Kreuzküssers Meinung
Bergman und Hitchcock in der Modewelt. Sicherlich kann Phantom Thread vorgeworfen werden, das seine akademische Genauigkeit an Prätentiösität grenzt. Dass die Geschichte um einen alternden Mann, dessen autistisches Leben durch eine junge Frau umgekrempelt wird, wie eine gestelzte Altherrenphantasie wirkt. Auch sehe ich die obsessiv-zwanghafte Besessenheit als Erlösung, als Bild einer Liebe, zwiespältig. Aber die dramatische Langsamkeit, mit der hier das Klischee eines Künstlergenies und seiner Muse, die im verborgenen des Mannes leidet, bedient wird, erzeugte bei mir einen faszinierenden Sog. Es mag an der akribischen Detailversessenheit des Films liegen, an der üppigen Kinematographie und an der stilisierten Inszenierung von Paul Thomas Anderson, dass ich diesem Kammerspiel gerne folgte. Eigentlich habe ich mit der Haute Couture-Modebranche nichts am Hut.
Und zwei Stunden sich anzuschauen, wie ein verhaltensgestörtes Muttersöhnchen seine Umgebung wegen seines zwanghaften Charakters mobbt, Frauen zum Zweck seiner Kunst missbraucht, ist nicht wirklich für mich von Interesse. Anderson macht aber aus dieser Geschichte einen sadomasochistischen Diskurs über Abhängigkeiten. Der begnadete Schneider Reynolds Woodcock trifft auf ein co-abhängiges, willensstarkes, tapferes Schneiderlein. Aus Begehren wird eine giftige Abhängigkeit. Das Brauchen und Gebrauchtwerden, das Anziehen und Abstoßen, beruht hier weniger auf gegenseitige Toleranz und Akzeptanz der Macken des jeweiligen Partners, sondern ist ein Art Geschlechterkrieg mit scharfen Dialogen. Unter dem Motto „Reibung erzeugt Wärme“, bis zur Verbrennung. Dank der tollen Darstellerriege konnte ich dieser kruden Emotionalität sogar folgen.
Allein Daniel Day-Lewis' zurückhaltendes und punktgenaues Spiel ist absolut überzeugend. Hier machen Kleider Leute, Kostüme täuschen Luxus vor. Darunter lauert aber die Unvollkommenheit. Der Film offenbart im Widerspruch zu seiner wunderschönen Makellosigkeit, seiner romantischen Bilderwelt, ein krankhaftes Seelenleben. Als psychologisches Melodram im Sadomaso-Kostüm erzählt. Immer schwebt eine Bedrohlichkeit über dem Film. Das hat zwar oftmals etwas von angestaubten Schaufensterpuppen-Kino, schnürt aber mit seinem Thriller-Korsett nach und nach einem dem Atem ab und endet in einer sanft verstörenden Perversion. Mir fehlte zwar die durchschlagende, emotionale Wucht, ich mochte aber die vielschichtige Reflexion über die Macht des Fetisches. Emotionale Bedürftigkeit als Qual und Erlösung, versinnbildlicht in widersprüchlichen Innen- und Außenwelten. Der Zusammenhang zwischen Schöpfung und Zerstörung in der Kunst und Liebe offenbart sich.
Soulis Meinung
Wenn dieser Tage ein Akronym für unzweifelhafte Qualität steht, dann ist es wohl PTA. Paul Thomas Anderson. Magnolia, There Will Be Blood, The Master. Wahrscheinlich ist er der größte Filmemacher unserer Zeit, wahrscheinlich sind wir ihm intellektuell allesamt unterlegen, wahrscheinlich wird aber auch irgendwann jener Film zu viel kommen, der uns in seiner Virtuosität ermüdet – und dann beginnt die Suche nach dem Fehler, nach der Ungereimtheit, nach der Lücke. Mit Der seidene Faden allerdings lässt es Paul Thomas Anderson erneut krachen, wenn auch nur im Stillen, im Kleinteiligen, im Feinstofflichen. Seine Liebesgeschichte um einen Londoner Fashion-Guru namens Reynolds Woodcock und seine Muse Alma konfrontiert den Zuschauer vor allem mit der Frage, wie sich diese beiden Charaktere zu einer Liebesbeziehung zusammenfügen können. Eigentlich funktionieren sie nicht miteinander, der autistisch anmutende Woodcock selbst sieht sich als eingefleischten, unverbesserlichen Junggesellen.
Die Konflikte sind vorprogrammiert, Der seidene Faden wird zu einer zutiefst konzentrierten Abhandlung über Machtstrukturen, Obsessionen und der Liebe als Methode. Als Strategie, als Taktik. Es ist ein cineastischer Hochgenuss mitanzusehen, wie Paul Thomas Anderson seine kongenialen Schauspieler aufeinander loslässt, sie in Stellung rückt und eine beinahe gespenstische Stimmung des Begehrens und der Zerstörung heraufbeschwört. Andersons Definition von Liebe ist eine toxische, eine bisweilen morbide, bis sie in ihrem destruktiven Wesen schließlich die entscheidende, schöpferische Würze erhält und der personellen Unvereinbarkeit einen pathologischen Schliff verpasst, der die Gefühle tatsächlich aufgehen lässt und kompatibel gestaltet. Menschen wie Woodcock und Alma können einander nicht auf direktem Wege verfallen, sie müssen sich erst gegenseitig erkranken, um eine Zukunft zu besitzen.
Was haltet ihr von Der seidene Faden?