Bildnachweis: © Arthaus

Michael Verhoeven Edition - Box - Kritik

von Levin Günther

Der unbekannte Soldat (2006)

Inhalt:
Ein Museum in München eröffnet eine Ausstellung mit dem Titel „Vernichtungskrieg: Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg“. Dringend informativ sagen die einen, verhetzend und respektlos gegenüber ihren Großvätern sagen die anderen. Michael Verhoeven stürzt sich in die Menge der Menschen, die die Ausstellung verteidigen und angreifen, spricht mit Zeitzeugen, Neonazis, Historikern und Intellektuellen. 

Kritik:
Wie so oft beginnt Verhoeven seinen Film in einem andern Kontext; er zeigt ein Konzert von Schlaginstrumenten. Daraufhin schonungslose Verbrechen gegen Juden, das Schänden nackter Körper, das Erhängen von Menschen. Kriegsverbrechen werden hier gezeigt, begangen von Kriegsverbrechern, die auch Teile von Familien waren, Nachfahren haben, Kinder. Wie geht das deutsche Bewusstsein mit der Wehrmacht um? Hier versammelten sich schließlich viele deutsche Männer, die nicht klar als Verbrecherorganisation eingestuft wurde, wie etwa die SS. Toll ist dabei zuweilen, wie Verhoeven wirklich jedem die Möglichkeit gibt, seine Meinung kundzutun. Interessant, wer diese Möglichkeit ergreift, interessant, wer nicht. Verhoeven erstellt ein Cluster der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Auf der einen Seite Wissen als Verhütung gegen erneutes Unrecht. Auf der anderen Seite die Relativierung der Geschichte gegen persönliches Leid. Die Bilder sind dabei vollends schockierend, können einem mehrmals den Magen umdrehen und haben zu keiner Zeit vor, den Zuschauer auf irgendeine Art und Weise zu schonen. Wieso auch - schließlich geht es darum, den Finger in die Wunde zu legen. Eine Diskussion soll nämlich angeregt werden. Eine über die Wehrmacht, unsere Geschichte und der Umgang mit der gleichen. Zu dieser Diskussion kommt die Dokumentation jedoch nicht; einerseits, weil die Neonazis ihren Kameraden verbieten, jegliche Auskunft zu erteilen und andererseits, weil Verhoeven seinen Standpunkt stets derart erschlagend einfließen lässt, dass jede andere Meinung in der Dokumentation nur für ein paar Sekunden an Glaubwürdigkeit besitzt. Das ist schade. Aber vielleicht versucht Verhoeven auch nur auf seine Weise, das Volk zu bilden. Filmhistorisch interessant: Die Einstellung, die am häufigsten im Film zu sehen ist, zeigt die marschierenden Stiefel der Wehrmacht in einer Archivaufnahme. Damals sicherlich mit den Werten der Stärke und Macht konnotiert, geht heute von diesen Aufnahmen nur noch Unmenschlichkeit aus. Verhoeven zeigt, wie eine identische Filmeinstellung im Zeitkontext ihre Bedeutung vom einen Extrem ins andere verändern kann.


Menschliches Versagen (2008)

Inhalt:
Erst gut 70 Jahre nach dem Beginn der Schreckensherrschaft des Dritten Reichs wird bekannt, inwiefern die Arisierung der damaligen Gesellschaft dem deutschen Volk geholfen hat und wie zahlreich die Gegenstände deportierter Juden mit Kusshand angenommen wurden. Michael Verhoeven folgt Historiker und Hinterbliebene/Zeitzeugen, führt Schicksale zueinander und zeigt einmal mehr auf, dass verschwindend wenig Deutsche damals wirklich unbeteiligt waren. 

Kritik:
Der Titel der Dokumentation - das jüngste Werk aus der Arthaus-Box - ist zwar theoretisch auf zwei verschiedene Wege zu interpretieren. Praktisch jedoch, das macht Regisseur Verhoeven hier überaus deutlich, ist der andere falsch. Das Versagen der damaligen deutschen Bevölkerung hat nichts menschliches, es ist nicht schulterzuckend unter den Teppich zu kehren. Die Deutschen kamen damals nämlich nicht an den Rande ihrer Fähigkeiten und könnten so durch ihre Menschlichkeit entschuldigt werden. Ihre Menschlichkeit ist es nämlich, die von ihnen abgelegt und verschlossen wird, indem sie gierig und reuelos ihr Leben an dem Besitz ihrer jüdischen Nachbarn bereichern. Es dauert fast ein ganzes Jahrhundert bis deutlich wurde, welche Rolle die allgemeine deutsche Bevölkerung bei dem Vorgang der Arisierung gespielt hat. Wie sehr der Staat von der Enteignung der Jugend profitiert hat. Michael Verhoeven unterstützt die Forscher, die eben jenes Wissen nun an die Öffentlichkeit bringen wollen und spannt so ein teils interessantes Netz bis in die Vereinigten Staaten, wo er Hinterbliebene von Geflohenen trifft, die auf die Arbeit der deutschen Forscher aufmerksam wurden. Leider nutzt sich die Dokumentation selbst nach der Hälfte der Laufzeit ab, da Verhoeven weder abwechslungsreich, noch sonderlich interessant inszeniert. Dafür schweift er hier und da vom eigentlichen Thema ab, berichtet von anderen Schicksalen, um das Geschehen noch deprimierender zu gestalten, als es sowieso schon ist und findet nie eine zwingende Stringenz, die die Laufzeit von 90 Minuten annähernd rechtfertigen würde. Informativ bleibt der Film zwar, aber wenn man von den Fähigkeiten des Regisseurs weiß, erwartet man einfach mehr als ein „Gut zu wissen“-Fazit.


Technischer Part:

DVD
: Die „Michael Verhoeven Edition“ ist dank STUDIOCANAL seit dem 18. August im freien Handel erhältlich. Die Filme liegen auf Deutsch in Dolby Digital Mono und Stereo vor und werden durch deutsche Untertitel und Untertitel für Hörgeschädigte unterstützt. Jeder Scheibe bieten zahlreiche Extras an, die den Künstler Michael Verhoeven erklären und sich seinem Oeuvre nähern. Dazu gehört ein Kurzfilm, eine Dokumentation, zahlreiche Interviews, ein Making Of, geschnittene Szenen, Biografien, Fotogalerien und Interviews mit Verhoeven selbst, der über seine Spielfilme spricht. Wer auch nur annähernd interessiert ist, sollte zu dieser Box greifen.

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