Inhalt
1952: Eine britische Familie wird in der Provence brutal ermordet. Der in der Nähe des Tatorts lebende Familienclan der Dominici – angeführt von greisen Bauern Gaston – wird innerhalb kürzester Zeit von wichtigen Zeugen zu heißen Verdächtigen, nur gibt es weder Beweise, noch schlüssige Motive für die Tat. Nach über einem Jahr der Ermittlungen belasten plötzlich zwei der Söhne den alten Gaston. Der gesteht zunächst das Verbrechen, doch vor Gericht dreht sich plötzlich alles wieder um 180 Grad.
Kritik
Es ist einer der bis heute spektakulärsten, da nie auch nur ansatzweise aufgeklärten Kriminalfälle Frankreichs, über den sich auch nach über 60 Jahren noch unzählige Gerüchte ranken, die schon zu Mythen wurden. Obwohl es seinerzeit sogar zu einer Verurteilung kam. Im Sommer 1952 wurden ein britisches Ehepaar und ihre zehnjährige Tochter während eines Urlaubs in der Provence ermordet. Die Eltern erschossen, die Tochter hinterrücks mit der Tatwaffe – einem alten Karabiner, wie er im Krieg eingesetzt wurde – erschlagen. Sonderbare Begleitumstände sorgten bei den lange kaum ergiebigen Ermittlungen weniger für Verwirrungen als in der Rückbetrachtung, dafür war man viel zu hektisch darauf bedacht, endlich brauchbare Ergebnisse einzufahren. Warum übernachtete die Familie statt in einer Herberge oder wenigstens einem vernünftigen Zelt auf einem campinggeeigneten Gelände unter freiem Himmel direkt neben einer Landstraße? Ausgerechnet in der Gegend, in der der Sohn während des gerademal 7 Jahre zurückliegenden Weltkriegs gefallen war? War dies nur ein Zufall, eine leicht morbide Form der Vergangenheitsbewältigung und wurden sie eventuell gezielt ermordet oder nur Opfer eines Spontanverbrechens ungeklärter Motivation?
Der Film will sich nicht munter an den zahlreichen und durchaus fragwürdigen Diskussionen beteiligen, lässt diese Gedankengänge jedoch zu Beginn nicht unerwähnt. Dadurch entsteht schnell für den Zuschauer der Verdacht, dass es sich bei dem grausamen Dreifachmord um mehr handelt als nur um ein simples Kapitalverbrechen. Dass die Ursache womöglich in der noch jungen, sehr bewegten Vergangenheit eines Landes zu suchen ist, das jahrelang unter Besatzung leben musste, im Geheimen aktiven Widerstand leistete und nun – gerade in den ländlichen Regionen – vielleicht den Reset-Button nicht so einfach betätigen kann, wie es oberflächlich scheinen mag. Spekulationen und Verdacht, darum dreht sich auch später alles bei Die Affäre Dominici, obgleich er sich in der Folgezeit fast dokumentarisch korrekt an die nackten Fakten hält und dadurch gleichzeitig genau die Misere offenlegt, die diesen Fall zu einer ungeklärten Legende machte. Es gibt nur sehr lose Ansatzpunkte für ein Wie und Warum, nichts ist stichfest oder zumindest extrem glaubwürdig. Ein für sicher gehaltener Indizienprozess wandelt sich vor Gericht zur Posse, da plötzlich alles widerrufen wird und sich eifrig gegenseitig beschuldigt wird, ständig neue Versionen auf den Tisch kommen, die eine eindeutige Urteilfindung praktisch unmöglich machen, da man mangels echter Beweise nur darauf bauen konnte.
Selbst der anfangs angedeutete, historisch-politische Hintergrund ist sachlich betrachtet nicht mehr als nur ein Gericht aus der Hören-Sagen-Gerüchteküche, an dem genauso viel dran sein könnte oder nicht wie an jeder anderen Version der Geschehnisse. Für nichts gibt es Belege, alles basiert auf Aussagen, gegenseitigen Belastungen und späteren Rückrufen, denen die schlampig geführten Ermittlungen nichts entgegenzusetzen haben. Die Verdächtigen, in erster Linie das patriarchische Familienoberhaupt Gaston (Jean Gabin; Die große Illusion) und zwei seiner neun Kinder, haben entweder vorher einen brillanten Plan entworfen, sich durch dieses Wirrwarr einem klaren Urteil zu entziehen – gegen wen oder wie viele von ihnen auch immer – oder sind tatsächlich ein Musterbeispiel für eine abseits der modernen Welt herangezogene Subkultur, die ihre eigenen Regeln hat und völlig damit überfordert ist, wenn jemand über sonst ignorierte „Unfälle“ ernsthafte Fragen stellt und Konsequenzen zu befürchten sind.
Klingt unheimlich spannend, ist es aber leider nur bedingt, da sich eben meistens stur an konkreten Fakten orientiert wird und bewusst nichts dafür getan wird, den möglichen Gedankenspielen mehr Raum zu geben als vorhanden war. Sagen wir es mal so: Als reiner Dokumentarfilm wahrscheinlich wahnsinnig faszinierend, als Spielfilm manchmal zu trocken und vom klassischen Spannungsbogen oft suboptimal ausgenutzt. Regisseur Claude Bernard-Aubert nutzt sein Werk eher als Diskussionsstoff über die Schwierigkeit eines ordentlichen Prozesses, wenn die Beteiligten da nicht mitspielen wollen und wie schnell Justizirrtümer zustande kommen bzw. wie schwer es im Einzelfall sein kann, sie als solche einstufen zu können. Heute, mit DNA-Spuren und allem Drum und Dran sicher mehr auszuschließen, damals eben nicht. Die Affäre Dominici ist aktuell immer noch ein justizielles Fragezeichen und wird es wohl für immer bleiben. Die letzte Szene ist gar dem echten Strafverteidiger von Gaston Dominici gegönnt, der dieses Dilemma nochmal deutlich ausformuliert. Er hielt seinen Mandanten immer für unschuldig, trotz der enormen Diskrepanzen im gesamten Prozess. Das macht den Film sehr interessant und Jean Gabin, einer der größten europäischen Leinwandlegenden überhaupt, ist auch im gehobenen Alter eine wahre Naturgewalt.
Fazit
Ein aufregender, zurecht ein filmreifer Fall, der nur nicht die gesunde Mitte aus angebrachter, künstlerischer Freiheit und Faktentreue findet, wodurch er über weite Strecken zu trocken und bemüht-korrekt erscheint. Etwas am Genreanspruch vorbei und somit mehr reizvoll als spannend, dafür mal wieder mit einem exzellente Jean Gabin.
Autor: Jacko Kunze