Nun haben Sie in diesem Video erläutert, dass Sie den Film "Knight of Cups" nach einer Stunde verlassen hätten. Was halten Sie im Allgemeinen davon, einen Film vorzeitig zu verlassen und wann ist für Sie der Punkt erreicht, an dem Sie den Film verlassen?
Wenn man professionell darüber schreiben muss, dann muss man leider bis zum Ende ausharren. Da kann man sich ja in der Kritik später rächen. Wenn man nicht schreiben muss, dann kann ich nur jedem empfehlen zu gehen, wenn der Film nichts taugt. Man kann schließlich lieber ein gutes Buch lesen oder sich einen Hitchcock-Film ansehen. Wann dieser Zeitpunkt ist, ist schwer zu sagen. Man weiß es ja oft bei schlechten Filmen sehr schnell, man weiß es nach drei bis vier Minuten. Aber man muss, glaube ich schon, eine gewisse Seh-Erfahrung mitbringen, um sagen zu können, wann ein Film schlecht ist oder nicht. Vielleicht muss man dann anfangs doch länger ausharren. Also ich bin die ersten Jahre nie aus dem Kino gegangen. Jetzt gehe ich regelmäßig vorzeitig aus einem Film, wenn ich nicht über ihn schreiben muss und bin sehr dankbar, dass ich das nicht bis zum Ende ertragen muss. Wenn Sie zum Beispiel nicht hin und wieder einen Film auf der Berlinale vorzeitig verlassen, dann halten Sie das gar nicht durch, diesen Wettbewerb. Das schaffen Sie nicht zehn Tage lang. Ich glaube, man sollte zunächst, wenn man anfängt sich mit dem Kino zu beschäftigen, mit einer großen Demut hingehen und sich auch das Schlechte ansehen. Man sollte schon mindestens ein Dutzend schlechte französische Integrationskomödien gesehen haben, um dann die dreizehnte souverän nach fünfzehn Minuten verlassen zu gehen. Und das gilt eigentlich auch für alle Genres. Man muss das Kino schon gut kennen, um dann empört aufstehen zu können.
In Ihrer Analyse zu Cloud Atlas berichten Sie ebenso, dass Sie den Film vorzeitig verlassen hätten. In Ihrer Retrospektive, der Flop 5 2012, gaben Sie jedoch zu denken, dass diese Äußerung Ihrerseits ebenso eine postmoderne Strategie gewesen sein könnte und Sie nur gesagt haben könnten, dass Sie den Film vorzeitig verlassen haben, um Ihrer Analyse eine Sinnrichtung zu geben. Am Ende sagen Sie: „Die Wahrheit, wir werden sie nie erfahren, so ist das mit der Postmoderne“. Kurz vor dem Schnitt meint man sich einzubilden, da ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. Inwiefern stehen Sie der Postmoderne kritisch gegenüber und welchen Einfluss hat sie auf die zeitgenössische Kunst?
Ich bin sicherlich der Postmoderne gegenüber kritisch eingestellt, was jedoch nicht bedeutet, dass ich sagen würde, man sollte sie ignorieren. Man muss, glaube ich, die postmodernen Theorien gut genug kennen und sie auch durchschreiten, um vielleicht über die Postmoderne hinauszukommen, um gewisse Dinge hinter sich lassen zu können. Ich halte also nichts davon, das zu ignorieren und so zu tun, als hätte es die letzten Jahrzehnte nicht gegeben. Die Postmoderne hat ja auch durchaus Großes hervorgebracht, nicht nur Theoretisches, sondern – vor allem in Frankreich – auch Künstlerisches. Dass wir so viel sampeln, dass wir so viele Genre-Bezüge haben, ist durchaus auch der Postmoderne zu verdanken. Also auch ein Film wie „Get Out“ ist mit all diesen Genre-Spielen, die dieser Film vollführt, ein postmoderner Film, der aber dann in seiner Radikalität und in seinem politischen Impetus, das postmoderne Spiel, in dem einfach alles möglich scheint, verlässt, um dann wieder zu einer Politik zu gelangen. Insofern muss die Postmoderne immer präsent sein, sonst wird man in seinem Denken recht einfältig.
Ist für Sie jeder Film Kunst? Oder beginnt Kunst für Sie erst ab einer gewissen Qualität?
Man kann natürlich jedes künstlerische Produkt als Kunst bezeichnen. Das kann so erweitert werden, dass man am Ende sagt, jeder Werbespot sei Kunst. Ich glaube nur, dass das nicht weit führt, denn dann ist Kunst alles, was wir produzieren, von der gehäkelten Handtasche bis hin zum großen Meisterwerk von Alfred Hitchcock. Ich glaube, zunächst einmal ist es wichtig, dass wir zwischen Hochkultur und Populärkultur unterscheiden. Nicht um zu sagen, die Populärkultur sei die minderwertigere, sondern einfach, weil diese Differenz zeigt, dass die Populärkultur wie auch die Hochkultur eine Eigenlogik hat. Insofern hat natürlich ein Film der von Hitchcock, Godard oder Bergmann gedreht wurde von Anfang an einen künstlerischen Anspruch. Diese Filme wurden in erster Linie nicht nur dafür gedreht, um zu unterhalten, sondern diese Filme sind auch sehr viel mehr als das. Die Populärkultur will erstmal nur unterhalten. Sie liebt das Gefällige und das Gefällige ist natürlich etwas, das der Hochkultur eher abgeht. Die späten Streichquartette von Beethoven sind bspw. nicht unbedingt auf Gefälligkeit ausgelegt, auch nicht darauf, ein riesiger kommerzieller Erfolg zu sein. Aber auch die Populärkultur hat in ihrer Eigenlogik etwas sehr Interessantes, eben weil sie so marktkonform ist, so durchzogen von ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen Diskursen. Das macht diese Populärkultur äußerst komplex. Manchmal kann es viel komplexer sein, eine Komödie mit Ashton Kutscher zu analysieren als ein Film von Jean-Luc Godard. Bei Godards passiert dann natürlich auf ästhetischer Ebene sehr viel mehr, während wir es bei der Populärkultur mit Filmen zu tun haben, die ästhetisch meistens nicht besonders innovativ sind, die aber tatsächlich die gesellschaftlichen Diskurse, die um uns herum sind, unglaublich komplex aufgreifen, gar nicht bewusst, sondern unfreiwillig. Dadurch werden diese Filme für eine Analyse interessant. Es führt gar nicht weiter, wenn man eine genaue Trennlinie zwischen Kunst und Nicht-Kunst zieht. Ich denke nur, dass es nicht gerade sinnvoll ist, wenn man einen so erweiterten Kunstbegriff hat, dass man jeden Film zu Kunst erklärt. Dann braucht man den Begriff „Kunst“ nicht mehr.