Inhalt
Als die in der Schule gehandelte Holly einen tödlichen Brand vorausahnt, beginnt ihr Umfeld zu glauben, sie habe magische Kräfte und können Menschen von Leid und Kummer befreien. Doch sind die Kräfte des Mädchens real oder nur Wunschdenken - und wenn nicht: wie gefährlich ist Holly?
Kritik
Sind Aufmerksamkeit und Anteilnahme Superkräfte in einer von Gleichgültigkeit und Grausamkeit geleiteten Gesellschaft? Beruhen Wunderheilungen in der Wirkung einer tröstenden Geste? Wird Nächstenliebe in einer manipulativen, materialistischen Welt unweigerlich korrumpiert? Die tiefgreifenden Fragen ihres hypnotischen Horror-Stücks formuliert Fien Toch (Home) in bemerkenswert zurückgenommener Bildsprache. Suggestive Szenarien, durchdrungen von einem spukhaften Synthesizer-Score verleihen dem tristen Kleinstadtschauplatz eine beklemmende Aura zwischen Alltag und Anderweltlichem. Diese Überschneidung von Bedeutungsebenen liegt bereits im Namen der Titelfigur (subtil fesselnd: Cathaline Geeraerts).
Die 15-jährige Außenseiterin trägt den Ruf eines modernen Messias, der ihr nach einer tödlichen Tragödie an ihrer Schule zugeschrieben wird, bereits im Namen. Dessen spirituelle Konnotation impliziert zugleich ihren Märtyrer-Status. "Bad things are gonna happen today", sagt die von Klassenkameraden als "Hexe" gehänselte Holly am Tag, als ein Feuer zehn Schulkinder tötet. Ihre an einem suspekten Helfersyndrom leidende Lehrerin Anna (Greet Verstraete, De Twaalf) deutet die tröstliche Wirkung Hollys sanfter Berührungen auf die Hinterbliebenen als übersinnliche Gabe.
Annas wohltätige Einsätze werden für dem schüchternen Mädchen aus einem dysfunktionalen Haushalt belastend und entfremden sie von ihrer älteren Schwester (Maya Louisa Sterkendries) und ihrem neurodiversen Freund Bart (Felix Heremans). Dessen Bemerkungen verraten das bedrohliche Potenzial humanistischer Heroisierung im Kern der mesmerisierender Melange aus Jugenddrama und Horror. Der liegt in den sadistischen Schikanen Gleichaltriger gegenüber Holly, dem emotionalen Vampirismus der Bedürftigen, die Empathie skrupellos ausbeuten und der apathischen Ablehnung der Angehörigen, die sie lieben sollten.
Fazit
Der fünfte Spielfilm der belgischen Regisseurin und Drehbuchautorin entzieht sich bewusst einer klaren Differenzierung zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch, Realismus und Phantastik. Obwohl die übernatürlichen Elemente in der metaphysischen Metapher bis zuletzt im Vagen bleiben, ist ihr atmosphärisch und darstellerisch gleichermaßen mesmerierender Festival-Film erfüllt von einem undefinierbarem Air leisen Grauens. In einer Welt, die Ikonen ebenso begierig aufbaut wie niederreißt, macht die Normalisierung von Niedertracht selbst ein Minimum Menschlichkeit zu einem wahren Wunder.
Autor: Lida Bach