Inhalt
In ihrer Lieblings-Bar ist die junge Schneiderin Nore vor allem für ihre wilden Outfits bekannt – und dafür, mit extrem vielen Männern ins Bett zu gehen. Ausgerechnet die schüchterne Jonna rettet sie eines Abends vor einem zudringlichen Kandidaten und bietet ihr spontan an, bei ihr einzuziehen. Jonna ist von Nores Schönheit genau so geblendet wie von ihrem ungezügelten Lifestyle, der Spuren hinterlässt im gemeinsamen WG-Leben: Alkohol, Kippen und sehr viel Herrenbesuch, der schwesterlich geteilt wird und vor dem Frühstück immer wieder vor der Tür landet.
Kritik
Sie habe eine Film drehen wollen, der lustig und unterhaltsame sei, erklärte Hille Norden (Ausgerechnet Sylt) auf dem Black Nights Film Festival, wo ihr Spielfilm-Debüt in der First Feature Sektion Premiere feiert. Wie die Regisseurin und Drehbuchautorin es in einem Interview formuliert: „so that even though the topic is sinister, it is wrapped in something nice.” Dieses Nette sind verspielte Phantasie-Szenen, Vintage-Kitsch-Kulissen und die kunterbunten Kostüme voll Rüschen, Tüll und Spitze, die innerhalb der Handlung die junge Protagonistin selbst schneidert. Sie sei etwas Besonderes, sagt Nore (Dana Herfurth, Das Verschwinden des Josef Mengele) von sich und alle von ihr.
Der Satz wird heruntergebeten wie ein Mantra, das irgendwann auch das Publikum glauben sollen. Dabei ist selbstbewusste Titelfigur, die wie ihre frühere Mitschülerin und nach einem zufälligen Wiedersehnen Mitbewohnerin Jonna (Luna Jordan, Dead Girls Dancing) ihren ausschweifenden Lebensstil, die geräumige Altbauwohnung und teuren Klamotten von unerklärlichen Einkünften finanziert, das Gegenteil: ein sexistisches Stereotyp, neu ausstaffiert rüschigen Roben und koketten Kleidchen. Deren Retro-Flair erinnert kurioserweise an die Ära der Handlungsmoral. Jene ist das hartnäckige Klischee, dass sexuell aktive Frauen irgendwie psychisch geschädigt wären. Ursache ist vorzugsweise sexueller Missbrauch. So auch bei Nore, die eine schier endlose Reihe traumatischer Erfahrungen resümiert.
Diese surreal-schräg mit der Gegenwart verbundenen Rückblicke bilden den zweiten Teil des moralistischen Märchens. Das gibt sich zu Beginn taktisch geschickt als unbefangene Sex-Komödie aus. Doch als es Nore abrupt seelisch schlechter geht wird klar, es gelten weiter die alten Vorurteile von „Nymphomanie“ und „Promiskuitivität“, auch wenn diese Begriffe nie fallen. Hinter Nores Lebenslust lauern selbstzerstörerische Zwänge, als die ihre hohe Libido interpretiert wird. Nore muss vor sich selbst geschützt werden. Von Jonna und Jonnas Freund Michel (Jakob Geßner), der einzigen Ausnahme unter den pauschal zu Tätern erklärten Männerfiguren.
Bezeichnenderweise ist es Michel, der als erster merkt, dass Nore zu ihrem eigenen Wohl Keuschheit üben muss. Jonnas Einspruch dagegen widerlegt die schaulustige Serie der missbräuchlichen sexuellen Begegnungen, die aus dem herzensguten anständigen Mädchen eine desillusionierte Verführerin machten. Ihre gänzlich unglaubwürdige Freundschaft zu Jonna zeigt sich darin, dass Jonna ihr ein altbackenes Ideal von Anstand beibringt. Jenes Ideal verlangt mitzuzählen, mit wem Frau Sex hatte. Ab wann es zu viel ist, verrät Norden zwar nicht, aber ihre Message kommt trotzdem an. Eine bittere Pille patriarchalischer Psychopathologie, zuckersüß verpackt.
Fazit
Passend zum Zeitgeist von Nero-Konservativismus und Konsumerismus zelebriert Hille Nordens scheinemanzipatorisches Kino-Debüt Materialismus und Dekadenz in knalligen Farben trügerisch unbeschwerter Turbulenz, nur um gestrige misogyne Moralbegriffe aufzubereiten. Die bedrückende Thematik des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird zum Instrument eines kruden sexuellen Konformismus. Jener ist das einzige Momentum des stagnierenden Szenarios. Das entwickelt weder seine Figuren noch die Handlung. Trotz Herfurths und Jordans guter Darstellungen entsteht keine Chemie zwischen den Hauptfiguren, die mehr Sprachrohre sittlicher Haltungen sind. Stilistische Spielereien, ein skurriles Szenenbild und reichlich verbale Obszönitäten maskieren pseudo-emanzipierte Prüderie.
Autor: Lida Bach