Inhalt
Die Haßliebe eines Sadisten zu seiner Schwägerin führt in einem Familienschloß zu blutigen Zwischenfällen.
Kritik
Der gelernte Kameramann Mario Bava (Lisa und der Teufel) kam erst relativ spät und über Umwege in die Position des Regisseurs. Nachdem er zuvor bereits einige, zu scheitern drohende Projekte als Feuerwehrmann fertigstellte (ohne dass sein Name in den Credits auftauchte), durfte er erstmals 1960 mit Die Stunde, wenn Dracula kommt die verdienten Lorbeeren einstreichen. Das kleine B-Movie erntete schon damals überraschend gute Kritiken, gilt heute als großer Klassiker des Horrorfilms und verhalf Bava zum Durchbruch. Bis zu seinem zu frühen Tod im Jahr 1980 drehte er einige zeitlose Werke und prägte einen ganz eigenen Stil der atmosphärischen Visualisierung, der etliche Regisseure nachhaltig beeinflussen sollte. Ohne ihn hätte es womöglich nie die besondere Ästhetik des Giallo-Kinos gegeben, die unmissverständlich auf Bava’s wegweisenden Schaffen aufbaut. Ein Film aus der frühen Phase seiner (offiziellen) Regiekarriere wird eher selten erwähnt, obwohl es klar zu seinen besten Arbeiten zu zählen ist. Vielleicht auch, da er hier unter seinem gelegentlich verwendeten (immer mal wieder abgewandelten) Pseudonym John M. Old arbeitete. Die Rede ist von Der Dämon und die Jungfrau, einem leicht vergessenen Meisterstück des 60-Jahre-Horrorfilms.
Als Kurt Menliff (der unvergleichliche Sir Christopher Lee; Blut für Dracula) nach Jahren in das Schloss seiner Familie zurückkehrt, wird er nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Sein inzwischen totkranker Vater verstieß den Erstgeborenen einst, nachdem er Tanja, die Tochter der dort immer noch tätigen Haushälterin Giorgia (Harriet Medin; Herrscher der Straße - Frankensteins Todesrennen) erst verführte und danach in den Selbstmord trieb. Angeblich hat sich der verlorene Sohn geändert, versichert er zumindest seinem Bruder Christian (Tony Kendall; Komm, süßer Tod), der gerade die bildhübsche Nevenka (Daliah Lavi; Old Shatterhand) geehelicht hat. Was er nicht ahnt: Kurt und Nevenka hatten zuvor eine sadomasochistisch Affäre, die der Heimkehrer gleich wieder aufleben lassen will. Und obwohl Nevenka dem verführerischen Teufel eigentlich abschwören will, verfällt sie erneut seinem sonderbar-grausamen Charme. Bis Kurt eines Nachts erstochen wird. Mit dem Dolch, der damals auch Tanja‘s Blut vergoss. Der Spuk könnte nun vorbei sein, stattdessen geht es jetzt erst richtig los. Nevenka spürt fortan die Präsenz der verschiedenen Kronprinzen, der sie offenbar noch aus dem Jenseits begehrt und terrorisiert.
Beginnt Der Dämon und die Jungfrau noch als verhältnismäßig konservativer Gruselschinken seiner Zeit, verwandelt er sich mit dem psychischen Abdriften seiner Protagonistin in einen undurchsichtigen Trip aus Wahnsinn, übernatürlichen Spuk und spiritueller Bedrohung, was Mario Bava mit einer genialen Inszenierung auf einen ungeahnten Level hievt. Oberflächlich betrachtete arbeitet er mit den üblichen Methoden des Genres: Stetig pfeifender Wind, knarrende Türen, unheimliches Flüstern und flackerndes Kerzenlicht; eine verängstigte Schönheit mit panisch-weit aufgerissenen Augen; das ist (und war) nicht neu; Business as usual. Wie er das Ganze allerdings umsetzt, ist formvollendete Handwerkskunst eines irrsinnig begabten Maestro der lebendigen Bilder, fast schon Gemälde. Seine Visualisierung ist dabei nicht nur von ästhetischem Wert, erzählt sie doch gleichzeitig die Geschichte wesentlich vielschichtiger als das reine Script. Über das äußere Erscheinungsbild offenbart sich das verzerrte, bald paranoide Innenleben der Protagonistin. Bava verwandelt seine Sets in einen steinernen Garten und Labyrinth-artiges Verließ aus Furcht, Begierde, devoter Unterwerfung und der gleichzeitigen Abscheu davor.
Heraus kommt eine betörende Mischung aus Gothic-Horror, Agatha-Christie-Mörderpuzzle und verblüffend cleverer Psycho-Studie, die sich haushoch über den Standard des Genres abhebt. Nicht nur wegen seiner brillanten Präsentation, in der gebrochenen Lichtquellen, detailversessene Beleuchtungsideen und virtuose Kameraarbeit mehr als nur Oberflächenreize bedienen. Es ist sowohl ein irgendwie klassischer, leicht romantisch-tragischer Gruselfilm und noch deutlich mehr eine reflektierte, ernsthafte Auseinandersetzung mit unterdrückter, sexueller Abhängigkeit. Eine Hass-Liebe getrieben von Gewalt, Demütigung und gleichzeitigem Verlangen, die scheinbar selbst durch den Tod nicht zu trennen ist. Das, was neben dem heimlichen Vibrator geparkte Nachttisch-Geschichtchen wie in Fifty Shades of Grey oder 9 ½ Wochen versuchen zu erzählen, schafft Der Dämon und die Jungfrau beinah beiläufig, ohne dabei zur verklemmt-peinlichen Masturbationsvorlage zu werden. Erotik spielt hier nur eine sehr untergeordnete bis gar keine Rolle, trotzdem behandelt er das Thema wesentlich besser, tiefgründiger und effektiver als besagte Hochglanz-Fummel-Filmchen. Bis zum Schluss versteht es Mario Bava, die Schnüre fest zusammenzuhalten, Zweifel zu säen und sich alle Türen offen zu lassen. Fast wäre es sogar egal, wie er seinen Film letztlich beendet. Wenn jemals der Weg das Ziel war, dann bei Der Dämon und die Jungfrau. Das ihm auch der Zieleinlauf nicht aus den Händen gleitet und den Deckel exakt und logisch (im italienischen Genre-Kino alles andere als selbstverständlich) auf den Topf setzt, ist das Sahnehäubchen oben drauf.
Fazit
Bedauerlich, dass gerade dieser Mario-Bava-Film meistens etwas unter Wert verkauft wird. Womöglich ist es sein bester. In seiner Umsetzung definitiv eine seiner stärksten Arbeiten, in der sich surrealer Verspieltheit und sinniger Narration nicht beißen müssen, sondern gegenseitig unterstützen. Ein wundervolles, sinnlich-morbides Erlebnis.
Autor: Jacko Kunze