Inhalt
Seit sieben Jahren lebt Aldo mit Irma zusammen. Beide haben eine gemeinsame Tochter, die ihrer Mutter ähnelt. Als Irmas nach Australien ausgewanderter Mann stirbt, glaubt Aldo, nun sei für ihn der Weg zur Heirat frei, doch Irma liebt längst einen anderen. Verzweifelt verlässt er zusammen mit seiner kleinen Tochter das Dorf, ohne die Geliebte vergessen zu können.
Kritik
Innerhalb des filmischen Schaffens von Michelangelo Antonioni (Die mit der Liebe Spielen) nimmt Der Schrei eine ganz markante Rolle ein, markiert er doch wahlweise das Ende seiner Frühphase beziehungsweise den Beginn seines künstlerisch wertvollsten Wirkens. Die Grenze lässt sich nur schwer ziehen, immerhin hängt der Film einerseits stark dem Italienischen Neorealismus mit seinen typischen Stilmitteln und Merkmalen nach, während er andererseits thematisch den Weg für Antonionis spätere Filme ebnet. Denn obwohl Der Schrei soziale Missstände in der vom vergangenen Krieg geplagten Unterschicht Italiens thematisiert, geht es mindestens genauso um die Unmöglichkeit der menschlichen Existenz. Um eine sinnlose Sinnsuche, die letztlich weniger mit Psychologie, als mit Poesie zu tun hat. Antonioni begibt sich auf die Straße, dreht sich spiralförmig im Kreis und landet letztlich doch nur dort, wo er angefangen hat.
So ist es in diesem Fall der einfache Arbeiter Aldo (Steve Cochran), der von seiner Geliebten den Laufpass bekommt und sich fortan allein mit der gemeinsamen Tochter durchschlagen muss. So ziehen die beiden von Dorf zu Dorf, Unterkunft zu Unterkunft und Job zu Job. Durch diesen monotonen Ablauf verdeutlicht Antonioni die erfolglose Suche nach Geborgenheit und Heimat, nach einem Leben mit Sinn. Die Welt steht Aldo offen, doch wohin soll er schon gehen, wenn überall nur die gleichen Konstanten – Entfremdung und Leere – auf ihn warten. Auch die kargen und dreckigen Landschaften nehmen dabei eine spezielle Rolle ein, dienen diese doch als Manifestation von Aldos Innenleben. Als poetisches offenbartes Sinnbild einer inneren Orientierungslosigkeit - in Bezug auf ihn selbst, wie auch auf andere.
Und so schließt sich der Kreis gegen Ende konsequenterweise und Aldo zieht den logischen Schluss aus seiner sinnlosen Existenz. Antonioni findet einmal mehr keine tröstende Erkenntnis, was bleibt sind Gedanken und Gefühle. Im Kontext seiner späteren Filme mag Der Schrei noch so etwas wie eine hybridhafte Vorhersage sein, nicht in der selben Kunstfertigkeit, Prägnanz und Nachdenklichkeit ausgeführt wie seine Meisterwerke, aber dennoch ein überaus sehenswerter Film. Und ein guter Einstieg für alle Interessierten, die Antonioni nicht direkt auf radikale Weiße kennenlernen, sondern sich im Gewand eines konventionelleren Dramas an den italienischen Regisseur herantasten wollen.
Fazit
Michelangelo Antonioni zwischen Italienischem Neorealismus und poetischer Entfremdung. Eine interessante Mischung aus Roadmovie, Drama und Sinnsuche, die der italienische Regisseur in aussagekräftige schwarz-weiß Bilder packt. Kein Meilenstein, aber ein sehr sehenswerter Auftakt einer grandiosen Schaffensperiode.
Autor: Dominic Hochholzer