MB-Kritik

The Vanishing Point 2025

Documentary

Inhalt

Ihr Film über die Grüne Bewegung von 2009 wurde verboten, sie selbst aus dem Iran exiliert. Nun durchbricht die Filmemacherin das jahrzehntelange Schweigen ihrer Familie über einen Cousin, der während der Säuberungen 1988 in politischer Gefangenschaft hingerichtet wurde.

Kritik

Über allem hängt der Schatten der Unterdrückung: Bildern, Worten, Objekten, der eigenen Person. So scheint es auf verwunderlich, dass auch die Erinnerungen Schlichting unterdrückt sind und erst mühsam freigelegt werden müssen. An diesen schwierigen Prozess macht sich   in ihrer dokumentarischen Collage. Die subjektive Spurensuche, die auf dem Visions du Réel Festival ihre Premiere feiert, beginnt mit einer journalistischen Spurensuche in den Sammelalben ihrer Großmutter. „Ramsch“ nennt ihre die alte Frau die Zeitungsberichte und Familienfotos.

Die Schwarz-Weiß-Schnappschüsse ihres jüngeren Ichs und ihres Familienkreises werden in Kombination mit den ausgeschnittenen Artikeln zu einem sozialbiografischen Prisma. Der massive Einfluss des mehrfachen ideologischen Wandels auf die private Ebene zeigt sich in vermeintlich trivialen Details. Die modische Kleidung der jungen Frauen auf den Fotos kontrastiert mit einer gegenwärtigen Anekdote von der Sittenpolizei. Khoshnoudi selbst geriet ins Visier der Zensurbehörde, die ihren 2009er Film The Silent Majority Speaks verbot. Seitdem lebt sie im Exil. 

Die Heimvideo-Aufnahme, die das Sammeln historischer Medienschnipsel zeigt, ist ebenfalls ein solches mediales Fragment. Nach diesem Muster erschließen sich auf den ersten Blick beliebige Aufnahmen wenig später als Puzzleteile eines staatlichen Verbrechens. Während der Säuberungsaktionen, während der in den späten 80ern unzählige politische Gefangene ermordet wurden, verschwand ich ein Cousin Khoshnoudi. Ihr allegorisch aufgeladenes Arrangement von Archivmaterial und anonymen Handy-Clips zeigt den Widerstand gegen fundamentalistische Repression als verbindende Konstante. Der politische Protest ist alltäglich und allgegenwärtig. 

Fazit

Aus der Distanz des künstlerischen Exils konstruiert Bani Khoshnoudi gemeinsam mit der französischen Cutterin Claire Atherton ein bestechend präzises Prisma der subversiven Strömungen in der iranischen Gesellschaft. Die neue Revolution, die sich eine Angehörige der Regisseurin zu Beginn wünscht, scheint bereits in der Luft zu liegen. Grobe Schnitte akzentuieren die wackelige Optik der anonymen Clips. Der Verzicht auf Soundtrack, Off-Kommentar und Kontext schafft einen visuell rauen, bewusst kantigen Essay, der sich auch formalistisch gegen etablierte Muster auflehnt. 

Autor: Lida Bach