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Bilder des Zerfalls: Im Klammergriff der Kontroverse - Teil 13

von Pascal Reis

Gaspar Noé ist ein Filmemacher, der wohl wie beinahe niemand sonst die Wortkombination „berühmt-berüchtigt“ verdient. Regelmäßig stoßen seine Filme auf große Ablehnung, während sie auf den Filmfestivals jedoch Preis nach Preis abräumen. „Irreversibel“ bekam sogar den Titel des Filmes, den die meisten Zuschauer abgebrochen haben, „Enter the Void“ ist ein Film, der aus der subjektiven Sicht einen Drogenrausch reproduzieren möchte, „Love“ ein 3D-Kunstporno, in dem Ejakulat auf den Zuschauer geflogen kommt. Und „Menschenfeind“? Das ist die Fortsetzung eines Kurzfilms des Filmemachers und zugleich dessen Debüt. Ein Film, bei dem der Name das Programm ist. Ein Film, der den legendären Ruf des französischen Regisseurs begründete, denn auch für diesen Film wurde Noé mit Ruhm und Wut belohnt. In Filmkenner-Kreisen jedoch scheint sich die Ansicht durchgesetzt zu haben, Noés Erstling als überaus sehenswert, wenn nicht gar als dezentes Meisterwerk zu erachten. Dieser Text wird genannten Tonus nicht unterstützen.

„Taxi Driver“ wurde von Quentin Tarantino einmal als erste Charakterstudie eines Neonazis beschrieben. „Menschenfeind“ ist ähnlich ausgerichtet, der Schlachter ist faschistisch, rechtsradikal, spricht oft von seinem starken Land, das von ehrlosen Idioten regiert wird. Spricht von Menschen, die vernichtet werden müssen, von Schwuchteln, sehnt Robespierre herbei und ist seiner Meinung nach der einzige, der nicht den Verstand verloren hat in diesem gottverdammten Frankreich. Aufgewachsen ist der Schlachter in einem Umfeld aus Lieblosigkeit, Unmenschlichkeit und Missbrauch. Vergewaltigt als kleiner Junge, sein Vater starb im KZ, seine Mutter war irgendwann einfach weg. Moral existiert für ihn nur für die, die sie bezahlen können. Für ihn gibt es nur die Moral der Schusswaffe. Eins oder null. Ja oder nein. Abdrücken oder nicht. Leben oder Tod. Und so wird der Zuschauer unfreiwilliger Zeuge des Lebens vom namenlosen Schlachter. 

Neunzig Minuten darf man ihm zuhören, wie er mittels Voice-Over seine hasserfüllten und (der Titel sagt es) menschenfeindlichen Ansichten verlautbart. Hass, Hass. Hass. Mehr scheint der Mann nicht zu spüren, er meckert den ganzen Film durch und lässt den Zuschauer an seinen Gefühlen teilhaben, die sich wie folgt aufzählen lassen: Hass, Verachtung, Ekel, Abneigung, Hass. Mitgefühl taucht hier einzig kurz auf, nicht als emotionale Sensation, sondern als rationales Ausnutzen der Schwächen anderer. Mitleid ist eben nützlich, wenn man jemanden vögeln will. Ebenso schnell wie man die Gefühlslandschaft des Schlachters zusammenfassen kann, fasst er die ganze Welt zusammen. Es gibt nur Schwänze und Löcher. Wenn sich der Film seinem Ende zuneigt, wird der Schlachter immerhin mit großen Sprüngen eine Entwicklung durchmachen und sich selbst erlauben, einer weiteren Emotion Einzug in sein Leben zu gestatten. Bis dahin ist es jedoch ein weiter Weg, der mich nicht selten ratlos stehen ließ - nicht weil der Film so kompliziert wäre, sondern ratlos in Anbetracht der überschwänglichen Stimmen des Films gegenüber.

Alsbald nämlich beginnt die Gewalt zum ersten mal und die ist von derart überwältigender Widerwärtigkeit, dass man echt aus der Kurve fliegt. Selbst bei einer zurückblickenden Erinnerung daran überkommt mich das Schütteln, das geht derart gepflegt gegen Moral und Ethik, dass es einem wirklich schwer fällt, noch Lust zu verspüren, weiter nach dem tieferen Sinn des Films zu suchen. Dass Noé nämlich grundsätzlich hier nur schocken will, kann man nicht voraussetzen, das wäre ignorant. Man kann ihm aber durchaus vorwerfen, dass er durch seinen Weg vom eigentlichen Ziel ablenkt, bis er es schließlich aus den Augen verliert und erst auf den letzten Metern vorm Schluss wieder findet. Nach dem Gewaltausbruch dürfte man nicht den Fehler begehen, dem Film Dummheit vorwerfen und abschalten - normalerweise. Allerdings schaltet der Film nach den ersten zwanzig Minuten derart massiv zurück, dass er zu einer leeren Karikatur seiner selbst wird.

In seinem ersten Werk verwechselt Noé Nihilismus mit Leere, bis sein Film einer zu langen Busfahrt ähnelt, auf der man von einem verkappten Nazi über seine Ansichten zugelabert wird - ein Film vom „Wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Format. Allerdings auch ein Film, so viel sei ihm zugestanden, der Noés visuelles Talent immer mal wieder durchschimmern lässt. Die Art, wie er seine Schauspieler in Szene setzt, vom Bildrand abschneiden lässt, wie er Bild an Bild reiht und seine Kamera führt - das hat durchaus Hand und Fuß. Außerdem sei angemerkt, dass der Film sich in den letzten zehn Minuten wieder fängt und sogar in ungeahnte Höhen vorstößt. Der Schlachter zu einer tragischen Gestalt, wenn er den Hass aus sich verdrängen kann, Liebe findet und sogar zu ihr stehen kann - obwohl er weiß, dass die Gesellschaft ihn weiterhin mit Verachtung strafen wird. Das ist herzzerreißend bis meisterhaft, jedoch ein prozentual kleiner Anteil an dem Film, der ansonsten aus sehr viel ermüdendem Leerlauf besteht. Sind die Vorwürfe gegenüber des Films angebracht? Nicht wirklich. Macht ihn das zu einem guten Film? Leider auch nicht.

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