Inhalt
In "Die Frau Des Polizisten" erzählt Philip Gröning von einem Paar, das in einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt ihr gemeinsames Kind aufzieht. Das Entstehen der kindlichen Wahrnehmung, des Vertrauens, der Eigenständigkeit des Kindes bilden das Zentrum des Films, von dem aus die Verstrickungen, Konflikte und Verhärtungen zwischen den Erwachsenen sichtbar werden. Der geschlossene Kosmos der Kleinstadt ist der Hintergrund des formal strengen und poetischen Films. Wie entsteht für einen Menschen die Welt? Und wie geht sie verloren?
Kritik
Wenn die Gedankengänge wie gepflastert von Impressionen und Assoziationen erscheinen, Interpretationen verschiedenster Couleur durch die Gehirnwindungen mäandern; wenn man sich wie erschlagen, ausgelaugt und bis an den Rand der Überforderung gestoßen fühlt, dann wartet in diesem wie geräderten Zustand auch immer die erhellende Erkenntnis, um eine Erfahrung reicher geworden zu sein: Alles, was den Menschen auf irgendeine Weise herausfordert, offenbart in der jeweiligen Reaktion viel der individuellen Charakterformung. Und wenn es ein Film heutzutage noch wirklich vermag, persönliche Grenzen auszuloten und in die Schranken zu weisen, dann findet sich im Kern der künstlerischen Vision auch immer ein entschiedener Drang zur (Selbst-)Reflexion. „Die Frau des Polizisten“ ist so ein unnachgiebiger Brocken von Film, der kräftezehrend über seine Zuschauerschaft walzt und das Nervenkostüm samt Aufmerksamkeitsspanne mit Leichtigkeit überstrapazieren könnte. Und in seiner auf wirklich jeder Ebene anzutreffenden Radikalität wartet sein mehrwertiges Gewicht.
Dass dieses Gewicht in der gut 170-minütigen Laufzeit kaum so stemmen ist, animiert, wie gesagt, mit Sicherheit nicht wenige Zuschauer dazu, das Handtuch vorzeitig zu werfen – Wer lässt sich schon gerne erdrücken? Allerdings zermalmt „Die Frau des Polizisten“ nicht aus einem provokativen Kalkül heraus, um seine mediale Machtposition auszuspielen, sondern versucht es tatsächlich, dem Zuschauer durch seine filmische Schwere näher zu kommen und einen bis aufs letzte Quäntchen Leibhaftigkeit freigelegten Dialog einzusetzen. Eigentlich möchte man der Prämisse von „Die Frau des Polizisten“ nachsagen, sie wäre nicht sonderlich sinnstiftend: Vater (David Zimmerschied), Mutter (Alexandra Finder) und Tochter (Pia Kleemann/Chirana Kleemann) scheinen vordergründig einem normalen Alltagsmuster nachzugehen, unter der Oberfläche aber lauert das familiäre Grauen. Eine solche Aussage aber wäre von rigoroser Vermessenheit, ist häusliche Gewalt doch ein Thema von virulenter Relevanz. „Die Frau des Polizisten“ zeigt sich aber glücklicherweise überdrüssig darin, eine Ätiologie der psychologischen Kondition des gewaltbereiten Vaters anzulegen.
In 59 mal mehr, mal weniger ergiebigen Kapiteln, die alle mit Auf- und Ablende auskommen, scheint Philip Gröningvor allem daran interessiert zu sein, das Leben nicht als einheitlichen Konstrukt einzufangen, sondern, so wie es schließlich auch ist, aus Fragmenten, Augenblicken, Wimpernschlägen. Metaphorisch könnte man die entrückte Narration ansehen, die jede chronologische Marschroute zerschlägt und einer eigenen biorhythmischen Taktung unterliegt. Philip Gröning möchte nicht, dass seine Figuren den Zuschauer über einen herkömmlichen Zeitraum von 90 Minuten beschäftigen, sondern versucht, dass sich die Beziehungsgeflecht mit all seinen innerfamiliären Gruben, Furchen und Gräben bis in das Mark des Zuschauers bohren und sich so langfristig ins Gedächtnis einbrennen. Und ja, „Die Frau des Polizisten“ besitzt unglaublich intensive Momente, weil er es verweigert, sich in Parolen und Schlagwörtern zu artikulieren und dem Zuschauer die wertvolle Möglichkeit gewährt, sich einen eigenen Weg durch das mannigfaltige Geschehen zu bahnen: Dass der Grat der Perzeption ebenso schmal wie der, der hier dargebotenen Gesten ist, weiß Gröning natürlich ganz genau.
Eine Frage, die bei der Sichtung von „Die Frau des Polizisten“ stetig im Kopf umherkreist, ist, ob man den Film in seiner Gänze nun für seine analytische Schärfe loben soll oder ob Gröning sich hier womöglich doch für kunstgewerbliches Arthousegeschwurbel allererste Güte verantwortlich zeigt. Mit Sicherheit könnte man mühelos beide Oppositionen bekräftigen, von prätentiös bis durchdringend mag man hier vieles erspähen, ohne Zweifel aber ist „Die Frau des Polizisten“ eindrucksvoll in seiner Darbietung sowie Kontrastierung (Tier und Mensch) der jeweiligen Lebenssituationen und weiß seine unspektakulären Alltagseindrücke ohne flache Dramatisierung in ein bedrängendes Szenario um die unsichtbaren Trennlinien zwischen Liebe und Gewalt, zwischen Abhängigkeit und Zuneigung, zu verschieben: Ist der erste blaue Fleck auf dem Körper der Mutter erst einmal entdeckt, lauert die Gewalt in jedem Winkel. Philip Gröning fordert zum Hinsehen auf, zum Nach- und Mitdenken, er setzt eine klare Form der Sensitivität voraus, macht vieles richtig und nachdrücklich, doch der zwiespältige Eindruck möchte nicht verflachen, vor allem dann nicht, wenn ein Satz wie „Du bist die Basis meiner Logistik“ heftig an der Wahrhaftigkeit des Geschehens rüttelt.
Fazit
Ein Brocken von einem Film: Du willst Arthouse? Du bekommst es drei Stunden – ohne falsche Ausflüchte! Im Ernst: „Die Frau des Polizisten“ ist verdammt anstrengende Kost, die allerdings in der Darstellung einer innerfamiliären Tragödie fasziniert (Sowohl formal als auch inhaltlich), weil sie sich nicht überschlägt, aber auch schnell in Richtung 'prätentiöse Geschwollenheit' kippen kann. In jedem Fall muss man sich Zeit nehmen, sowohl um den Film in Angriff zu nehmen, als auch um ihn anschließend zu reflektieren. Ärmer wird man mit Sicherheit nicht, ausgelaugter aber definitiv.
Autor: Pascal Reis