In den Kinderschuhen steckt das Filmfest Bremen schon lange nicht mehr: Vom 10. bis 14. April fand die mittlerweile neunte Ausgabe des Festivals in der freien Hansestadt statt. Mit drei Zahlen – 5 Tage, 6 Locations, 100 Filme – warben die Organisator:innen für ein reges Auflaufen, nicht nur von Filmbegeisterten aus Bremen und der Region, sondern auch von allerlei Filmschaffenden. Diese reisten aus allen Teilen der Welt an. „Wir freuten uns über 33 Deutschlandpremieren aus aller Welt und begrüßten Gäste aus China, USA, Südafrika, Chile, Kanada und Israel“, sagt Marc Sifrin, der Organisator des Festivals. So gestaltete sich ein vielfältiges Kinoprogramm fernab der wöchentlich eintrudelnden Hollywood-Streifen sowie französischen oder deutschen Komödien. Etwa 14.000 Besucher:innen meldete das Filmfest – womit sie laut eigenen Angaben das Zuschauerniveau aus dem Vorjahr halten konnten –, wenngleich die warmen Temperaturen auch ihre Spuren in den Sälen hinterließen.
Vier Sektionen prägen das Programm des Filmfests Bremen: Humor/Satire, Innovation, Deutschlandpremieren sowie „Bremen und umzu“. Letztere widmet sich der regionalen Filmszene. Hervorzuheben im diesjährigen Programm war die Kuration: Die Kurzfilme wurden nicht einfach nur runtergerattert, sie wurden stattdessen in thematischen Blöcken präsentiert. In der Sektion Humor/Satire beinhaltete der Block „Kurz und blutig“ wenig überraschend Filme mit einem Level an Brutalität. Hier ist zum Beispiel „NAP“ zu nennen – eine spanische dunkle SciFi-Komödie, die innerhalb ihres an „Squid Game“ erinnernden Settings folgende Regel für seine Probanden aufstellt: Wer überleben will, muss schlafen! Ein kurioser Kontrast, von dem sich Regisseur Javier Chavanel leider verabschiedet, um die erzwungenen Einschlafversuche eines Teilnehmers zu verfolgen – mit drastischem Ausgang, versteht sich.
Eine Vielfalt an Themen
Ein Bruch mit den Konventionen sowie den Sehgewohnheiten hingegen stand in der Sektion Innovation im Vordergrund. So setzten sich die Regisseur:innen im Block „Blood, Shape & Tears“ mit der Erzählform und Darbietung eines Themas auseinander – unter anderem über eine Bild-Ton-Schere („Will You Look at Me“) oder über widersprüchliche Untertitel („God Has Forgotten Us in the Backseat of a Locked Car During Summer”). Die experimentelle Richtung der Sektion schlug sich auch nieder in Beiträgen wie dem ungarischen Öko-SciFi-Animationsfilm „White Plastic Sky“ oder dem belgischen Schwarzweiß-Drama „Luka“, das die militärischen Gepflogenheiten langsam dekonstruiert.
Und auch über alle Sektionen hinweg war eine Themenvielfalt zu beobachten: Über die alltäglichen Hürden von gehörlosen Menschen, dem Ringen mit Periodenkrämpfen, dem Einfluss von Tourismus und Elektrizität an einer brasilianischen Küste bis hin zur Objektliebe oder Hunde als unheilvolle Wegbegleiter. Die Fühler wurden so in alle Richtungen ausgestreckt.
Viel gab es zu sehen, aber auch unter der ungeschriebenen Regel: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Denn zumindest in einem Kino, dem City 46, waren die Kurzfilmblöcke ausverkauft. An sich ein positiver Punkt, jedoch fanden die Blöcke im kleineren Saal statt. Zudem waren einige Plätze für die Beteiligten der Filme reserviert, sprich noch weniger Plätze für Interessierte. Parallel war der größere Saal für die Langfilme höchstens zu einem Drittel ausgelastet. Eventuell könnte also bei der nächsten Ausgabe ein Tausch der Säle für Abhilfe sorgen.
Eine zusätzliche Prise Hollywood
Neben dem Kinoprogramm sorgte ein Filmstar für den Glamour auf dem Filmfest Bremen. Dafür konnte das Organisationsteam niemand geringeres als John Malkovich an die Weser locken. Der 70-jährige Routinier wurde für sein filmisches Werk mit einem Sonderpreis bedacht sowie dem goldenen Mops – die zu gewinnende Trophäe beim Filmfest Bremen. Die Laudatio hielt der Regisseur Volker Schlöndorff, mit dem Malkovich unter anderem in „Death of a Salesman“ zusammenarbeitete. Einen Tag zuvor blickte Malkovich in einer Masterclass außerdem mit einer gehörigen Portion Nüchternheit auf seine Karriere sowohl in Filmen als auch im Theater zurück. In einer Retrospektive konnten außerdem Filme wie „The Killing Fields“, „R.E.D. - Älter, härter, besser“ und selbstverständlich „Being John Malkovich“ gesehen werden. Es war bemerkenswert, dass die Organisator:innen Malkovich an die Weser locken konnten, was natürlich für mediales Aufsehen in der Region gesorgt hat. Eine ebenso große Aufmerksamkeit sollte aber den unabhängigen Filmschaffenden gelten. Sie und ihre Filme prägen maßgeblich das Filmfest Bremen.
Die Preisträger
Bei der Sonntagsmatinee wurden die weiteren Träger des goldenen Mopses in den einzelnen Sektionen gekürt. In der Sektion Humor/Satire wurde der indonesische Streifen „Basri & Salma in a Neverending Comedy“ als bester Kurzfilm ausgezeichnet (mehr dazu in den Highlights). Der Preis für den besten mittellangen Film ging an die französische Krimi-Komödie „Binaud & Claude“, der kanadische Beitrag „A Shit Day“ wurde zum besten Spielfilm gewählt. Bei letzterem jedoch zankten sich Regisseur Kevin T. Landry und Produzent über das Genre ihres Films. Das liegt daran, dass die in ihren Grundzügen an „Fargo“ erinnernde Geschichte als eine Tragikomödie präsentiert wird. Darin muss die Hauptfigur und Mutter Maude im verschneiten Wald den zurückgezogenen Gaétan für seinen Gewinn beim Lotto interviewen, ansonsten droht ihr die Kündigung. Jedoch ist er von dieser Aktion wenig begeistert, gleichzeitig wird mit Maude mit ihrem egoistischen Mann konfrontiert. Probleme türmen sich auf, die auf ihre makabre Art und Weise gelöst werden, aber auch in eine müde Pointe münden.
Die Preise in der Sektion Innovation richteten sich nicht nach der Filmlänge, sondern nach der Aufbereitung der Filme in puncto Technik, Narration oder Visuals. Für die beste visuelle Innovation heimste „Ardent Other“ den Preis ein – ein Animationsfilm, der den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame für einen Spiegel der französischen Gesellschaft nutzt. Dafür kreiert Regisseurin Alice Brygo einen Zwischenraum, der aus Passanten in Form von 3D-Replika besteht, erzeugt mithilfe von Photogrammetrie. Ein Kurzfilm, der sich zweifellos über seine Abbildungsform definiert und dabei durch eine behäbige Erzählgeschwindigkeit eingeschränkt wird.
Die beste technische Innovation ging an „Happy New Year, Jim“, das seine Verortung in Videospielen wie Red Dead Redemption nutzt, um über das Thema Einsamkeit zu sinnieren. Dazu bezieht die titelgebende Hauptfigur in seinem Monolog das Dahinfristen der Non-Playable Characters ein. Mit einem goldenen Mops für die beste narrative Innovation wurde der mit einer Super-8-Kamera aufgenommene Film „Will You Look at Me“ von Shuli Huang bedacht, eine besondere Erwähnung widmete die Jury dem Kurzfilm „when i bleed“ von Miri Klischat. Den ersten Platz beim Publikumspreis der „Deutschlandpremieren“ belegte die eindrucksvolle Dokumentation „Kulissen der Macht“.
Auf den folgenden zwei Seiten gibt es die Highlights vom Filmfest Bremen zu lesen. Auf der zweiten Seite werden die besten Kurzfilme vorgestellt, auf der dritten Seite die besten Langfilme.