Inhalt
England im Jahr 1988: Die konservative Parlamentsmehrheit unter Margaret Thatcher verbot die Förderung der Homosexualität durch lokale Behörden. Jean arbeitet als Sportlehrerin an einer Schule. Sie verbirgt ihre Sexualität, weil sie Angst vor Repressalien hat. Ihr Versteckspiel zeigt Auswirkungen nicht nur auf ihr Berufs-, sondern auch auf ihr Privatleben. Vor allem, weil ihre neue Schülerin plötzlich in ihrer LGBTQ-Stammkneipe auftaucht.
Kritik
Was haben Florida im Jahre 2023 und England im Jahre 1988 gemeinsam? Unsinnige Gesetze, die Homosexualität verteufeln und Menschen mit nicht „staatskonformer“ sexueller Orientierung offen diskriminieren. Dabei glaubt die Menschheit inständig daran, dass im Laufe der Zeit alles besser werden kann, weil die Menschen mittlerweile so gut aufgeklärt sind wie nie zuvor und trotzdem wurde in Florida im Jahre 2022 ein Schulgesetz verabschiedet, dass unter dem Namen „Don't say gay“ Gesetz bekannt ist. Es verbietet im Unterricht über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu sprechen, um die Kinder zu schützen, denn sobald sie erfahren, dass es schwule Menschen gibt, werden sie sofort von dieser „höchst ansteckenden Krankheit“ befallen. Im Grunde so wie Zombies, nur ganz ohne einen Biss. Allein die Erwähnung des Wortes „Gay“ reicht nämlich schon aus, um eine „schwule Epidemie“ auszulösen.
Kein Wunder, dass die Sexualität nun zum Staatsanliegen wird und, dass die zukünftigen Generationen dringend davor bewahrt werden sollen, ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu führen. Das ist so absurd, dass man das alles für einen geschmacklosen Witz halten könnte, aber es ist real und es ist unsere Gegenwart. Blue Jean spielt dagegen in der Vergangenheit, dreht sich aber um ein ähnliches Gesetz, das im Jahre 1988 unter Margaret Thatcher verabschiedet wurde. Es verbot Gemeinden, Schulen und Kommunalbehörden, die Homosexualität „zu fördern“, was zur Konsequenz hatte, dass in allen Bereichen des öffentlichen Lebens nur noch negativ über Homosexualität berichtet werden durfte. Die Hauptfigur Jean (Rosy McEwen, Vesper Chronicles) ist homosexuell und arbeitet in einer Schule, was den inneren Konflikt, den sie mit sich selbst austrägt, noch mehr verstärkt.
Die staatliche Sanktionierung der Homosexualität führt dazu, dass sie in ständiger Angst davor lebt, als Lesbe enttarnt zu werden. Immer wieder schaut sie sich Nachrichten an, in denen vor Homosexuellen gewarnt wird und von einer „heterosexuellen normalen Beziehung“ als Basis für eine funktionierende Gesellschaft gesprochen wird. Das führt dazu, dass Jean sich permanent selbst verleugnet, und zwar nicht nur im beruflichen Bereich, sondern auch in ihrem Privatleben. Sie tröstet sich damit, dass sie ihre Sexualität nur nicht zur Schau stellen will, doch in Wirklichkeit schämt sie sich mit ihrer Freundin Viv (Kerrie Hayes, The Responder) gesehen zu werden, obwohl sie sie offensichtlich über alles liebt. Diesen inneren Konflikt spielt Rosy McEwen einfach großartig, mit so viel Stärke und Emotionen. Besonders die Szenen, in denen sie für ihre Beziehung kämpft, sind herzzerreißend.
Das muss man sich erst einmal vorstellen, wie schlimm es sich anfühlt, nie man selbst sein zu dürfen und dauerhaft nur eine Rolle spielen zu müssen. Dadurch verletzt man leider Menschen, die man am meisten liebt und das alles nur, weil die Gesellschaft die Jagd auf diejenigen macht, die von der vermeintlich perfekten sexuellen Orientierung abweichen. Dank des mitreißenden Schauspiels von Rosy McEwen hat man zumindest eine ungefähre Ahnung, wie schmerzhaft es sich anfühlt. Doch das ist nur ein Aspekt des Films, der andere Aspekt untersucht die Vorbildfunktion, die Jean als lesbische Lehrerin für ihre lesbische Schülerin Lois (Lucy Halliday) hat oder eben nicht hat. Die Sicht ihrer Schülerin wird ebenfalls genau beleuchtet: wie sie unbedingt in LGBTQ-Kreisen ihren Anschluss finden möchte und von den Schülerinnen in der Schule gemobbt wird, weil sie längst vermuten, dass sie lesbisch ist. Auch in diesem Bereich entfaltetet der Film voll und ganz sein Potenzial, weil er wirklich alle Aspekte der Sanktionierung der Homosexualität betrachtet, nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch im privaten Lebensbereich.
Blue Jean konzentriert sich bewusst nicht auf die Schwulen- und Lesbenbewegung samt großer Proteste, sondern auf die Auswirkungen des Homosexuellen-feindlichen Gesetzes auf mehrere Figuren, die davon direkt betroffen sind und nicht bereit, beziehungsweise noch nicht bereit sind, für sich einzustehen und für ihre Rechte zu kämpfen. Sie müssen erst einmal den Kampf gegen sich selbst gewinnen und es ist gerade für die Hauptfigur nicht leicht diesen Kampf zu führen, weil sie auch im familiären Bereich eher Ablehnung zu spüren bekommt. Vor allem die unterschwelligen oder auch direkten Vergleiche der Homosexuellen mit Pädophilen tun weh und diese ganzen Gedanken und Gefühle spiegeln sich jedes Mal im Gesicht von Rosy McEwen wider, die in ihrer ersten Hauptrolle in einem Kinofilm bewiesen hat, wie gut sie sein kann.
Deswegen erhielt sie auch für ihre Rolle als Jean im Jahre 2022 den British Independent Film Award. In Vorbereitung auf ihre Rolle sprach sie mit zwei lesbischen Lehrerinnen, die 1988 in einer britischen Schule gearbeitet haben. Kein Wunder, dass ihr Schauspiel so unfassbar authentisch wirkt. Außerdem wurden viele der Darstellerinnen aus der LGBTQ-Szene gecastet. Das machte es für sie natürlich leichter, sich in das besagte Szenario hineinzuversetzen, vor allem, weil es von der gegenwärtigen Realität gar nicht mal so weit entfernt ist, zumindest nicht von der Realität des Sunshine States. Blue Jean gehört zu den richtig guten Filmen über lesbische Liebe, weil er die Figuren nicht auf ihre Sexualität reduziert und bewusst nicht auf erotische Szenen setzt, sondern viel mehr auf Gefühle, Schmerz, Identitätsschwierigkeiten und fehlenden Mut zu sich selbst zu stehen. Allerdings entwickelt sich die Story nicht gerade Schlag auf Schlag und der Film hat hier und da seine Längen, dafür ist er aber insgesamt sehr intim und emotional. Außerdem bedient er sich nicht der Effekthascherei und baut keine unnützen aufregenden Szenen ein, nur um mehr Spannung zu erzeugen. Die Story entwickelt sich vielmehr langsam, dafür umso intensiver.
Fazit
Einige LGBTQ-Filme setzen auf erotische Abenteuer, die anderen wiederum auf große Proteste und den kollektiven Kampf gegen die gesellschaftliche Diskriminierung von Homosexuellen. "Blue Jean" ist dagegen ein sehr intimer Film, der den inneren Kampf zeigt, den jemand führt, der noch nicht bereit ist, sich zu outen. Unsicherheit, Scham, Angst vor Repressalien, Selbstverleugnung, aber auch der Wunsch nach Befreiung, all diese Gefühle spiegeln sich in dem hervorragenden Schauspiel von Rosy McEwen wider. Es ist nicht leicht sich zu outen, wenn man in einer Schule arbeitet und es gesetzlich verboten ist, über Homosexualität positiv zu sprechen. Unaufdringlich führt der Film die Konsequenzen eines unsinnigen Gesetzes vor Augen, ohne jemals den Blick von der Hauptfigur abzuwenden.
Autor: Yuliya Mieland