Bildnachweis: YouTube: "Die Filmanalyse"

Filmkritiker im Gespräch (Folge 1): Wolfgang M. Schmitt und die ideologiekritische Filmanalyse

von Maximilian Knade

Wenn man sich die meisten Filmkritiker auf YouTube ansieht, dann fällt neben einer anderen Herangehensweise vor allem auf, dass die meisten mit Wertungen arbeiten. Da werden Punkte von 1 bis 10 oder bspw. auch Sterne vergeben. Warum haben Sie sich gegen ein solches Wertungssystem entschieden?

Weil ich das für absolut dumm halte, Sterne zu vergeben. Das müsste ja immer in Relation mit anderen Filmen geschehen. Oder was soll das sonst bedeuten?Also nehmen wir an, ich würde einem Film, den ich sehr schätze wie zum Beispiel „Wilde Erdbeeren“ von Ingmar Bergmann fünf von fünf Sternen geben. Aber wie viele Sterne soll ich dann einem Film wie „Get Out“ geben, den ich auch sehr gut finde, der aber natürlich gar nicht an die Bergmannsche Qualität heranreicht?

Dann vielleicht nur 3 Sterne? Das würde dann aber so aussehen, als wäre „Get Out“ nur ein mittelmäßiger Film. Und was mache ich dann mit der Til Schweiger-Komödie? Soll ich der Minus-10 Sterne geben? Es gibt keine Relation, wenn man mit diesem Sterne- System arbeitet. Und ich glaube, das ist so eine Tendenz, die man überall beobachten kann. Man möchte Filmkritik insofern verwissenschaftlichen, dass man daraus eine positivistische Wissenschaft macht. Man vergibt Punkte, man evaluiert, wie das ja auch im Studium mittlerweile der Fall ist, oder wie es beim Arbeitgeber verlangt wird. Und dann weiß man es: dann hat man Zahlen, dann hat man Statistiken und dann kann man ausrechnen, welcher Film gut und welcher schlecht ist. Ich halte das für eine antiintellektualistische Haltung. Und es ist kein Wunder, dass das aktuell so beliebt ist. Es ist schließlich auch die Ideologie unserer Zeit, alles mit Zahlen und alles mit Preisschildern zu versehen und dann glaubt man, die Sache geklärt zu haben. Die Debatte hört ja genau dann auf, wenn man sagt: „Der Film hat nur zwei Sterne“. Und dann braucht man nicht mehr darüber reden, oder was? Also das ist für mich eine Haltung, die denkfaul ist, ja ich möchte sagen: denkfeindlich.

Wie man in den Kommentaren und auch anhand von Reaktionen auf Seiten wie moviepilot unschwer erkennen kann polarisieren Sie stark. Neulich wurden Sie in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung als Gegenbeispiel zum größten deutschen YouTube-Filmkritiker Robert Hofmann als „zorniger, stolzer Verteidiger von Kulturwerten“ skizziert. Würden Sie sich dieser Beschreibung anschließen und wie nehmen Sie im Allgemeinen die Rezeption Ihres Kanals wahr?

Mich hat die Beschreibung amüsiert. Ich glaube, sie ist nicht ganz zutreffend. Es stimmt, dass meine Beschäftigung mit der Hochkultur zuerst da war. Ich beschäftigte mich also mit der Literatur, der Oper, überhaupt mit klassischer Musik, dem Theater, später dann mit dem Programmkino und erst dann mit dem Populären. Also diese Unterscheidung zwischen Hochkultur und Populärkultur kenne ich sehr gut, weil ich mich in beiden Terrains auskenne. Aber ich mache ja nicht eine Analyse einer Komödie oder eines Musicals, um den Leuten mitzuteilen, dass dieses Musical nicht so gut ist wie Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Das wäre zu banal und jedem, der diesen Qualitätsunterschied nicht sieht, dem kann ich auch nicht mehr helfen. Es geht viel mehr darum, diese Populärkultur in ihrer Eigenlogik ernst zunehmen und auch dort zu erkennen, was gut und was schlecht gemacht ist. Es gibt überall Qualitätsunterschiede. 

Ich will ein Beispiel nehmen, das Sie vielleicht verwundern wird. Wir alle kennen den Hit von Roberto Blanco „Ein bisschen Spaß muss sein“. Jetzt kann man sagen, dass sei ja wirklich das Schlimmste was die Unterhaltungskunst je hervorgebracht hat. Ich sage nein! Dieser Song ist als Stimmungs-Hit grandios komponiert und arrangiert, sehr sehr gut gesungen, übrigens aufwendiger und besser arrangiert als die meisten Lieder der Beatles. Und ich glaube, wenn man dieses Lied in seiner Eigenlogik begreift, dann muss man ihm eine Qualität zusprechen. Das heißt aber nicht, dass man den Robert Blanco-Hit auf eine Stufe stellt mit einem Lied von Schubert. Und diese Differenz mache ich in der Tat, deshalb bin ich jedoch kein Verteidiger von Kulturwerten, ich weise lediglich darauf hin, dass es Qualitätsunterschiede gibt und nur wenn man diese Differenzen kennt, kann man das eine wie das andere richtig schätzen. Nichts wäre falscher als beides zu vermischen, damit wird man nämlich beidem nicht gerecht.

Über die allgemeine Rezeption meines Kanals kann ich nicht klagen. Ich werde wahrgenommen, und es gehört dazu, wenn man eine ideologiekritische Position einnimmt, dass man nicht von allen geliebt wird, aber ich finde sowieso, man sollte nicht Filmkritiker werden, wenn man von allen geliebt werden möchte. Dann sollte man vielleicht Influencer werden, aber nicht Filmkritiker.

Gibt es Filmkritiker auf YouTube, die Sie selber schauen?

Auf YouTube nicht so sehr. Hin und wieder ein paar englischsprachige Kritiker. Ich lese natürlich sehr viel das, was in den Feuilletons erscheint, also in der FAZ, der Süddeutschen, im Neuen Deutschland, in der Jungen Welt und in der Zeit. Und dann hat man natürlich Vorbilder aus der Vergangenheit wie zum Beispiel Siegfried Kracauer oder auch Frieda Grafe, die jetzt nicht ideologiekritisch war, die aber sehr pointiert über Filme schreiben konnte, die wunderbare Kurzkritiken machte oder mit nur einem Satz einen Film beschreiben konnte. Das Schönste, was sie geschrieben hat, war zu Taxi Driver. Dazu schrieb sie einfach: „Wenn einer nur noch Auto fährt“. Dieser Satz klingt auf dem ersten Blick vielleicht banal, aber er trifft diesen Film doch viel besser als man meint. Man kann sehr lange darüber nachdenken und es ist ein sehr guter, treffender Satz.

Haben Sie Ziele mit Ihrem Kanal? Sehen Sie irgendwelche Änderungen vor?

Konkrete Ziele habe ich nicht. Also ich freue mich über den stetigen Zuwachs an Abonnenten und Klickzahlen, denn man macht das natürlich auch, weil man glaubt, dass das, was man sagt, von möglichst vielen Leuten gehört werden soll. Änderungen habe ich überhaupt nicht vorgesehen. Es hat sich gezeigt, dass es so sehr gut ankommt bzw. an den richtigen Stellen aneckt. Es gibt keinen Grund irgendetwas zu ändern.


Dies ist der erste Part einer Spezial- Reihe, in der ich verschiedene Filmkritiker interviewen werde und mich mit ihnen über ihr Verständnis von Filmen austauschen werde. Ich danke Wolfgang M. Schmitt für das anregende Gespräch und kann jedem nur empfehlen, mal einen Blick auf seinen Kanal Die Filmanalyse zu werfen. 

Hier geht´s zum Kanal: https://www.youtube.com/user/Filmanalyse

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