Inhalt
Mit ihrem lyrischen Aufbau nimmt die Doku die Zuschauer mit auf eine bewegende, nachdenklich stimmende Reise durch das Leben der wegweisenden Pionierin Chavela Vargas. Aufnahmen von Catherine Gund aus dem Jahr 1991 zeigen Chavela, die in entspanntem Plauderton mit einer Gruppe junger lesbischer Bewunderinnen spricht, und bieten einen seltenen, intimen Blick auf diese ikonische Sängerin auf dem Höhepunkt ihrer Reise. Sie gab dieses Interview nach jenen zwölf Jahren, die sie an Alkoholabhängigkeit und an eine schmerzliche Trennung verloren hatte, und bevor sie nach Spanien ging, wo sie wie ein Phönix aus der Asche wieder aufstieg. Stark, lustig und quicklebendig hatte sie ihre besten Jahre nach ihrem 71. Geburtstag. Dieses einzigartige Interview zieht sich als roter Faden durch den Film, der ihr faszinierendes Leben von ihrer Geburt in Costa Rica bis zur Gegenwart in Form leidenschaftlicher Liebeslieder und tiefer Beziehungen erzählt.
Kritik
"Fangen wir damit an, wo ich hin will", sagt Chavela Vargas (Frida) gleich zu Beginn. "Das ist viel spannender für die Leute, als zu wissen, wo ich herkomme. Es wird eure Dokumentation interessanter machen!" Sie sagt das mit großer Geste und einem schelmischen Lächeln, das sie jünger wirken lässt als die siebzig Jahre, die sie zum Zeitpunkt dieses Interviews 1991 zählte. Dass ihre Gesprächspartnerin und Regisseurin Catherine Gund diese Sequenz an den Anfang des Dokumentarfilms stellt, kommt wohl nicht von ungefähr. Denn schon in diesen ersten Sekunden ist Chavela so sehr Chavela, wie es nur möglich ist: charmant und eigenwillig, eine Meisterin der Selbstinszenierung und eine Frau, die mit wachem Blick und rauchiger Stimme sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Chavela Vargas (1919-2012) ist bis heute eine der ganz Großen der lateinamerikanischen Musikszene. Geboren in Costa Rica ging sie schon jung nach Mexiko, um dort ihr Glück als Sängerin zu versuchen. Sie interpretiert vor allem Rancheras und Boleros, Genres der mexikanischen Folklore, in denen nicht selten Liebeskummer, Einsamkeit und Alkohol in verrauchten cantinas im Mittelpunkt stehen. Chavela ist nicht die erste Frau, welche die üblicherweise von Männern komponierten und vorgetragenen Rancheras singt, doch sie entwickelt einen ganz eigenen Stil dafür. Sie braucht keine Mariachi-Begleitung, sondern greift nur zu ihrer Gitarre und tritt burschikos in Hosen und Ponchos auf, was für eine Frau im konservativen Mexiko der 50er Jahre an einen Skandal grenzt ‒ allerdings einen, der ihr zum Erfolg verhilft.
Die Dokumentation der Regisseurinen Catherine Gund und Daresha Kyi zeichnet Chavelas bewegten Lebensweg nach. Auf einen Erzähler aus dem Off wird dabei vollständig verzichtet. Zu Wort kommen dafür neben Chavela Vargas selbst zahlreiche Weggefährtinnen und -gefährten, von ihrer Anwältin Alicia Pérez Duarte über die peruanische Sängerin Tania Libertad bis hin zum spanischen Regisseur Pedro Almodóvar (Julieta), der Chavela als seine Muse bezeichnete. Zusammen mit umfangreichem Foto- und Videomaterial und natürlich vielen Liedern der Vargas ergibt sich das faszinierende und facettenreiche Bild einer ungewöhnlichen Frau.
Obwohl im Arrangement des Materials, den Interviewfragen und den Kameraeinstellungen stets tiefer Respekt und eine gewisse Wärme gegenüber dem Phänomen Chavela Vargas spürbar bleiben, legt der Film Wert darauf, auch die problematischen und widersprüchlichen Aspekte ihrer Persönlichkeit zu beleuchten, die in den Erinnerungen zahlreicher Interviewpartner zur Sprache kommen. Denn die Vargas war eben bei allem Glanz mit Leib und Seele Diva, fordernd gegenüber ihren Mitmenschen und stets darauf bedacht, ein ganz bestimmtes Bild von sich aufrechtzuerhalten.
Chavelas Lebensweg wird zumeist chronologisch aufgearbeitet. Ihre Lieder ‒ viele davon aus der Feder des mexikanischen Komponisten José Alfredo Jiménez ‒ werden dabei kunstvoll in die Erzählung selbst eingeflochten. Sie stehen nie isoliert daneben, sondern werden durch die gewählten Textausschnitte zu Bestätigungen und Ergänzungen dessen, was Chavela selbst oder ihre Zeitgenossen in Worte fassen. Einzelne Anekdoten, wie die auf dem Plakat etwas reißerisch beworbene Affäre mit der Malerin Frida Kahlo, werden sogar größtenteils über eine Collage aus alten Fotos, Filmaufnahmen und eben Chavelas Musik (»Adoro«) erzählt.
Bisweilen bleibt die Wahrhaftigkeit von Chavelas Schilderungen in der Schwebe, bei anderen Gelegenheiten wirken die Irrungen und Wirrungen ihres Lebenswegs wie einem Roman entsprungen, sind aber real. Etwa ihr vollkommener Absturz in die Armut in den 80er Jahren, aus der sie erst der Produzent Walter Saxer (Mein liebster Feind - Klaus Kinski) wieder herausholte. Für den Film Cerro Torre: Schrei aus Stein, den er mit Werner Herzog (Fitzcarraldo) drehte, hatte er es sich in den Kopf gesetzt, die von vielen schon totgeglaubte Chavela aufzuspüren und ihr eine Rolle anzubieten ‒ was letztlich den Grundstein für Chavelas fulminantes Comeback legte. Ähnlich zauberhaft mutet die Geschichte an, wie Pedro Almodóvar sämtliche Kontakte spielen ließ, um Chavela Vargas ihren größten Traum zu erfüllen: einen Auftritt im Pariser Olympia. Allein diese Anekdoten hätten wohl einen eigenen Film füllen können.
Zudem gelingt es der Dokumentation, Chavela Vargas' Lebensweg auch immer wieder in Bezug zu gesellschaftlichen Hintergründen zu setzen. Über Jahre war es ein offenes Geheimnis, dass die exzentrische Sängerin Frauen liebte, doch erst 2000 bekannte Chavela sich öffentlich zu ihrer Homosexualität. Anschaulich kann der Film hier verdeutlichen, wie die von Machismo und konservativen Vorstelllungen geprägte Gesellschaft Mexikos Chavelas sexuelle Orientierung für sich akzeptabel machte: Das offensive, oft zweideutige Auftreten der Sängerin wurde energisch als reiner Teil ihrer Bühnenpersönlichkeit und ihrer Show gedeutet, nicht als Aspekt der Privatperson Chavela Vargas.
Fazit
"Chavela" folgt in Aufbau und Erzählweise recht konventionellen Strukturen, was die Dokumentation über das Leben der Chavela Vargas aber nicht weniger sehenswert macht. Der Film stützt sich nicht nur auf äußerst vielfältiges Material aus mehreren Jahrzehnten, er schafft es auch, der Ausnahmesängerin gleichermaßen kritisch wie respektvoll gegenüberzutreten. Die zu Wort kommenden Stimmen machen eindrucksvoll deutlich, welchen Einfluss und welche Bedeutung Chavela auf künstlerischer wie persönlicher Ebene für viele von ihnen ausübte. Stellenweise werden Aspekte recht knapp abgehandelt, die bestimmt noch deutlich mehr Potenzial geboten hätten. Insgesamt aber überzeugt "Chavela" auf ganzer Linie als liebevoll und sorgfältig gestalteter Dokumentarfilm über eine bemerkenswerte Künstlerin