7.3

MB-Kritik

Eden 2024

Thriller

7.3

Inhalt

In einer Zeit des Umbruchs zwischen zwei Weltkriegen begeben sich einige sehr unterschiedliche Menschen auf die abgelegene und bis dahin unbesiedelte Galápagos-Insel Floreana, auf der Suche nach einem neuen Leben jenseits zivilisatorischer Konventionen. Die Ersten sind der deutsche Arzt und Philosoph Dr. Friedrich Ritter (Jude Law) und seine Geliebte Dore Strauch (Vanessa Kirby). Ritter schreibt an einem philosophischen Manifest und will außerdem Dore von ihrer Multiplen Sklerose heilen. Nach einiger Zeit erfährt die Presse von dem eigenwilligen Paar und inspiriert den Weltkriegsveteranen Heinz Wittmer (Daniel Brühl), gemeinsam mit seinem Sohn Harry und seiner jungen Frau Margret (Sydney Sweeney), nachzuziehen. Anfangs noch unerfahren im Umgang mit den Naturgewalten, schlagen sie sich nach und nach immer besser. Die harsche Ablehnung durch Ritter und Dore weicht einer langsamen Annäherung. Bis eines Tages die kapriziöse Eloise Wehrborn de Wagner-Bosquet (Ana de Armas) auf der Insel erscheint, eine mysteriöse selbsternannte Baronin. Im Gefolge hat sie zwei Männer, die ihre Liebhaber sind. Die Baronin hat große Pläne, ein Luxushotel auf der Insel zu errichten, und versucht mit allen Mitteln, die anderen gegeneinander auszuspielen und zum Verlassen der Insel zu zwingen. Eitelkeiten, Manipulation und menschliche Habgier spitzen das poröse Miteinander gefährlich zu, bis sich die Ereignisse überschlagen…

Kritik

Es versprach das Paradies zu sein, doch bereits die ersten Bilder, die uns Oscar-Gewinner in Eden präsentiert, tragen einen unheilvollen Unterton. Diese Atmosphäre durchzieht den gesamten Film: Die Strände und die Brandung erscheinen weniger als Idylle, sondern vielmehr als unüberwindbare Grenzen, die die Figuren gefangen halten. Die Farben, obwohl eingebettet in eine üppige Flora, wirken nicht leuchtend oder einladend, sondern verblasst, als wäre das Paradies bereits in die Jahre gekommen. Es ist, als betrachte man einen ehemals edlen Anzug, der durch zu häufiges Tragen und Waschen an Glanz verloren hat. Auf Floreana spielt der Dresscode ohnehin eine untergeordnete Rolle – entscheidender sind Fragen des Überlebens. Zunächst sind es die klassischen Herausforderungen eines Inseldaseins: Woher kommt Trinkwasser? Wie schützt man sich vor streunenden Hunden? Doch bald werden diese existenziellen Sorgen um weitaus perfidere ergänzt: Wer hat die Essensvorräte gestohlen? Wer lügt? Wer manipuliert?

Ron Howard verfilmt mit Eden eine wahre Geschichte – allerdings mit künstlerischer Freiheit, denn die tatsächlichen Geschehnisse auf dem Galápagos-Archipel sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Was bleibt, sind zwei sich widersprechende Berichte von Zeitzeugen, die einander bezichtigen und gegenseitig Schuld zuschieben. Ausgangspunkt der Geschehnisse ist der deutsche Arzt Friedrich Ritter (), der gemeinsam mit seiner an Multipler Sklerose erkrankten Lebensgefährtin Dore Strauch () nach Floreana auswanderte, um dort ein neues Leben zu beginnen. Ritter, gleichermaßen von idealistischen wie egozentrischen Motiven getrieben, suchte nicht nur die Abgeschiedenheit, sondern auch Anerkennung. Er schrieb Briefe an deutsche Zeitungen, die sein exotisches Aussteigerleben schilderten – eine Mischung aus Werbung für seinen alternativen Lebensstil und der Suche nach intellektuellem Ruhm. Doch sein Wunsch nach Ruhe wird jäh gestört, als der Ex-Soldat Heinz Wittmer () mit seiner schwangeren Ehefrau Margret () und seinem tuberkulosekranken Sohn Harry () ebenfalls nach Floreana übersiedelt und sich dort eine eigene Existenz aufbaut.

Die wahre Eskalation beginnt jedoch mit der Ankunft einer selbsternannten Aristokratin: der mysteriösen Baronin Eloise Wagner de Bousquet (), die sich mit zwei männlichen Gefährten niederlässt. Sie verbreitet mit kalkulierter Manipulation und provokanter Besitzergreifung Unruhe unter den Aussteigern. Ihr Auftreten verwandelt das ohnehin fragile Gleichgewicht in ein toxisches Klima aus Misstrauen, Neid und verdeckter Feindseligkeit. Howard inszeniert diesen schleichenden Verfall der utopischen Idee als Mischung aus satirischer Abrechnung, Drama und Thriller, wobei sich der Film immer wieder in campige Überzeichnungen flüchtet. Diese spielerische Übertreibung verleiht Eden eine eigentümliche Dynamik: Das Werk ist zu bissig, um als reines Drama zu gelten, zu verspielt, um nur Thriller zu sein, und zu treffsicher in seiner Gesellschaftskritik, um als bloße Abenteuergeschichte abgetan zu werden. Die Ironie der Erzählung liegt in der bitteren Erkenntnis, dass jene, die die Zivilisation hinter sich lassen wollten, sich geradewegs in eine Reproduktion ihrer schlimmsten Seiten verstricken.

Floreana, das vermeintliche Paradies, entpuppt sich als ein Mikrokosmos der menschlichen Abgründe. Hier stehen sich bürgerliche Strukturen, autoritäre Machtfantasien und alternative Lebensentwürfe in einem erbarmungslosen Wettstreit gegenüber. Die Eskalation gipfelt schließlich in einem düsteren Rätsel: Plötzlich verschwinden Menschen spurlos. Besonders zynisch ist, dass ausgerechnet die Familie Wittmer, die sich am konventionellsten gibt, letztlich unbeschadet aus den Geschehnissen hervorgeht, während die exzentrischen und intellektuellen Idealisten untergehen. Eden ist damit nicht nur ein exzentrisches Aussteigerdrama, sondern eine bissige Reflexion über die Unbelehrbarkeit der menschlichen Natur – und über die feinen, oft unsichtbaren Mechanismen sozialer Machtausübung.

Neben Howards wenig subtiler, aber effektiver Inszenierung, die immer wieder Bilder des Verfalls und Todes in den Vordergrund rückt, ist es vor allem die hochkarätige Besetzung, die Eden so unterhaltsam macht. Jude Law brilliert als Friedrich Ritter in einer seiner stärksten Rollen seit Jahren. Seine Figur oszilliert zwischen charismatischem Visionär und selbstgerechtem Egoisten, dessen Überlegenheitsgefühl ihn letztlich in den Abgrund treibt. Vanessa Kirby hingegen bleibt als Dore Strauch oft im Schatten, was allerdings gut zur Dynamik der Beziehung passt. Daniel Brühl als Heinz Wittmer spielt mit gewohnter Präzision, doch es ist vor allem Sydney Sweeney, die überrascht: Ihre Wandlung von der zurückhaltenden Ehefrau zur resoluten Überlebenskämpferin erfolgt nuanciert und glaubwürdig. Besonders eindrucksvoll ist eine Geburtsszene, die durch Howards ungeschönte Darstellung – und die Anwesenheit einer Gruppe wilder Hunde – eine beunruhigende Intensität erreicht. In diesem Moment spürt man förmlich, dass Eden an einer Schwelle balanciert, hinter der alles möglich ist – selbst Tabubrüche, die der Film zwar letztlich umgeht, deren Möglichkeit jedoch stets spürbar bleibt.

Doch die eigentliche Show stiehlt Ana de Armas als Baronin. Ihre Darstellung ist überhöht, grell und von diabolischer Theatralik durchzogen – eine Mischung aus Femme fatale und Scharlatanin, die ebenso faszinierend wie gefährlich wirkt. Ihre Figur ist bewusst nicht subtil gezeichnet, sondern ein Sturm aus Exzentrik, Gier und Manipulation. Doch genau darin liegt der Reiz: Man kann sich ihrem magnetischen Einfluss kaum entziehen, während sie mit verstörender Selbstverständlichkeit das Paradies der anderen systematisch untergräbt, um ihr eigenes zu errichten.

Letztlich ist Eden ein Film über Narzissmus und Machtspiele – ein grotesker Überlebenskampf in einer Welt, die von ihren Bewohnern selbst vergiftet wird. Howard erzählt diese Geschichte mit einem Hauch schwarzem Humor, aber auch mit einer spürbaren Faszination für die Absurdität menschlicher Hybris. Was als Traum von Freiheit beginnt, endet in einer moralischen Ödnis, in der jeder auf die eine oder andere Weise schuldig wird. Wer Eden nur als Abenteuerfilm oder Überlebensdrama betrachtet, unterschätzt seine subversiven Untertöne. Denn wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann dass das Paradies vor allem für jene ein sicherer Ort ist, die bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen – oder rechtzeitig das Weite suchen.

Fazit

In „Eden“ wird das Paradies zur Bühne menschlicher Abgründe – ein Ränkespiel aus Eitelkeit, Macht und Selbsttäuschung. Ron Howard inszeniert mit augenzwinkernder Boshaftigkeit, wie die Flucht vor der Gesellschaft genau jene Triebe entfesselt, denen sie zu entkommen sucht. Campig, bitterböse, auf reizvolle Weise plakativ sowie hervorragend gespielt und äußerst unterhaltsam.

Autor: Sebastian Groß