6.5

MB-Kritik

Aurora 2025

Drama

6.5

Maarja Johanna Mägi
Ott Kartau
Jörgen Liik
Kersti Heinloo
Indrek Taalmaa
Rea Lest
Karin Rask
Margus Jaanovits
Simeoni Sundja
Robert Linna
Martin Laksberg
Sten Zupping
Anti Reinthal
Liisa Linhein
Evelyn Salm
Anu Soolep

Inhalt

Aurora, die Tochter eines religiösen Führers, beginnt eine heimliche Affäre, die ihr Leben verändert. Sie versucht, es allen recht zu machen und nimmt an einer großen Familienfeier teil, bei der plötzlich ein ungebetener Gast erscheint. 

Kritik

Gesehen beim 35. FilmFestival Cottbus

Jeder, der mindestens einmal in seinem Leben richtig verliebt war, weiß, dass Liebe weh tut. Doch für die Tochter eines religiösen Führers gleicht der Liebeskummer schon einer echten Katastrophe, weil sie leider außerhalb von ihrer Ehe die Liebe sucht, oder viel mehr findet die Liebe sie. Während für nichtreligiösen Menschen ein Ehebruch geradezu eine Lappalie ist, könnte es für Gläubige für einen Gewissenskonflikt sorgen. Genau dieser Konflikt wird in aller Ausführlichkeit bei Aurora behandelt. Die Rahmenhandlung erstreckt sich einerseits auf eine große religiöse Familienfeier und anderseits auf die Rückblicke, die Auroras (Maarja Johanna MägiMelchior der Apotheker) Liebesleben in der Vergangenheit beleuchten und erklären, warum das Verhältnis zu ihrem Mann (Ott Kartau, Kalev) so abgekühlt ist. Während die gegenwärtige zeitliche Ebene recht einfach zu verstehen ist, sind die Rückblicke hin und wieder ein wenig verwirrend. Sicherlich findet man schnell heraus, dass es sich um Rückblicke handeln muss und dennoch scheint der Aufbau nicht immer ganz rund zu sein. Auch die familiären Gewohnheiten lassen sich nicht immer leicht durchschauen.

Deswegen liegt der Gedanke nahe, dass die übertriebenen sektenähnlichen familiären Strukturen als Kontrast für das freie Leben der Studentin Aurora dienen. Ihr Ehemann und ihre Familie verkörpern die Beständigkeit, Religion und feste Strukturen, während ihr Liebhaber Lenny (Jörgen Liik, November) für Freiheit, Liebe und Spontanität steht. Diese Gegensätze prallen in diesem Film stets aufeinander und stellen Aurora wiederholt vor die Wahl. In vielen Szenen zeigt man Auroras nachdenkliches Gesicht in Großaufnahme. Sie ficht einen inneren Kampf aus und ihre Gefühlswelt wird auch ohne große Erklärungen ziemlich gut eingefangen. Der Nachteil von dieser Herangehensweise ist jedoch, dass sich manche Szenen unnötig in die Länge ziehen, denn nach der zehnten langen Großaufnahme von Auroras Gesicht, weiß man genau, was sie denkt. Sie ist hin- und hergerissen und fühlt sich schuldig, weil sie ihren Mann betrügt. Doch muss man deswegen so penetrant mit ständigen stillen Großaufnahmen darauf hinweisen? Die Antwort darauf hängt sicherlich von dem persönlichen Geschmack der Zuschauer ab.

Trotz seiner Längen hat der Film durchaus etwas künstlerisch Wertvolles an sich. Hinter religiösen Metaphern und einem Liebesgedicht über Quallen versteckt sich die Frage nach der Bedeutung der Liebe. Für jeden fällt die Antwort auf diese Frage anders aus, doch die Gefühle, die die Liebe mit sich bringt, sind immer sehr ähnlich. Wut, Trauer, Leidenschaft, aber auch Glück, Freude und Freiheit das zu tun, was man tun möchte. Die Frage ist nur, wie weit ist man bereit für die Liebe zu gehen und wer würde den inneren Kampf gewinnen, die Liebe oder doch die Religion und die tief verwurzelten familiären Vorstellungen? Wofür wird sich nun die Heldin entscheiden, für Gott und Moral oder für die wahre Liebe? Auf dem Weg zu ihrem Entscheidungsprozess wird der Film so richtig dramatisch und das Traurige daran ist, dass das Drama leider auch vor der realen Welt nicht haltgemacht hat, denn Jörgen Liik, der Schauspieler, der Lenny verkörpert hat, ist im Juli 2025 im Alter von nur 35 Jahren gestorben. Eine traurige Hintergrundgeschichte verleiht dem Film zusätzlich an Tiefe und lässt vieles, was den Figuren widerfährt, in einem anderen Licht erscheinen. Der Film Aurora ist Jörgen Liik gewidmet und man kann sich vor seiner erfrischenden schauspielerischen Leistung nur verneigen und bedauern, dass dieser Film sein letzter sein wird.

Aurora ist vielleicht kein Meisterwerk, aber das Drama zwingt einen definitiv dazu, über viele essenzielle Fragen nachzudenken. Auch wenn die Handlung nicht konsequent genug auserzählt ist oder die Figur der Aurora in ihrer Entwicklung an einem bestimmten Punkt einfach stagniert, zeigt dieses Drama in seinen stillen ruhigen Momenten seine wahre Schönheit, beispielsweise wenn das verliebte Paar im Regen auf dem Auto sitzt oder auf dem Dach einer Kirchenruine klettert. In diesen Momenten spürt man besonders die Liebe zwischen den beiden Charakteren. In solchen Momenten zeigt sich, dass die Atmosphäre wirklich gut gelungen ist. Auch die Figurenzeichnung ist geglückt. Ein überfürsorglicher Vater kümmert sich um seine unreife Tochter, während ihr unzufriedener Ehemann zu naiv ist, um zu begreifen, dass seine Frau ihn betrügt. Hinzu kommt noch die überdrehte, streng religiöse Familie samt der anstrengenden, aber zugleich bemüht freundlichen Stiefmutter. Bei dieser Konstellation wartet man eigentlich nur die ganze Zeit darauf, dass sich Aurora endlich von allen emanzipiert. Im Endeffekt wird man allerdings im Hinblick auf das Ausmaß ihrer Weiterentwicklung wie gesagt ein wenig enttäuscht.

Fazit

Ein melancholisches Drama, das die Frage aufwirft, wer den Kampf in Auroras Innerem gewinnt. „Die Vernunft“ in Form von Religion oder persönliches Glück in Form von Liebe? „Aurora“ ist ein romantisches, doch zeitgleich auch trauriges Kunstwerk über religiöse Bevormundung einer jungen Frau, die sich nicht aus den Fängen der Religion zu befreien vermag. Das Drama hat zwar seine Längen und ist nicht immer konsequent auserzählt, doch es stimmt einen auch nachdenklich, gerade im Hinblick auf die Last religiöser Vorstellungen, die sehr schwer wiegen können, insbesondere, wenn es um Ehebruch und Sünde geht.  

Autor: Yuliya Mieland
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