Inhalt
Der gutherzige Straßenjunge Aladdin (Mena Massoud) wird von Dschafar (Marwan Kenzari), dem intriganten Großwesir des Sultans von Agrabah , dazu auserkoren, für ihn eine magische Wunderlampe zu bergen, mit der er die Macht über die arabische Stadt an sich reißen kann. Doch die Mission geht schief, Aladdin gerät selbst in den Besitz der Wunderlampe und trifft auf den in ihr hausenden Dschinni (Will Smith), der ihm drei Wünsche erfüllen muss...
Kritik
Goldene Lettern, die vom heißen Wüstenwind in Sand aufgelöst und davongetragen werden, liegen über den ersten Bildern von Aladdin. Eine Kamerafahrt, die geschwind durch das geschäftige Treiben der arabischen Stadt Agrabah führt, endet schließlich in der anliegenden Wüste. Ein steinerner Tigerkopf mit leuchtenden Augen grollt verärgert auf, ehe er einen weiteren Unwürdigen verschlingt. Der Einstieg in die neue Aufbereitung des beliebten Zeichentrickfilms von 1994 lädt somit gleich zur nostalgischen Rückbesinnung. Die digitalen Animation reproduziert die handgezeichneten Bilderwelten von vor über 20 Jahren. Und die Geschichte wird rückblickend erzählt vom befreiten Dschinni (Will Smith), der mit seiner Familie über die Meere segelt und auf Drängen seiner Kinder alles auspackt. Sohn und Tochter legen ihre Gesichter in die Hände und lauschen gespannt. Vor und auf der Leinwand bietet sich kurzzeitig dasselbe Bild.
Wir, die Zuschauer im Kinosaal, geben uns damit aber auch in die Hände von Regisseur Guy Ritchie, dem nicht-diegetischen Geschichtenerzähler, dem Dschinni des Publikums. Dass ausgerechnet der 50-jährige Brite dafür von Disney aus der Wunderlampe heraufbeschworen wurde, gab vorab Rätsel auf. Die virilen Gangster-Späßchen (Lock, Stock & Two Smoking Barrels, Snatch), denen er von Beginn seiner Karriere an frönte, hat er mittlerweile schon in ins viktorianische London (Sherlock Holmes), hinter den eisernen Vorhang (The Man from U.N.C.L.E.) und in verzauberte Ritterhöfe (King Arthur: Legend of the Sword) verlegt. Trotz, oder vielleicht gerade wegen des Verlusts von über 200 Millionen Dollar, den seine Neuinterpretation der Artus-Sage an den Kinokassen zu verantworten hatte, ist er mittlerweile erfolgreich als Hollywood-Querkopf etabliert. Ins Disney-Geschäftsmodell, das vor allem kreative Konformität voraussetzt, scheint er damit nicht recht zu passen. Und ein Musical in Szene gesetzt hat er auch noch nie.
Der neue Aladdin profitiert dennoch von ihm, auch wenn seine eigenwillige Handschrift die meiste Zeit nur blass unter den Bonbonbildern hervorschimmern darf. Spürbar wird das vor allem bei den Figuren, die ganz Guy-Ritchie-Typen sein dürfen, völlig egal ob Zofen oder Zauberer, Federvieh oder Flaschengeister. Sie alle sind gleichermaßen schlagfertige wie trottelige Sympathieträger, denen man ungeniert ins Abenteuer folgt. Will Smith (Bright), dessen digitales Motion-Capture-Kostüm genau so verunglückt aussieht wie im hämisch rezipierten teaser trailer, schultert den Film mit der für ihn typischen Leichtigkeit. Sobald Ritchie den Geist aus der Flasche lässt, und sich seine zwei Männerfiguren ihren Männerspäßen hingeben, der Film also im Mittelteil kurzzeitig zum buddy movie werden darf, macht Aladdin großen Spaß.
Zügig führen Ritchie und Co-Autor John August durch die Handlung des Zeichentrickfilms, in den Gesangseinlagen folgen sie dabei bewährter Musical-Logik. Wenn die Figuren zu singen beginnen, unterwirft sich der Film ganz ihrer Fantasie, die Welt um sie herum darf zur Not erstarren und Schurken können mit einem Fingerschnipsen in Luft aufgelöst werden. Die musikalischen setpieces gefallen in ihrer ästhetischen Anlehnung an überbordendes Bollywood-Kino, auch wenn Ritchie sie augenscheinlich mit ungeübter Hand inszeniert, sich dem Exzess, den die Farben und Kostüme hergeben, nie ganz beugt. Die knalligen Karawanen und paradiesischen Paraden müssen sich da auf das Wunderwerk der Effektspezialisten und die Spielfreude der keimfreien Darsteller verlassen, wo die Choreographie und der bewegungshemmende Schnitt sie im Stich lassen.
Die dem Remake zugrunde liegende Geschichte wird nicht neu gedacht, sondern lediglich aufgestockt. Ritchie und August lassen die im goldenen Käfig gefangene Prinzessin Jasmine deshalb nicht nur gegen Filmbösewicht Dschafar, sondern auch gegen die politischen Machtstrukturen ihrer Heimatstadt aufbegehren. Die männliche Hegemonie des Zeichentrickfilms wird am Ende überwunden, mittels Disney-Kalkül und ermächtigender Power-Ballade. Der herangedichtete Song "Speechless" wird von Naomi Scott so kraftvoll geschmettert, dass sie den Zynismus dahinter beinahe überspielt. Die politische Ordnung des Sultanats bleibt nämlich unberührt von der scheinheiligen Progressivität des Films, die sich am Ende mit einem geschlechtlichen Thronwechsel begnügt. Die Freude um eine weitere, vermeintlich feministisch aufgepeppte Disney-Prinzessin wird trotzdem groß sein. Im Disneyland nichts Neues.
Dass in Ritchies Filmuniversen für Frauen noch nie wirklich Platz war, ist ebenfalls nichts Neues. Der fest in brüderliche Männerromantik vernarrte Regisseur kann schlicht keinen anderen Film drehen, als denselben immer wieder. Führt man sich also vor Augen, dass die Geschichte dieses Films eigentlich die eines Diebes ist; eines frechen, gewitzten Tunichtguts, der dem Konflikt ungern mit Fäusten begegnet, sondern sich herauswindet, redet, rennt und klettert; dann im Verlauf der Geschichte auf einen noch viel größeren Scharlatan trifft, der auch noch zaubern kann; und dass die zwischen diesen Männern aufkeimende Freundschaft die ist, an die der Film am innigsten glaubt, dann ist es doch irgendwie sehr offensichtlich, dass dieser Disney-Film auch irgendwo ein Guy-Ritchie-Film ist. Dem es letztendlich aber nicht wirklich gelingt, aus sich selbst auszubrechen. Ritchie darf aus der Disney-Wunderlampe, bleibt bis zum Schluss aber Publikums- und Produzenten-Dschinni, der Wünsche erfüllen muss.
Mit dem neuen Aladdin verhält es sich also ähnlich wie mit dem neuen Dumbo, der die Kinos gerade erst wieder verlassen hat. Ästhetische Ideen und Figurendynamiken ihrer Regisseure dürfen sich einschleichen, bei Tim Burton wie auch bei Ritchie. Diese Fragmente, einzelne Bilder oder Dialoge, in Aladdin etwa kurze Ausflüge in unwirkliche Videospielästhetik, oder eben die betont virile Freundschaft zwischen den beiden Hauptfiguren, müssen stets darüber hinwegtrösten, dass ein Regisseur bei Disney scheinbar nie ganz bei sich selbst sein darf. Und dass die Erinnerung an ihre im langen Schatten der Micky Maus gedrehten Filme ähnlich kurzlebig ist wie die goldenen Lettern, aus denen sich zu Beginn des Films ihre Namen ergeben. Sie funkeln hübsch, suggerieren Kostbarkeit, werden vom kleinsten Windhauch aber zu Wüstensand aufgelöst und davongetragen.
Fazit
Das "Aladdin"-Remake ist ein hübsches, spaßiges, leider aber nie ganz enthemmtes Fantasy-Musical zwischen Bolly- und Hollywood, ein Guy-Ritchie-Film mit Disney-Zuckerguss. Die Darsteller spielen sich auf, die Bilder knallen vor Buntheit. Am Ende bleibt eine amüsierte Leere.
Autor: Nikolas Friedrich