Nun aber zum Spiel selbst. The Last of Us gilt als eines der besten Spiele der letzten Konsolengeneration. Nicht nur auf technischer Ebene haben die Entwickler Maßstäbe gesetzt, auch ist das Game mit seinen stark ausgearbeiteten Charakteren und der erzeugten emotionalen Kraft ein Paradebeispiel für eine durch und durch gelungene Erzählung innerhalb seines Mediums. Wer die Messlatte derart hoch setzt, muss sich für ein Sequel schon gewaltig ins Zeug legen. Da man die Geschichte damals mit einer folgenschweren Lüge, die zwischen den Protagonisten stand, beendete, besaß man nun einen geeigneten Ansatzpunkt, um sie auf interessante Weise fortzusetzen. Jahre nach den vorherigen Ereignissen haben sich Ellie und Joel in einer bewohnten Siedlung niedergelassen und leben nun ein mehr oder weniger ruhiges Leben. Hier zeigt sich gleich zu Beginn die enorme Detailverliebtheit der Entwickler, mit der sie glaubhaft eine neue Umgebung mit vielen neuen, spannenden Charakteren schaffen. Die Menschen hier leben ein halbwegs normales Leben, gehen ihren Berufen nach, feiern Feste, streiten sich, haben Romanzen am Laufen. All das wird entweder per hervorragend gespielter Zwischensequenzen erzählt, oder es lässt sich situationsbedingt und durch Gespräche nebenbei aufschnappen. Atmosphärisch wird man in The Last of Us 2 sofort abgeholt und in den Bann dieser faszinierenden Welt gezogen. 

Die früheren Ereignisse haben sichtbare Spuren an unseren einstigen Protagonisten hinterlassen. Ellie ist nun deutlich erwachsener und in sich gekehrter, Joel scheint von Schuldgefühlen geplagt zu sein. Das einst so nahe Verhältnis zwischen den beiden ist nicht mehr dasselbe wie früher, Ellie hat sich von ihrem Ziehvater deutlich distanziert. Was zwischen ihnen in den letzten Jahren vorgefallen ist, erfahren wir später noch genau. Wir schlüpfen diesmal in die Rolle von Ellie und werden schon ziemlich bald und auf grausame Weise aus der Idylle herausgerissen. Ein Zwischenfall zwingt sie, ihre neue Heimat zu verlassen und sich nach Seattle zu begeben, um Rache an einer Gruppe von Leuten zu nehmen. Soweit folgt The Last of Us 2 erzählerisch genretypischen Bahnen, hat aber schon bald einen Haufen an Überraschungen in petto, die man so nicht erwarten würde. Auch das Sequel ist wieder eine emotionale Achterbahnfahrt, die unglaublich intensiv verläuft. Neue und alte Charaktere wachsen uns stark ans Herz, Dialoge sind hervorragend geschrieben und gestalten das neue Abenteuer wieder unheimlich lebendig. Naughty Dog bricht diesmal erzählerisch sogar mit gängigen Konventionen und traut sich Dinge, wie man sie in anderen Spielen so noch nicht gesehen hat. Das wird an dieser Stelle jedoch absichtlich nur vage angesprochen, um niemandem die Überraschung zu verderben. Die volle Kraft hinter der clever konstruierten Geschichte entfaltet sich nämlich erst dann, wenn man sie selbst erlebt.

The Last of Us 2 unterscheidet sich tonal deutlich vom Erstling. Dieser war zwar auch düster und grausam, bot aber immer einen Funken Hoffnung, der uns trotz des durchlebten Schreckens weiter antrieb. Im Sequel geht es vor allem um Hass und Schmerz, und was das aus einem Menschen machen kann. Man gerät in eine Spirale der Gewalt, aus der es kein Entkommen gibt, jede Handlung zieht folgenschwere Konsequenzen mit sich. Das geht sogar so weit, dass man sich im Laufe der Handlung immer elender fühlt. In anderen Spielen bringt das Töten von Gegnern eine Form von Befriedigung mit sich, in The Last of Us 2 sorgt es für Ekel und Abscheu. Unsere Gegner sind nämlich keine x-beliebigen Figuren, sie haben Namen, Gesichter und Geschichten und sind letztendlich auch nur Menschen, die ums Überleben kämpfen. The Last of Us 2 geht mit seinem Rachethema äußerst intelligent und erwachsen vor, das unangenehme Gefühl, welches sich hier einstellt, ist durchaus gewollt und als Kommentar auf Gewalt eine der großen Stärken des fantastischen Drehbuchs. Hier gibt es kein simples Schwarz und Weiß, stattdessen ist alles Grau. Wir sollen unser Handeln hinterfragen und tun das selbst nach Beenden des Spiels noch für lange Zeit. Die Geschichte geht unter die Haut und löst dabei Gefühle in uns aus, wie es sonst nur ausgezeichneten Filmen gelingt.

Das Spiel behandelt aber nicht nur thematisch harten Stoff, auch in der grafischen Darstellung geht man alles andere als zimperlich vor. Schusswaffen verursachen gewaltige Platzwunden, Gliedmaßen werden durchtrennt, Blutfontänen strömen aus offenen Wunden und Schädel werden gespalten oder zermalmt. Während solche Szenen in Spielen wie Doom Eternal der Unterhaltung dienen, unterstreichen sie im realistisch aufgebauten The Last of Us 2 nur den Schrecken umso mehr. Sie gehören einfach in diese grausame Welt hinein, in der nichts verhamlost werden soll. Naughty Dog hat dabei sogar die Mimik der Akteure bedacht, deren Gesichter sich vor Schmerzen verzerren, wenn sie auf brutale Weise das Zeitliche segnen. Auch Ellie ist der Wahnsinn in solchen Momenten aus dem Gesicht abzulesen. Empfindliche Spieler mag all das womöglich abschrecken, doch dient diese schonungslose Darstellung der Immersion, um uns noch stärker an diesem Albtraum teilhaben zu lassen. Warum uns die Entwickler diese Tortur durchleben lassen, lernen wir im Laufe der Zeit verstehen, Naughty Dog hat sich dabei sehr wohl etwas gedacht.

Spielerisch ähnelt das Sequel seinem Vorgänger: Wir erkunden die Umgebung, von zahlreichen Gebäuden bis zu großen Außenbereichen, halten Ausschau nach Ressourcen und Munition, finden Briefe früherer Überlebender, die uns mit ihren Geschichten weiter in diese Welt abtauchen lassen, lösen gelegentlich kleinere Puzzles, um voranzukommen, und treffen auf diverse Gegner, an denen wir uns vorbeischleichen können, oder die wir ausschalten. Die Welt ist diesmal deutlich weitläufiger und erlaubt auch alternative Pfade, die uns in zahlreiche optionale Gebiete bringen können. Ein Open Word-Spiel ist The Last of Us 2 zwar noch lange nicht, es ist aber weitaus weniger linear, als noch der Vorgänger. So gibt es für jeden Spielertypen den passenden Weg: Wer die Story schnell vorantreiben will, hat stets ein klares Ziel vor Augen, wer sich abseits des Hauptpfades ein wenig umschauen will, bekommt viel Gelegenheit dazu. Letzteres wird mit zusätzlichem Loot belohnt. Der Erstling war mit seinen rund 15 Stunden schon ein umfangreiches Single-Player-Game, für das Sequel darf man locker die doppelte Zeit einrechnen. Was hier an abwechslungsreichen, liebevoll gestalteten Content alles drin steckt, sucht man Andersorts vergebens.

In The Last of Us 2 gibt es zahlreiche Möglichkeiten für Verbesserungen. Gefundener Schrott wird beispielsweise an Werkbänken für Waffenupgrades eingesetzt, womit sich die Stabilität unserer Waffen und ihre Magazingröße erhöht, wir können aber auch Zielfernrohre anbringen lassen, um Gegner aus der Entfernung auszuschalten. Zudem lernt unsere Spielfigur im Laufe der Zeit neue Skills hinzu. Gefundene Fertigkeitsbücher schalten neue Entwicklungspfade frei, eingesetzte Punkte darin spendieren uns dann mehr Gesundheit, schalten neue Crafting-Rezepte frei oder lassen uns Gegner auf größere Distanz orten. Vor allem auf höheren Schwierigkeitsstufen kann uns das manch entschiedenen Vorteil verschaffen. Craften ist in The Last of Us 2 überlebenswichtig, seien es Medipacks bis hin zu Pfeilen oder Bomben, die wir uns mit den richtigen Materialien stets basteln müssen. Da wir uns in einer postapokalyptischen Welt bewegen, in der das Überleben für jeden knallhart ausfällt, passen solch Survival-Mechaniken inhaltlich gut hinein.

Großartig gelungen sind die Kämpfe des Spiels, die wir, wenn wir uns geschickt anstellen, stets im Stealth-Modus angehen können. Wer sich unauffällig verhält, schaltet seine Feinde so aus dem Stillen heraus aus und spart dabei knappe Munition. Knifflig wird es, wenn zusätzlich auch Hunde zum Einsatz kommen, die uns erschnüffeln können, wenn wir ihre Wege kreuzen. Werden wir oder eine Leiche entdeckt, bricht schnell Chaos aus. Unsere Feinde verhalten sich recht clever, versuchen uns zu flankieren und suchen Deckungen. Sind sie in der Überzahl, bedeutet das schnell unser Ende, da sie uns gnadenlos in die Enge treiben. Kämpfe fühlen sich extrem wuchtig und intensiv an und verlangen dem Spieler im späteren Verlauf einiges ab. Wenn uns Kugeln um die Ohren fliegen, um uns Glas zerspringt und wir nach hinten geschleudert werden, sobald wir doch einmal getroffen werden, um uns dann aus Rückenlage heraus mit einem Gegenschuss aus der misslichen Situation befreien wollen, ist das Adrenalin pur. Meist haben wir einen Begleiter dabei, der uns im Gefecht unterstützt und uns auch schon mal das Leben retten kann. Gelegentlich kommt es hier zu kleinen KI-Aussetzern, was zu komischen Momenten führt, im Großen und Ganzen aber verhalten auch sie sich sinnvoll.

Menschliche Gegner teilen sich diesmal hauptsächlich auf zwei Gruppen auf: Wir treffen auf die militanten WLF (Washington Liberation Front), die mit automatischen Waffen und Granaten auf uns Jagd machen, sowie auf die geheimnisvolle Seraphiten-Sekte, die sich mit angsteinflößenden Pfiffen untereinander verständigen und uns mit Pfeilen traktieren. Daneben bevölkern natürlich auch die Infizierten weiterhin die Welt, wovon es diesmal auch ein paar ganz neue Gattungen gibt, die auch schon mal für echte Horrormomente wie in einem Resident Evil sorgen. Je nachdem welcher Gruppierung wir begegnen, unterscheidet sich das Vorgehen und das ausgelöste Gefecht stets voneinander. Geraten wir zwischen die Fronten, ergeben sich auch schon mal interessante Möglichkeiten des gegenseitigen Ausspielens, was für taktischen Spielraum sorgt.

Eigentlich sind die Blicke bereits auf die nächste Konsolengeneration gerichtet, doch mal ganz ehrlich, was The Last of Us 2 technisch noch aus der alten PS4 herauskitzelt, von der umwerfend schön designten Spielwelt, den lebensechten Mimiken und Animationen, dem außerordentlich hohen Detailgrad bis hin zu fabelhaften Effekten, ist einfach phänomenal und lässt uns Next-Gen kurzzeitig vergessen. Dabei läuft das Spiel auch jederzeit flüssig und kommt ohne Bugs aus. Auch auf akustischer Seite gelingt den Beteiligten eine wahre Meisterleistung, vom 1A-Sounddesign, das für knisternde Atmosphäre sorgt, bis zur wunderschönen Musik, an der Oscargewinner Gustavo Santaolalla (Babel) und Mac Quayle (Mr. Robot) beteiligt waren. Technisch bleiben keine Wünsche offen.

Fazit

Ein Meisterwerk, das auf technischer und erzählerischer Ebene Akzente setzt. Das uns mit voller emotionaler Wucht trifft und mit seinen famos gezeichneten Charakteren leiden lässt. Das uns in seine faszinierende, atmosphärisch dichte Welt hineinsaugt, die uns trotz all ihrer Grausamkeiten nicht mehr loslässt. "The Last of Us 2" ist schwere Kost und verlangt Spielern gewiss einiges ab, tut das aber auf äußerst smarte Weise und ist gerade dadurch so fesselnd und nachhallend. Spiele können eben mehr als plumpe Unterhaltung sein, sie dürfen auch zum Nachdenken anregen und ein Gefühlsdilemma in uns auslösen. Eines der besten Spiele dieser Generation!

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